Herr Bischof, Sie gehören zu den wenigen deutschen Teilnehmern der mit großer Spannung erwarteten Weltsynode im Oktober. Mit welchen Erwartungen reisen Sie nach Rom?
Bischof Bertram Meier: Ich erwarte, einen ganz bunten Strauß der katholischen Kirche zu erleben. Und ich erhoffe mir, dass diese Vielfalt nicht als Bedrohung für die Einheit der Kirche gesehen wird, sondern als gegenseitige Bereicherung. Wir begehen ja im Bistum Augsburg gerade das Ulrichsjubiläum, dessen Leitwort ist "Mit dem Ohr des Herzens" hören. Das wünsche ich auch allen, die an der Synode teilnehmen.
Es wird bei der ersten Versammlung dieses Bischofstreffens – ein zweites folgt nächstes Jahr – um Reformanliegen aus aller Welt gehen. Und um Synodalität, unter der jeder etwas anderes zu verstehen scheint.
Meier: Es gibt da tatsächlich unterschiedliche Vorstellungen. Und wir müssen darum ringen, was es bedeutet, eine synodale Kirche zu sein – also eine Kirche zu sein, die sich gemeinsam auf den Weg der Erneuerung begibt. Denken Sie an den "Synodalen Weg" in Deutschland ...
... der höchst umstritten war und von Papst Franziskus kritisch gesehen wurde. Progressive Katholikinnen und Katholiken hatten sich grundlegende Reformen erwartet, konservative betrachteten ihn als Weg in die Kirchenspaltung.
Meier: Er hat einerseits große Reformgedanken angestoßen, andererseits zu Streit geführt. Umso gespannter darf man sein, wenn nun auf Weltebene verschiedene Strömungen und vielfältigste Stimmen aufeinandertreffen werden. Ich hoffe, dass wir weniger durch Interviews und Statements nach außen treten, sondern innerhalb der Synode in ein offenes und ehrliches Gespräch miteinander kommen.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, erhofft sich ein "schnelles Votum" für Reformen. Ist das realistisch?
Meier: Wir haben eine große Ungleichzeitigkeit innerhalb der katholischen Weltkirche. Nehmen wir das Beispiel Segnung für gleichgeschlechtliche Paare und Paare, die nicht in einer klassischen Ehe miteinander verbunden sind. Über dieses Thema haben wir auf dem Synodalen Weg in Deutschland gerungen.
Mit großer Mehrheit, auch der deutschen Bischöfe, wurde beschlossen, dass es ab 2026 offizielle Segensfeiern für diese Paare geben soll.
Meier: Das aber würde in einem afrikanischen Land auf Unverständnis stoßen. Dort müssen wir als Kirche zunächst einmal dafür kämpfen, dass Homosexualität nicht mit härtesten staatlichen Strafen belegt wird. Damit will ich sagen: Wir können einen deutschen Reformbeschluss nicht ohne Weiteres auf die Weltkirche übertragen. Ich finde: Es wäre ratsam, das Tempo etwas herauszunehmen – zu viel Veränderung bringt uns in Deutschland und auf Ebene der Weltkirche in Schwierigkeiten.
Das klingt, als wollten Sie Reformen ausbremsen.
Meier: Nein, die Themen sind doch in der Welt! Jetzt müssen wir sehen, welches Echo sie in Rom finden. Kürzlich waren Vertreterinnen und Vertreter reformorientierter Gruppen im Bistum Augsburg bei mir. Sie haben mir Briefe mit ihren Erwartungen zur Synode übergeben.
Den Reformgruppen sind unter anderem die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und Maßnahmen gegen Klerikalismus ein Anliegen.
Meier: Ich nehme auch diese Anliegen mit und bringe sie in die Synode ein. Aber ich werde nicht als Lobbyist dieser Themen auftreten. Interessant ist doch, dass es bei dieser Bischofssynode anders als früher keine Diskussionsgruppen in deutscher Sprache gibt. Ich zum Beispiel werde Teil einer Gruppe in italienischer Sprache sein. Ich sehe das als dringende Einladung Roms, dass wir Deutsche uns weltweit besser einbringen und unsere Ideen erläutern sollten.
Ist das eine römische Kritik an den Deutschen und ihren Reformforderungen?
Meier: Ich sehe die Weltsynode anders: Wir haben jetzt die Chance, uns zu outen.
Zu outen?
Meier: Wir können jetzt in Offenheit, direkt und nicht über Dritte ansprechen, welche Anliegen wir haben. Und ich möchte betonen: Die Weltsynode wird auch dann kein Misserfolg sein, wenn nicht all unsere Voten des Synodalen Wegs behandelt geschweige denn positiv beschieden werden. Um auch das ganz klar zu sagen: Ich möchte Enttäuschungen vermeiden, indem ich Hoffnungen dämpfe. Es wird bei diesem Treffen der Weltsynode keine Beschlüsse zu Reformthemen geben, wie wir sie in Deutschland haben. Es wird der Papst mit seinen engen Mitarbeitern sein, der im Anschluss für das Treffen im nächsten Jahr eine Art Prioritätenliste erstellen wird. Letztlich entscheidet er über mögliche Reformen.
Reformorientierten Teilnehmern steht etwa der frühere Glaubenspräfekt, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, gegenüber. Der bezeichnete ein mögliches Mehrheitsvotum für die Weihe von Frauen zu Priesterinnen als "apriori obsolet". Wie wollen Sie da vermitteln?
