Herr Präsident Körner, die Enthüllungen über ein Geheimtreffen von AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmern in Potsdam haben dazu geführt, dass Hunderttausende von Menschen in Deutschland für Rechtsstaat und Demokratie auf die Straße gegangen sind. An dem Treffen in Potsdam haben angeblich auch Mitglieder der Werteunion teilgenommen, die gerade dabei ist, sich unter Führung Ihres früheren Kollegen, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, zu einer neuen Partei zu formieren. Was empfinden Sie da, wenn ein Ex-Verfassungsschützer in solchen Kreisen unterwegs ist?
BURKHARD KÖRNER: Die Werteunion ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes – weder im Bund, noch in Bayern. Sie ist ja noch nicht einmal als Partei konstituiert. Und auf mein persönliches Empfinden, da bitte ich um Verständnis, kommt es in meiner Funktion als Amtsleiter nicht an.
Spannend ist aber doch, dass es um die AfD herum diesen Graubereich gibt. Wie bestimmen Sie die Grenze zwischen, nennen wir es mal, stramm rechts- oder nationalkonservativ und rechtsextrem?
KÖRNER: Extremismus ist – egal ob rechts oder links – gesetzlich klar definiert. Extremistisch ist, wer wesentliche Grundsätze der Verfassung zumindest teilweise abschaffen oder beseitigen will, insbesondere das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürde. Ein klar rechtsextremistisches Gesellschaftsideal ist zum Beispiel der ethnisch-kulturell oder ethnisch biologistisch begründete Begriff einer homogenen Volksgemeinschaft. Auch das Konzept des Ethnopluralismus der identitären Bewegung steht in eindeutigem Widerspruch zum Prinzip der Menschenwürde im Grundgesetz.
Wenn also jemand, wie zum Beispiel Frau Le Pen, in Frankreich sagt, ich mag Marokkaner, aber Marokkaner haben in Frankreich nichts verloren, dann ist das Ethnopluralismus?
KÖRNER: Genauso ist es. Dahinter steckt die Vorstellung, dass ein ethnisch-biologistisch oder ethnisch-kulturell definiertes Volk aufgrund seiner Vergangenheit einen bestimmten Raum besiedeln muss, aber in anderen Räumen nichts zu suchen hat. Ethnopluralismus ist in letzter Konsequenz nichts anderes als Rassismus.
Was bedeutet das für den Umgang mit der AfD? Sie haben sich gegen ein Verbotsverfahren ausgesprochen. Warum?
KÖRNER: Das hat mehrere Gründe. Erstens: Ein solches Verfahren birgt ein sehr hohes rechtliches Risiko, weil die Hürden für ein Verbot einer Partei im Grundgesetz sehr hoch sind. Es müsste der Nachweis geführt werden, dass die gesamte Partei die Kernwerte der Verfassung bekämpft. Dass Teile der Partei diese Werte ablehnen, reicht nicht aus. Zweitens: Ein Verbotsverfahren kann viele Jahre dauern. Selbst wenn es am Ende erfolgreich sein sollte, kann die AfD die Zeit nutzen, um sich als Opfer darzustellen. Das könnte im Hinblick auf die jetzt anstehenden Wahlen zum Problem werden. Und drittens: Mit einem Verbotsverfahren bekommt man rechtsextremes Gedankengut nicht aus den Köpfen. Das kann meiner Meinung nach nur über politische Auseinandersetzung gelingen. Aber klar ist auch: Die Entscheidung liegt bei Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Sollte ein Verbotsverfahren angestrebt werden, werden wir uns selbstverständlich im Rahmen der Materialsammlung daran beteiligen.
Ministerpräsident Markus Söder hat sich ebenfalls gegen ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen. Aber er hat vorgeschlagen, mehr Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD zu sammeln, um ihr – ähnlich wie bei der NPD – über Beschränkungen bei der Parteienfinanzierung beizukommen. Was halten Sie davon?
KÖRNER: Wir würden selbstverständlich auch hier mitwirken, aber ich bin da, ehrlich gesagt, skeptisch. Die NPD ist mit der AfD nur schwer zu vergleichen. Ich befürchte, dass ein derartiges Verfahren ähnlich schwierig, langwierig und riskant wäre wie ein Verbotsverfahren. Auch hier müsste geklärt werden, ob die Partei als Ganzes die Kernelemente der Verfassung bekämpft.
Der Verfassungsschutz in Bayern beobachtet die AfD noch nicht so lange. Was können Sie über die Entwicklung der Partei im Freistaat sagen?
