Herr Blume, lassen Sie uns über die Zukunft reden. Viele Menschen im Land sehen da offenbar schwarz. Sie sind als Wissenschaftsminister mit dafür zuständig, dass Bayern den Anschluss nicht verpasst. Ist es wirklich so ernst?
Markus Blume: Die Ampel hat die Lage so ernst gemacht. Deutschland erlebt einen schleichenden Abstieg, einen Prozess der Deindustrialisierung. Die Wohlstandsverluste sind nicht sofort spürbar. Es gibt keinen Massenexodus aus Deutschland. Aber das Gefährliche ist: Man realisiert das alles erst dann, wenn nichts mehr zu machen ist. Das ist wie mit dem Frosch, der im Wasser hocken bleibt, obwohl die Temperatur langsam und stetig steigt. Wenn das Wasser kocht, ist es für den Frosch zu spät.
So ganz eindeutig aber zeigt sich das nicht. Bei der Digitalisierung hinkt Deutschland zweifellos hinterher, aber andererseits investieren große Software-Konzerne wie Microsoft oder Apple in München und nicht anderswo in Deutschland oder Europa. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Blume: Weil Bayern mit seinem Konzept von „Heimat und Hightech“ die Premium-Region in Europa ist. Wir haben die Talente der Welt bei uns. Das ist der Grund, warum die „Big Five“ der US-amerikanischen Hightech-Unternehmen sich dafür entschieden haben, ihre europäischen Forschungs- und Entwicklungszentralen in München anzusiedeln. Bayern ist hochattraktiv. Unser Problem ist Deutschland: die katastrophale Wirtschaftspolitik von Robert Habeck, der komplett fehlende Gestaltungswille von Olaf Scholz, die völlige Ambitionslosigkeit einer Bundesforschungsministerin. Wir müssen endlich wieder dafür sorgen, dass Neues entstehen kann. In den erfolgreichsten Regionen der Welt, wie zum Beispiel im Silicon Valley in Kalifornien, hat der Staat neue Technologien und Industrien mit Milliardenbeträgen angeschoben. Die Bundesregierung dagegen gibt Milliardensubventionen dafür aus, ausländische Konzerne mit Technologie von gestern – wie bei der Chipfabrik in Magdeburg – nach Deutschland zu holen. Das ist deshalb ein Fehler, weil umgekehrt diese Milliarden fehlen, um die Entstehung neuer digitaler Champions zu fördern. Da muss ich mich schon fragen: Wo ist denn die Hightech-Strategie der Bundesregierung? Wir brauchen dringend einen nationalen Forschungsgipfel.
In Bayern ist Ihre Partei, die CSU, seit Jahrzehnten an der Regierung. Warum macht sie es nicht besser?
Blume: Das tun wir doch. Bayern steht besser da als jedes andere Land in Deutschland, gerade, weil die CSU hier schon so lange regiert. Im Gegensatz zu Deutschland sind wir noch nicht in der Rezession. Und Markus Söder hat es mit der Hightech-Agenda, einem 5,5 Milliarden schweren Investitionsprogramm in Wissenschaft, Forschung und Innovation, geschafft, den Braindrain umzukehren und die klügsten Köpfe der Welt hierher zurückzuholen. Wir reden da über 1000 neue Professuren und über 13.000 neue Studienplätze, die übrigens inzwischen zu einem Drittel von internationalen Studierenden besetzt sind.
Wo ist dann das Problem?
Blume: Wir können nicht jeden Fehler und jedes Versäumnis auf Bundesebene mit eigenen Mitteln ausgleichen. Die großen Wettrennen in der Welt zur Kernfusion, beim Quantenrechner oder in der künstlichen Intelligenz erfordern Milliardeneinsatz, der die Möglichkeiten eines einzelnen Landes übersteigt. Der Bund muss hier mitziehen. Und dann brauchen wir eine Reindustrialisierungsstrategie, die den Wohlstand von morgen sichert. Ich möchte mich nicht damit begnügen, dass Bayern am Ende die Talentschmiede für die Welt ist. Bayern soll auch ein wichtiger Produktionsstandort, ein kompletter Wirtschaftsstandort sein. Wir müssen unseren Vorsprung in der Technik auch in einen Vorsprung in der Produktion umsetzen.
Ziehen Sie da mit dem bayerischen Wirtschaftsminister an einem Strang? Zuletzt gab es ja einiges Hickhack zwischen der CSU und Hubert Aiwanger.
Blume: Ich glaube, er weiß, dass wir mehr tun müssen, um aus neuer Technologie neue industrielle Stärke zu machen, von der außeruniversitären Forschung über die Startup-Förderung bis hin zu neuen Finanzierungsvehikeln. Und daneben fordern die Energiepolitik, der Mobilfunkausbau, die Exportstrategie weiterhin volle Aufmerksamkeit. Es gibt also genug zu tun. Regieren statt demonstrieren, das erwartet die Bevölkerung von uns.
Sie regieren seit mehr als fünf Jahren gemeinsam mit Hubert Aiwanger und den Freien Wählern. Jetzt wird er plötzlich aus der CSU heraus regelmäßig mit Kritik konfrontiert. Was hat sich da geändert im Verhältnis zueinander?
