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Interview: Mediziner Birkner: "Darmkrebs trifft immer mehr Jüngere"

Interview

Mediziner Birkner: "Darmkrebs trifft immer mehr Jüngere"

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    Eine gute Beratung und Aufklärung durch einen Arzt ist bei einer Darmspiegelung wichtig. Viele Menschen fürchten die Untersuchung und nehmen sie erst gar nicht wahr.
    Eine gute Beratung und Aufklärung durch einen Arzt ist bei einer Darmspiegelung wichtig. Viele Menschen fürchten die Untersuchung und nehmen sie erst gar nicht wahr. Foto: Christin Klose, dpa

    Herr Dr. Birkner, Sie sind Gründungsmitglied und Präsident des bundesweiten Netzwerkes gegen Darmkrebs, das für eine verstärkte Prävention wirbt. Gerade jetzt im März, im sogenannten „

    Dr. Berndt Birkner: Insgesamt sinkt die Zahl, und zwar eben in Folge der verstärkten Darmkrebsvorsorge. Seit im Jahr 2002 die Vorsorge um die Darmspiegelung ergänzt wurde, sind sowohl die Häufigkeit der Erkrankung als auch die Sterberate reduziert worden: In den letzten 20 Jahren konnten so über 150.000 Sterbefälle verhindert und mehr als 350.000 Erkrankungen vermieden werden. Die die effektivste Krebsvorsorge überhaupt. Wir haben längst bewiesen: Die Darmkrebsvorsorge wirkt!

    Das müssen Sie bitte erklären.

    Birkner: Nur bei der Koloskopie, also der Darmspiegelung, können Adenome, also Polypen, die eine Vorstufe eines Darmkrebs-Karzinoms bilden können, sofort entfernt und damit das Risiko für eine Krebserkrankung wirklich deutlich reduziert werden. Keine der anderen Krebsvorsorgeuntersuchungen hat die gleiche Effizienz wie eine Darmspiegelung, sie ist das Role Model der Vorsorge.

    Der Münchner Gastroenterologe Dr. Berndt Birkner ruft dazu auf, die Darmkrebsvorsorge auch zu nutzen. Gerade, wenn in der Familie bereits Darmkrebs vorkommt, erhöhe sich das Risiko, ebenfalls zu erkranken.
    Der Münchner Gastroenterologe Dr. Berndt Birkner ruft dazu auf, die Darmkrebsvorsorge auch zu nutzen. Gerade, wenn in der Familie bereits Darmkrebs vorkommt, erhöhe sich das Risiko, ebenfalls zu erkranken. Foto: Dr. Berndt Birkner

    Dennoch wird diese Vorsorge zu wenig genutzt, oder?

    Birkner: Ja, leider wird die Darmspiegelung viel zu wenig angenommen. Männer nutzen sie noch weniger als Frauen. Das hat zum einen mit dem gewissen Aufwand zu tun, den diese Untersuchung mit sich bringt: ein bis zwei Tage müssen für diese Untersuchung einfach eingeplant werden, denn der Darm muss gründlich gereinigt werden und am Tag der Untersuchung muss man freinehmen oder sich krankschreiben lassen – schon das schreckt vermutlich viele Berufstätige ab. Zum anderen beobachten wir seit der Corona-Pandemie, dass die zahlreichen, weltweiten Krisen offensichtlich dazu führen, dass die eigene Gesundheitsvorsorge leider bei vielen Menschen in den Hintergrund gerückt ist.

    Oft wartet man aber auch sehr lange auf Termine ...

    Birkner: Darin sehe ich ein ganz großes Problem, die Wartezeiten werden immer noch länger und das bremst in der Tat viele aus. Zumal gerade die Darmkrebsvorsorge mit vielen Ängsten verbunden ist. Denn auch wenn Komplikationen ausgesprochen selten sind, die Furcht davor ist sehr groß. 

    Was raten Sie ängstlichen Menschen?

    Birkner: Das A und O sind Beratung und Aufklärung. Und hier rate ich jedem, explizit nachzufragen, welche Erfahrung der Arzt beziehungsweise die Ärztin mit Koloskopien hat, wer die Narkose gibt und wie es mit der Hygiene bestellt ist? Viele trauen sich das nicht zu fragen, aber dazu hat jeder, der so eine Vorsorgeuntersuchung machen lässt, das Recht, schließlich ist die Qualität bei einer Koloskopie ganz entscheidend.

    Reicht nicht auch ein Stuhltest?

    Birkner: Die Koloskopie ist eindeutig die effizientere Vorsorgeuntersuchung. Wer eine Spiegelung gemacht hat, ist neun Jahre auf der sicheren Seite und braucht in dem Zeitraum auch keinen Stuhltest zu machen. Der Stuhltest ist meines Erachtens old-fashioned. Hier brauchen wir etwas Neues. Und in den USA gibt es auch bereits etwas Innovatives: einen Bluttest. Es gibt nämlich auch im Blut zelluläre Marker, die sowohl auf Vorstufen als auch auf Tumore im Darm hinweisen. Das Ganze ist allerdings eine Kostensache: In den

    Wird der Stuhltest auch zu wenig angenommen?

    Birkner: Sowohl bei der Darmspiegelung als auch beim Stuhltest gehen die Zahlen in einem erschreckenden Ausmaß zurück: In den Jahren 2003 bis 2006 hatten wir bei der Koloskopie Teilnahmequoten von zwölf bis 14 Prozent, heute liegen wir nur noch bei 1,5 Prozent. Und auch die Stuhltests wurden früher gerade von Frauen viel stärker, besonders über die Frauenärzte, angenommen: Da lagen wir in Spitzenzeiten bei fünf bis sechs Millionen im Jahr, heute sind es nur noch 1,5 Millionen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum rechnet daher ja auch wieder bis 2040 mit einer deutlichen Zunahme der Darmkrebserkrankungen und der Sterberaten um 30 bis 40 Prozent.

    Gibt es denn Symptome, die auf einen Darmkrebs hinweisen?

    Birkner: Das einzige Symptom ist sichtbares Blut im Stuhl. Wer dies bemerkt, sollte unbedingt zum Arzt, denn hier ist eine Abklärung durch eine Darmspiegelung wichtig. Polypen, die Vorstufen für ein Karzinom bilden können, bereiten keine Schmerzen. Man kann sich also gesund fühlen und trotzdem schwer krank sein.

    Forschende kamen jüngst zu dem Ergebnis, dass in einigen Ländern der EU die Sterberaten bei Darmkrebs bei den 25- bis 49-Jährigen stark angestiegen sind. Trifft Darmkrebs auch hierzulande immer mehr junge Menschen?

    Birkner: Ja, Darmkrebs trifft immer mehr Jüngere. Man geht hier davon aus, dass auch das zunehmende Übergewicht und der Bewegungsmangel eine große Rolle spielen. Die Zahlen bei den unter 50-Jährigen steigen, die Zahlen bei den über 50-Jährigen sinken – Letzteres eben dank der Darmkrebsvorsorge. Daher kämpfen wir als Netzwerk gegen Darmkrebs schon seit Langem dafür, dass gerade bei einer familiären Vorbelastung die Betroffenen bereits ab dem 30. Lebensjahr zur Koloskopie gehen können. Wir hoffen, hier nun bald einen Durchbruch erzielen zu können, und die Kassen diese Untersuchung wirklich als Vorsorgeleistung bezahlen. 

    Es heißt immer: Wenn bei jemandem in der Familie Darmkrebs vorkommt, ist das Risiko, ebenfalls zu erkranken, deutlich erhöht ...

    Birkner: Ja, das stimmt: Wenn in der Verwandtschaft ersten oder zweiten Grades Darmkrebs vorkommt, erhöht sich das Risiko. Übrigens spielen hier auch die Summe der Erkrankungen und das Alter, in dem die Betroffenen erkrankt sind, eine große Rolle, so kann sich das Risiko sogar bis um ein Zehnfaches erhöhen.

    Um über Darmkrebs und die Vorsorgemöglichkeiten aufzuklären, gibt es sogar schon einen begehbaren Darm.
    Um über Darmkrebs und die Vorsorgemöglichkeiten aufzuklären, gibt es sogar schon einen begehbaren Darm. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat nun ihre Empfehlungen erneuert und rät beispielsweise dazu, nur noch 300 Gramm Fleisch und Wurst in der Woche zu essen. Welche Rolle spielt der Fleisch- und Wurstkonsum gerade bei der Entstehung von Darmkrebs?

    Birkner: Daten, die exakte Rückschlüsse zulassen, haben wir hier leider noch nicht. Allerdings tragen wir alle ein sogenanntes intestinales Mikrobiom in uns. Das ist eine hochaktive biologische Substanz, die unter anderem auch für die Entstehung von Krebs mitverantwortlich ist, und für diese Substanz sind sowohl das Lebensumfeld als auch die Ernährung ausschlaggebend. Und wir haben Hinweise darauf, dass in Regionen, in denen beispielsweise viel rotes Fleisch gegessen wird, die Darmkrebsquote besonders hoch ist. Daher ist es in jedem Fall ratsam, auf eine gesunde Lebens- und Ernährungsweise zu achten, wozu auch gehört, wenig Fleisch und Wurst zu essen.

    Gibt es auch bei den Therapien gegen Darmkrebs Fortschritte?

    Birkner: Je früher der Tumor entdeckt wird, desto besser sind die Heilungschancen: Hat der Darmtumor das Stadium eins oder zwei, reicht oft ein chirurgischer Eingriff, der keine Chemotherapie nötig macht. Hat der Darmtumor aber bereits die Stufe drei oder vier erreicht, wird es komplexer.

    Zur Person: Dr. Berndt Birkner, 75, ist Internist mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie und praktiziert in München. Er ist Gründungsmitglied und nun Präsident des bundesweiten Netzwerkes gegen Darmkrebs.

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