KÖRNER: Zunächst einmal erfüllt es uns mit Sorge, dass es für die Wählerinnen und Wähler offenbar nachrangig ist, ob die AfD Beobachtungsobjekt ist oder nicht. Im Jahr 2018, als die Partei noch kein Beobachtungsobjekt war, hat sie bei Wahlen etwa zehn Prozent erreicht. Im Jahr 2023, als sie bereits beobachtet wurde, hat sie in Bayern fast 15 Prozent erreicht. Auch Umfragen haben ergeben, dass es für Menschen, die die AfD wählen, nicht darauf ankommt, ob sie als rechtsextremistisch gilt oder nicht.
Und das, obwohl sich die AfD offenkundig radikalisiert.
KÖRNER: Körner: Ja, die AfD driftet weiter nach rechtsaußen. Wir stellen fest, dass die AfD sich immer weniger und zum Teil gar nicht mehr von der extremistischen Neuen Rechten abgrenzt. Daneben war der Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke im vergangenen Jahr auch in Bayern bei mehreren Veranstaltungen präsent. Da hat keinerlei Abgrenzung stattgefunden. Es gibt einen Nichtvereinbarkeitsbeschluss, mit dem sich die AfD von rechtsaußen distanziert. Von einer tatsächlichen Distanzierung ist immer weniger festzustellen.
Das zeigt sich ja auch in der neuen Landtagsfraktion, in der gemäßigte Kräfte faktisch keine Rolle mehr spielen.
KÖRNER: Zur AfD im Landtag kann ich nichts sagen, weil das Abgeordnetenmandat rechtlich besonders geschützt ist. Hier gibt es für eine Beobachtung noch höhere Hürden. Wir beobachten die Partei, nicht die Fraktion oder ihre Mitglieder.
Beobachten Sie in Bayern ähnliche Vernetzungstreffen wie kürzlich in Potsdam?
KÖRNER: Nicht in dieser Dimension. Aber es gibt durchaus auch in Bayern Veranstaltungen, die sowohl von der AfD wie von der Identitären Bewegung bedient werden. Wir hatten vergangenes Jahr zur Sicherheitskonferenz in München eine AfD-Veranstaltung, bei der auch Mitglieder der Identitären Bewegung und rechtsextremistische Burschenschaftler aufgetreten sind und bei der ein Transparent zum Thema „Remigration“ festzustellen war. Und am 11. November 2023 gab es eine Veranstaltung der Identitären Bewegung in Dasing im Landkreis Aichach-Friedberg, an der auch AfD-Mitglieder teilgenommen haben. Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner hat dort gesprochen. Wir nehmen an, dass er auch dort sein Konzept zur „Remigration“ beworben hat.
Aus Anlass der jüngsten Demonstrationen ist viel darüber diskutiert worden, dass Extremisten – linke wie rechte – versuchen, diese Proteste für ihre Zwecke zu nutzen oder zu unterwandern. Waren denn bei den Demonstrationen der Bauern auch rechtsextreme Aktivisten oder bei der Anti-rechts-Demo in München „linke Sektierer“ am Werk?
KÖRNER: Extremisten jeder Couleur versuchen immer, aktuelle Themen aufzugreifen, um in die Mitte der Gesellschaft hineinzuwirken. Das ist kein neues Phänomen. Bei den Bauernprotesten haben wir gesehen, dass auch rechtsextremistische Gruppen zum Protest aufgerufen haben. Der Bauernverband hat sich davon klar distanziert und es ist den Rechtsextremisten nicht gelungen, maßgeblichen Einfluss auf diese Demonstrationen zu nehmen. Die große Demonstration gegen die AfD in München war aus meiner Sicht eine tolle Geschichte, weil sich hier alle demokratischen Kräfte zusammengeschlossen haben, um eine Brandmauer gegen den Rechtsextremismus zu bilden. Hier war es zwar so, dass einzelne Linksextremisten Mitveranstalter waren und auch einige entsprechende Reden gegen demokratische Parteien, sei es aus dem Regierungs- oder dem Oppositionslager, gehalten wurden. Das ist problematisch, weil damit unklar wird, wo die Brandmauer verläuft. Aber auch hier gilt, dass es den Linksextremisten nicht gelungen ist, maßgeblich auf diese Veranstaltung einzuwirken.
Zur Person
Burkhard Körner, 59, ist seit 1. August 2008 Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtswissenschaften und promovierte dort 1992. Nach einem Einsatz als Richter am Verwaltungsgericht München ernannt, und als Referent für Polizei- und Sicherheitsrecht im bayerischen Innenministerium, bekleidete er mehrere leitende Stellen bei der Polizei und im Innenministerium. Zuletzt war er dort Stellvertreter des Landespolizeipräsidenten.