Blume: Die Anforderungen der Zeit haben sich geändert. Die Einschläge kommen näher: Unternehmen verlagern Arbeitsplätze ins Ausland oder investieren aufgrund von Fehlentscheidungen in Berlin nicht mehr in dem Maße bei uns wie früher. Deswegen ist es jetzt notwendig, sich auf die harten Fakten zu konzentrieren, zu den Unternehmen zu gehen und Strategien zu entwickeln.
Hubert Aiwanger nimmt für sich in Anspruch, mehr als jeder andere Politiker auf Volkes Stimme zu hören. Er hat gesagt, er wolle sich nicht hinterm Schreibtisch einsperren lassen.
Blume: Ich wundere mich etwas über die Diskreditierung des Schreibtischs (lacht). Aktuell würde ich sogar sagen, da ruft der Schreibtisch lauter als das Volk. Wir haben einige Mammutaufgaben vor uns!
Zuletzt ging es zwischen Ihnen und dem Wirtschaftsminister um die Frage, wer Bayern im Senat der Max–Planck-Gesellschaft vertritt. Herrn Aiwanger wurde vorgeworfen, regelmäßig nicht teilgenommen zu haben. Ist es wichtig, dort vertreten zu sein?
Blume: Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und insbesondere die Max-Planck-Gesellschaft haben für Bayern als der Wissenschafts- und Forschungsstandort der Republik eine exorbitante Bedeutung. In Martinsried bei München entsteht zum Beispiel das größte Zentrum für Biomedizin in Europa. Der Freistaat ist bereit, dort eine halbe Milliarde Euro mit der Max-Planck-Gesellschaft zu investieren. Das ist ein deutliches Bekenntnis.
Und wer sitzt da aus Bayern künftig im Senat? Das ist diese Woche ja offen geblieben.
Blume: Mein Ziel ist, dass dieser Platz im Senat weiterhin bayerisch besetzt werden kann.
Ein anderes Thema, das sehr emotional diskutiert wird, ist das Gendern. Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung angekündigt, das Gendern zu verbieten. Wie halten Sie das an den Universitäten?
Blume: Ich bekomme immer wieder Beschwerden, dass es Benachteiligungen bei Prüfungen gebe, wenn jemand irgendeinen Gender-Leitfaden nicht beachte. Wir gehen diesen Meldungen nach und tatsächlich scheint sich hier einiges verselbstständigt zu haben. Um es ganz klar zu sagen: An einer bayerischen Hochschule darf nicht gefordert werden, dass sich jemand von der amtlichen deutschen Rechtschreibung absetzen muss. Das werden wir den Hochschulen auch noch einmal in aller Deutlichkeit mitteilen und eine gesetzliche Verankerung im bayerischen Hochschulinnovationsgesetz prüfen. Im Übrigen gilt der Grundsatz „leben und leben lassen“.
Verboten wird also nicht das Gendern, sondern die Anweisung zu gendern.
Blume: Wir dulden keinen Genderzwang. Wir verwenden selbstverständlich geschlechtergerechte Sprache, reden von „Professorinnen und Professoren“. Auch der Begriff „Studierende“ hat sich eingebürgert. Sprachliche Künstlichkeiten wie Sternchen und Binnen-I oder spracherzieherische Tendenzen sind dagegen zu unterlassen.
Offene Fragen gibt es auch noch in Augsburg. Nach wie vor ist unklar, wo der Neubau der Uniklinik errichtet werden soll. Können Sie uns da schon etwas mehr sagen?
Blume: Die erste große Entscheidung steht an. Wir sind gerade dabei, die Standortalternativen zu untersuchen. Bis Mitte 2025 sollen eine Machbarkeitsstudie und der städtebauliche Entwurf vorliegen. Mein Wunsch wäre, so viel kann ich sagen, das Areal im Südwesten.
Und wann können dann die Bagger anrollen?
Blume: Ich hoffe, dass wir nach 2025 – also nach Abschluss der Grobplanung – schnell vorwärtskommen. Die gesamte Realisierungszeit dürfte etwa 15 Jahre betragen.
Gleichzeitig gibt es aber auch im Altbau Sanierungsbedarf. Wie sieht es damit aus?
Blume: Es geht am Uniklinikum ja schon heute Schlag auf Schlag. Das neue OP-Zentrum-West geht demnächst ans Netz. Noch in diesem Jahr wollen wir das erste Lehr- und Forschungsgebäude eröffnen. Und wir werden in den Bestand so lange investieren, wie es notwendig ist, um den Betrieb gut am Laufen zu halten. Und beim Personal kommen wir auch mit rasender Geschwindigkeit voran: 57 der geplanten 100 Professuren sind bereits besetzt. Weitere 20 Berufungsverfahren laufen. Wir haben für Augsburg bisher wirklich herausragende Köpfe gewinnen können. Das ist ein echtes Ausrufezeichen für die Augsburger Unimedizin und die medizinische Versorgung in der Region.
Zur Person: Markus Blume, 48, ist bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Zuvor war der CSU-Politiker aus München von 2018 bis 2022 Generalsekretär seiner Partei.