Meier: Ich sehe mich kirchenpolitisch keiner Partei zugehörig und verstehe mich nicht als Vermittler während der Synode. Ich werde versuchen, in der Mitte zu bleiben und die Mitte zu halten – und das ist die Orientierung an Jesus Christus und seinem Evangelium. Und noch etwas: Die Synode ist kein demokratisches Kirchenparlament. Sie ist ein spiritueller Prozess. Der Vermittler ist der Heilige Geist.
In Deutschland soll der "Synodale Weg" mit einem Synodalen Ausschuss fortgeführt werden. Nehmen Sie an dessen ersten Treffen im November teil?
Meier: Ich werde auf jeden Fall versuchen, das möglich zu machen.
Sie hatten mit vier weiteren Bischöfen Ende 2022 im Vatikan angefragt, ob Sie an dem Gremium überhaupt teilnehmen müssen. Die Antwort löste eine kontroverse Debatte aus, denn es hieß, die Bischöfe seien nicht dazu verpflichtet. Zugleich erteilte Rom dem Synodalen Rat, den der Synodale Ausschuss vorbereiten soll, eine Absage. Der Synodale Rat aus Bischöfen und Laien war als neues "Beratungs- und Beschlussorgan" gedacht.
Meier: Wir werden darum ringen müssen, wie sich der Synodale Ausschuss weiterentwickelt. Ich bin nach wie vor skeptisch, aber ich klinke mich bewusst nicht aus. Schließlich kann einer nur mitreden, wenn er dabei bleibt. Ich bin also weiter mit von der Partie und möchte mich einbringen. Auch das bedeutet für mich Synodalität.
Lassen Sie uns von der Kirchenpolitik zur Politik kommen. Machen Sie sich Sorgen um den Zustand der Demokratie in Deutschland?
Meier: Ich mache mir derzeit noch keine Sorgen um die Demokratie. Aber es gibt Kipppunkte.
Im Thüringer Landtag beschloss die oppositionelle CDU mit Stimmen der FDP und der rechtsextremen Höcke-AfD ein Gesetz.
Meier: Die AfD hat sich mittlerweile in der Parteienlandschaft etabliert. Das heißt: Wir müssen gut hinschauen und prüfen. Die AfD lediglich als Partei der Protestwähler zu interpretieren, greift mittlerweile deutlich zu kurz. Wir als katholische Kirche werden immer dafür Sorge tragen, dass menschenverachtende oder demokratiefeindliche Gruppierungen und Einzelpersonen benannt werden.
Der AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Bayern, Martin Böhm, sagte im Interview mit unserer Redaktion: "Wir wollen die Festung Deutschland und im besten Sinne natürlich die Festung Europa mit Aufnahmezentren außerhalb."
Meier: Die Zeiten, in denen es Wahl-Hirtenbriefe mit Empfehlungen gab, sind vorbei – und das ist gut so. Umso mehr appelliere ich an jede und jeden, Parteiprogramme zu studieren und sich mit einzelnen Kandidaten zu befassen. Es gilt, die politischen Kräfte zu stärken, die Menschlichkeit, Versöhnung, Frieden und soziale Gerechtigkeit vertreten. Das sage ich auch mit Blick auf Teile der Kirche. Wie die Kirche tritt etwa die AfD zum Beispiel für den Schutz ungeborenen Lebens oder die Ehe von Mann und Frau ein – und doch können wir als Kirche nicht unsere Sichtweise auf solche Überschneidungen verengen.
Im westfälischen Rheine im Bistum Münster wird ein Pfarrer, der sich in einer Predigt kritisch über die AfD äußerte, angefeindet und bedroht. Gab es so etwas auch schon im Bistum Augsburg?
Meier: Zum Glück nicht. Eine Predigt ist keine politische Ansprache, aber ein Prediger muss sich selbstverständlich im Sinne des Evangeliums äußern dürfen.
Sollte ein AfD-Mitglied kirchliche Ämter wie das des Lektors oder das der Kommunionshelferin übernehmen dürfen?
Meier: Eine Parteimitgliedschaft allein ist kein Kriterium, Menschen auszuschließen. In solchen Fällen geht es darum, das Gespräch zu suchen. Wenn wir anfangen würden, Menschen auszugrenzen, drängen wir sie doch erst recht in eine vielleicht extreme Ecke.
Die Weltsynode: Bertram Meier wurde am 6. Juni 2020 zum neuen Augsburger Bischof geweiht. Er nimmt an der "XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode in Rom" teil, deren erste Sitzung vom 4. bis 29. Oktober 2023 dauert. Eine zweite folgt im Oktober 2024. Neben Meier werden an den Sitzungen die deutschen Bischöfe Felix Genn (Münster), Stefan Oster (Passau), Franz-Josef Overbeck (Essen) sowie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), teilnehmen. Zudem hat der Papst den früheren Glaubenspräfekten Kardinal Gerhard Ludwig Müller als Synodenmitglied benannt.
Als Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks Renovabis mit Sitz in Freising wird auch der in Augsburg lebende Priester Thomas Schwartz an der Weltsynode als "besonderer Gast" teilnehmen. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, wird als Experte ohne Stimmrecht vor Ort sein.
Insgesamt hat die Weltsynode 375 stimmberechtigte Mitglieder, darunter rund 275 Bischöfe, etwas mehr als 50 Priester und Ordensleute sowie rund 45 Frauen und Männer im Laienstand. Der weltweite synodale Prozess, zu dem die beiden Treffen in Rom gehören, steht unter dem Leitmotiv "Eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Mission, Partizipation".