Herr Felßner, Sie sind seit knapp einem Jahr Präsident des Bayerischen Bauernverbandes und werden seit einiger Zeit mit dem provokanten Satz zitiert: „Esst Fleisch für den Klimaschutz!“ Können Sie diesen Satz erklären?
GÜNTHER FELSSNER: Ja, das kann ich. Durch die Rinderhaltung, wie wir sie in Bayern betreiben, kommt kein zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre, weil es sich um einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf handelt. Pflanzen binden das CO₂ aus der Luft und es entsteht Futter für die Rinder, die den Kohlenstoff in Fette und Proteine umwandeln. Wir essen das Fleisch und trinken die Milch. Tier und Mensch atmen Kohlendioxid aus. Die Pflanzen binden den Kohlenstoff erneut. Das ist ein biogener Kreislauf, den es seit Jahrmillionen gibt. Kurz gesagt: Ein Rind kann kein einziges Kohlenstoffatom zusätzlich produzieren, also auch kein zusätzliches CO₂. Im Gegenteil: Die Kuh hilft, die Wiesen zu erhalten, und macht aus Gras Lebensmittel für uns Menschen.
Sie reden so, als könnte die Landwirtschaft in Bayern schon jetzt klimaneutral arbeiten.
FELSSNER: Wir sind tatsächlich der Wirtschaftssektor, der den Pariser Klimaschutzzielen schon am nächsten ist. Der Ehrlichkeit halber muss ich aber zugeben, dass Fleisch und Milch selbstverständlich einen CO₂-Abdruck hinterlassen - allerdings nicht wegen Kuh oder Schwein, sondern zum Beispiel wegen des Traktors, der mit Diesel, also mit fossiler Energie betrieben wird. Daher kommt eine gewisse Klimawirkung. Um unabhängiger zu werden, haben wir vor über 20 Jahren angefangen, Biokraftstoffe selbst zu erzeugen. Da wussten wir noch gar nicht, dass das Klimaschutz heißt. Das hat man dann vor zehn Jahren besteuert und kaputt gemacht, nur damit die Mineralölindustrie wieder Geld verdient. Ohne diese Besteuerung wären wir schon weiter und könnten mit Pflanzen mehr Biokraftstoffe und Werkstoffe produzieren. Biogene Kreislaufwirtschaft in der Region statt Verbrauch fossiler Rohstoffe, die importiert werden müssen - damit wäre die Landwirtschaft die erste Branche, die tatsächlich klimaneutral ist, und zwar ohne Kompensation durch irgendwelche Zertifikate.
Liegen somit die Leute, die für den Klimaschutz den Verzicht auf Fleischkonsum propagieren, Ihrer Ansicht nach völlig falsch?
FELSSNER: Ja, völlig. Aus meiner Sicht gibt es einen sehr grundlegenden Denkfehler in der Klimapolitik. Als der Klimawandel untersucht wurde, da hat man gefragt, wo kommt das her? Dann hat man CO₂ und andere klimaschädliche Gase als Ursache identifiziert. Und dann geschah der entscheidende Fehler: Man hat nur die Emissionen betrachtet. Der Auspuff am Auto und der Schlot auf dem Haus wurden mit dem „Auspuff“ von Nutztieren gleichgesetzt. Dabei wurde völlig missachtet, dass nur durch den Verbrauch fossiler Energien – also Kohle, Erdöl und Erdgas – zusätzliches CO₂ in die Atmosphäre gelangt, aber eben nicht durch geschlossene biogene Kohlenstoffkreisläufe.
Sie sagen, die Landwirtschaft kann Klimaschutz. Kann sie auch Arten-, Natur- und Tierschutz?
FELSSNER: Natürlich können wir auch das. Wenn aber Importe aus Billiglohnländern zugelassen werden, während wir hier Mindestlöhne von 12 oder 14 Euro zahlen müssen, dann geht das nicht. Und es geht auch nicht, wenn wir hier höchste Standards im Tierschutz einhalten oder beim Einsatz von Antibiotika beachten müssen, die andernorts nicht gelten. Wenn man, wie von der Bundesregierung geplant beim Mercosur-Abkommen mit Südamerika, Billig-Importen Tür und Tor öffnet, dann ist das kein fairer Wettbewerb. Aber es funktioniert, sobald die Produktionsstandards, die bei uns gelten, auch für alle Produkte gelten, die hierher importiert werden. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung, das Abkommen völlig neu zu verhandeln.
Jetzt müssen Sie noch erklären, warum die Agrarverbände sich mit solcher Wucht gegen das Renaturierungsgesetz der EU gestellt haben, das europaweit von mehr als 3000 Wissenschaftlern und weiten Teilen der Lebensmittelindustrie unterstützt wurde.
