Herr Schmiege, was ist derzeit die größte Herausforderung auf dem Privatradiomarkt?
Thorsten Schmiege: Herausfordernd sind vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen ist da eine Vielzahl neuer Kanäle, Streaming-Plattformen, Video-on-Demand-, Audio- oder Smart-TV-Angebote und Mediatheken, die mit den klassischen linearen Programmen um ihr Publikum konkurriert. Zum anderen sind die Zeiten an sich herausfordernd: Pandemie-Nachwirkungen, der Angriffskrieg gegen die Ukraine und Inflation verändern die Erlösstrukturen lokaler Medien.
Sind Sie zuversichtlich, dass die Branche in diesem Umfeld bestehen kann – gerade auch angesichts der nach wie vor starken Konkurrenz durch Anbieter wie Google oder Spotify?
Schmiege: Gerade die Pandemie hat es sehr deutlich gemacht: Lokaler Rundfunk ist relevant. Relevant für die Berichterstattung vor Ort, relevant und nah dran. Doch das Medien-Nutzungsverhalten der Menschen hat sich geändert: Gerade die Jüngeren streamen immer mehr. Wie also kann der Lokalfunk bewährte Stärken noch sichtbarer machen? Wie kann er sich in der digitalen Welt noch digitaler aufstellen? Hier braucht es langfristig angelegte Digitalstrategien. Ein "Weiter so" ist keine Lösung.
Kommt zu der von Ihnen beschriebenen Lage noch ein Fachkräftemangel hinzu – wie in anderen Bereichen auch?
Schmiege: Dieser Begriff war in der Medienbranche lange ein Fremdwort. Das hat sich geändert – leider. Der Wettkampf um Talente ist in vollem Gang. In den Bereichen Virtuelle Realität, Audio/Radio und Marketing/PR/Werbung ist er am größten. Das hat eine Bedarfsstudie für die bayerische Medienwirtschaft ergeben, die unsere Tochter "Start Into Media" letzten Herbst veröffentlicht hatte.
Es wird gerade viel über die "Generation Z" und deren geänderte Haltung zu Arbeit gesprochen, Stichwort: Wunsch nach Vier-Tage-Woche. Bekommen das die lokalen Privatradios zu spüren? Und, anders gewendet: Welche Veränderungen bewirken zum Beispiel die jungen Radiomacherinnen und Radiomacher?
Schmiege: Faire Bezahlung, angenehmes Arbeitsumfeld, Flexibilität – das sind schon Themen, die von der "Gen Z" eingefordert werden, auch beim Privatradio. Was nicht heißt, dass junge Radiomacherinnen und Radiomacher, die für das Medium brennen, nicht auch mal Überstunden machen, wenn am Ort gerade etwas los ist. Dennoch: Die jungen Leute achten mehr auf ihre Work-Life-Balance, aber auch auf Themen wie Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Das sollten die Funkhäuser beim Recruiting im Kopf haben.
Den öffentlich-rechtlichen Programmen wird derzeit wieder verstärkt vorgeworfen, online zu textlastig zu sein. Teilen Sie den Eindruck – und erleben Sie einen fairen Wettbewerb?
Schmiege: Die Diskussion um die Internetauftritte der öffentlich-rechtlichen Sender steht meiner Meinung nach für ein grundsätzliches Problem: Die Balance im dualen Rundfunksystem stimmt nicht mehr – und das geht zulasten der privaten Anbieter. Nicht umsonst ist der Ruf nach Reformen aktuell sehr laut. Klar muss dabei sein: Es bringt nichts, sich gegenseitig das Leben schwerzumachen. Gerade im Wettbewerb mit den globalen Anbietern sollten wir auf Kooperation statt Konfrontation setzen. Das bedeutet aber auch, der anderen Seite des dualen Rundfunksystems nicht das Wasser abzugraben.
Sie beaufsichtigen unter anderem auch Twitter: Wie fällt hier Ihr Fazit aus? Hat sich die Aufsicht durch die BLM bewährt und zeigt sie, etwa im Kampf gegen Hass und Hetze, Wirkung – oder wird die BLM von den Internetgiganten eher nicht so ernst genommen?
Schmiege: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, kurz BLM, hat die Aufsicht über große Player, etwa Twitter, Twitch oder Amazon Prime Video, das stimmt. Für alle diese globalen Anbieter ist Deutschland – und Europa insgesamt – ein wichtiger Markt. Wir sollten uns deshalb nicht kleiner machen als wir sind: Das Bewusstsein für die deutsche Medienregulierung und wichtige Themen wie den Kampf gegen Hass und Hetze im Netz ist inzwischen vorhanden und wird zudem immer größer. Wir können durchaus auf Augenhöhe agieren. Und wir werden ernst genommen: So konnten wir im Jugendschutz deutliche Verbesserungen beim Kampf gegen Hetze und Fake News erreichen.
Zur Person Thorsten Schmiege, 1974 im nordrhein-westfälischen Siegburg geboren, ist seit 2021 Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) mit Sitz in München sowie auch stellvertretender Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Die BLM genehmigt und beaufsichtigt als eine von 14 Landesmedienanstalten in Deutschland unter anderem die privaten Hörfunk- und Fernsehangebote in Bayern. Seit etwas mehr als einem Jahr überprüft die BLM zudem Verstöße gegen die Impressumspflicht gemäß Medienstaatsvertrag und Telemediengesetz. Die Lokalrundfunktage sind der deutschlandweit größte Branchentreff für den lokalen und regionalen Rundfunk.