FELSSNER: Wir halten es für einen völlig falschen Ansatz, zehn Prozent der Flächen stillzulegen oder 30 Prozent unter verstärkten Schutz zu stellen. Denn im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung muss es uns in Europa gelingen, sich selbstständig mit Nahrung, regenerativer Energie und nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen und gleichzeitig unsere Ressourcen und die Artenvielfalt zu schützen. Um all diese Ziele zu erreichen und fossile Rohstoffe zu ersetzen, brauchen wir jeden Quadratmeter. Unsere Lösung heißt multifunktionale Flächennutzung und dazu gehört für mich eben auch der Schutz der Umwelt und Biodiversität.
Im EU-Parlament wurde aber doch nachgearbeitet. Es soll keine zusätzlichen Schutzgebiete geben und im Falle außergewöhnlicher sozioökonomischer Folgen sollen Ziele verschoben werden.
FELSSNER: Das ist der Erfolg unseres Protests. Jetzt kommt es darauf an, was man daraus macht. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) hat da in unserem Sinne heldenhaft gekämpft. Der ursprüngliche Vorschlag für großflächige Stilllegungen kam aus der EU-Kommission, die von Ursula von der Leyen (CDU) geführt wird. Er stammte aus der Zeit vor dem Krieg in der Ukraine mit all seinen dramatischen Auswirkungen. Flächen komplett stillzulegen ist ein Rezept aus den 90er Jahren und komplett aus der Zeit gefallen.
Welche Auswirkungen erwarten Sie für die bayerischen Bauern?
FELSSNER: Wie gesagt, das kommt darauf an. Wir haben bereits sehr hohe Schutzstandards und den höchsten Anteil an Landschaftsschutzgebieten. Entscheidend ist, dass die Regelungen zur neuen Rolle der Landwirtschaft passen und zusätzliche Auflagen oder Verbote am Ende nicht auf eine kalte Enteignung hinauslaufen.
Die EVP hat – gemeinsam mit Rechtsaußenparteien – auch gegen das überarbeitete Gesetz gestimmt. Rücken die Bauern nach rechts wie in den Niederlanden, wo die „Boer Burger Beweging“ bei Provinzwahlen stärkste Partei geworden ist?
FELSSNER: Dort sind Bauern enteignet und zum Teil mit Berufsverbot belegt worden. Familien stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Genau das ist, was ich kalte Enteignung nenne. Daraufhin haben sich viele Bürger mit den Landwirten solidarisiert. Wenn man die Menschen in Angst versetzt, dann kann es Entwicklungen geben, die man vorher nicht für möglich gehalten hat. In Deutschland oder Bayern sehe ich diese Gefahr weniger, weil wir hier zum Glück einen anderen Weg gehen. In der bayerischen Agrarpolitik gilt das Prinzip Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht. Das ist ein wesentlich faireres Modell: Die Gesellschaft hat Wünsche und macht über die Agrarpolitik Angebote. Und die Bauern erfüllen diese Wünsche, indem sie Maßnahmen umsetzen und dafür bezahlt werden. Unsere Landwirte sind zwar Freunde der deutlichen Aussprache, wenn ihnen etwas nicht gefällt, aber sie bekennen sich, wie ihr Wahlverhalten zeigt, zur demokratischen Mitte. Sie wissen genau, wie wertvoll eine stabile Demokratie für sie und ihre Familien ist.
Ihr Verband will mit der Staatsregierung noch vor der Landtagswahl einen „Zukunftsvertrag“ schließen. Das kennt man aus der Vergangenheit, da wurden vor Wahlen „Pakte“ geschlossen. Ist das nur wieder eine Polit-Show oder hat das Substanz? Und wie steht es um die parteipolitische Neutralität des Bauernverbandes?
FELSSNER: Wir positionieren uns als Verband inhaltlich, aber wir sind parteipolitisch neutral. Wir arbeiten in Bayern gut mit allen demokratischen Parteien zusammen. Fraktionschef Ludwig Hartmann und die Grünen im Landtag haben uns zum Beispiel beim Gebäudeenergiegesetz erfolgreich unterstützt, als es um die Nutzung von Holz als nachhaltigen Energieträger ging. Und der Zukunftsvertrag mit der Staatsregierung soll ein echter Vertrag und großer Wurf sein. Wir sind in den Gesprächen in der Schlussabstimmung. Ich bin zuversichtlich, dass wir konkrete Projekte für klar definierte Zeiträume mit konkreter Finanzierung fixieren können.
Zur Person
Günther Felßner, 56, steht seit Oktober 2022 an der Spitze des Bayerischen Bauernverbandes. Er stammt aus Lauf an der Pegnitz und bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb.