Eigentlich wollte Hubert Aiwanger über die Flugblatt-Affäre gar nicht mehr reden. Im Gespräch mit unserer Redaktion tut er es dann doch. Er beharrt darauf, dass die Affäre in erster Linie auf einer Kampagne gegen ihn beruht. Und er erklärt, welche Pläne er als bayerischer Wirtschaftsminister noch hätte. Am Ende bleiben Fragen offen. Ein Interview der anderen Art.
Herr Aiwanger, die Freien Wähler sind in Umfragen stark wie noch nie. Würden Sie sagen, die vergangenen drei Wochen sind bestens für Sie gelaufen?
Hubert Aiwanger: Wir wurden schon in den vergangenen Jahren in den Umfragen im Vorfeld teilweise deutlich unterschätzt und gingen zum Schluss nach oben. Dass wir so 13, 14, 15 Prozent haben, hat sich schon länger abgezeichnet. Wir haben gesehen, dass die Grünen nicht mehr den richtigen Ton treffen bei den Menschen, dass sie zunehmend in Kritik geraten mit dem Heizungsgesetz, während wir aufgrund der Regierungsbeteiligung und vielen passenden Themen den Zuspruch bekommen haben. Die aktuelle Debatte wird noch mal zwei, drei Prozent gebracht haben, weil die Menschen sagen: Wir sehen das als Kampagne. Dennoch hätte ich auf diese Debatte natürlich verzichten können.
Wir sprechen von der Flugblatt-Affäre. Wann war da für Sie der persönliche Tiefpunkt erreicht?
Aiwanger: Natürlich mit Beginn der Berichterstattung. Wenn eine von der Sachlichkeit abgekoppelte reißerische Verdachtsberichterstattung mit Falschbehauptungen über dich hereinbricht, die offenbar sehr lange vorbereitet ist und taktisch abgewickelt wird, ist das nicht einfach.
Sie haben mehrfach gesagt, an vieles erinnern Sie sich nicht mehr so genau. Und Sie haben gesagt, Zitat: „Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich, hat wirklich wichtige gedankliche Prozesse angestoßen.“ Können Sie noch mal erklären, welche gedankliche Prozesse er bei Ihnen angestoßen hat in der Jugend?
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Hinweis
In eigener Sache: Wenn wir als Redaktion Politiker interviewen, legen wir größten Wert auf Fairness. Das heißt, wir legen das fertige Interview unserem Gesprächspartner zur Autorisierung seiner Antworten vor. Er soll sich weder falsch verstanden, noch falsch zitiert fühlen. Er kann Antworten korrigieren, umformulieren, präzisieren, kürzen oder ergänzen. Nach journalistischen Grundsätzen nicht zu akzeptieren ist allerdings, dass unsere Gesprächspartner Fragen streichen, die in dem Interview gestellt und beantwortet wurden. Genau das wurde in diesem Fall kurz vor Redaktionsschluss versucht. Deshalb dokumentieren wir hier auch die Fragen, die Aiwanger dann entgegen der Absprache doch nicht beantworten wollte.
Im Rückblick auf die vergangenen zwei, drei Wochen. Haben Sie da auch Fehler gemacht in Ihrem Krisenmanagement?
Aiwanger: Einer der Hauptvorwürfe ist ja, ich hätte früher anders reagieren müssen, mich mehr entschuldigen müssen. Gleichzeitig sagen andere: Wofür entschuldigst du dich denn überhaupt? Für Dinge, die gar nicht stimmen? Oder an die du dich nicht erinnern kannst? Ich habe mich entschuldigt, habe mich von dem Inhalt des Papiers deutlich distanziert, das ich nicht geschrieben habe. Und zum Beispiel für angebliche Witze als Jugendlicher, an die ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann. Aber wie gesagt, sollte ich irgendwo Gefühle verletzt haben, dafür habe ich mich entschuldigt.
Was uns überrascht hat, ist, dass Sie sich an so viele Dinge nicht mehr erinnern können, wo es doch ein so einschneidendes Erlebnis war in Ihrer Jugend. Wenn sich so ein Schuldirektor vor einem aufbaut zur Standpauke, das weiß man doch noch.
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Ab wann haben Sie denn gewusst, dass Ihr Bruder dieses Flugblatt verfasst hat?
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Wäre es nicht eine Möglichkeit gewesen, es der Süddeutschen gleich bei der ersten Anfrage zu sagen: Ich war es nicht. Es war mein Bruder?
Aiwanger: Dann wäre mit Sicherheit keine Ruhe gewesen. Sie haben doch gesehen, was die danach geschrieben haben. Es sei eigentlich egal, wer es geschrieben hat. Also das hätte die Situation auch nicht entspannt. Die wollten die Freien Wähler rausdrängen und die Grünen ins Spiel bringen, um Fairness ging es da nicht.
Sie bleiben dabei, dass da eine Art Hetzkampagne gegen Sie läuft?
Aiwanger: Ich habe es als Schmutzkampagne bezeichnet. Pünktlich zur Wahl eine solche Berichterstattung über meine Jugendzeit. Und Sie müssen mal die Berichterstattung dieser Zeitung über die vergangenen Jahre verfolgen. Da war vom Schweinezüchter aus Niederbayern die Rede, vom Junggesellen, der noch immer bei den Eltern wohnt, bevor ich eine Familie hatte, und der nicht Hochdeutsch spricht. Also das war schon immer herablassend, gegen mich und die Landbevölkerung. Ich glaube, dass die Süddeutsche schon deutlich länger an der Geschichte dran ist als jetzt behauptet. Es gibt ja die bezeugte Aussage, dass ein Mitarbeiter aus der CSU-Landesleitung 2008 öffentlich gesagt hat, wir suchen Unterlagen vom Aiwanger aus der Schule, um den fertigzumachen. Und die Aussage, dass die SZ wohl damals schon bei dem Lehrer angefragt hat. Der fragliche Mitarbeiter der Landesleitung hat das dann aber abgestritten, als ich Herrn Seehofer damals diesbezüglich gefragt habe. Das ist also nach meiner Einschätzung schon länger in der Schublade der SZ und wurde zum vermeintlich richtigen Zeitpunkt platziert. Auch die SPD scheint ja schon länger informiert gewesen zu sein und gibt jetzt komischerweise keine Auskünfte dazu, obwohl sie noch vor wenigen Tagen bis hinauf zum Kanzler Scholz von mir volle Transparenz gefordert haben.
Können Sie sich im Lichte der Umfrageergebnisse nicht so ein bisschen ins Fäustchen lachen nach dem Motto „Jetzt seht Ihr, was Ihr davon habt“?
Aiwanger: Da vergeht einem das Lachen. Aber die Wirkung ist jetzt eben, wie wir es aktuell sehen. Die Menschen fühlen sich von der Berichterstattung auf den Schlips getreten und sagen, da ist nicht nur der eine gemeint, sondern ganze Landstriche und Bevölkerungsschichten. Aber trotzdem ärgert es mich, weil es einfach die Gesellschaft spaltet, wenn man ständig sagt, die da draußen muss man nicht ernst nehmen, die essen Fleisch, die sind von gestern. Wir müssen diese Spaltung auflösen und versuchen, wieder mehr Verständnis zwischen Stadt- und Landbevölkerung zu erreichen.
Mit Verlaub, das klingt jetzt neu. Aiwanger, der Versöhner? Ihnen wird doch vielfach vorgeworfen, dass Sie selbst kräftig losledern.
Aiwanger: Aber ich greife niemanden von mir aus an. Ich greife nicht den Veganer an, wenn der in seiner Stadtwohnung lebt und Ruhe gibt. Aber wenn der mir ständig sagt, dass ich kein Brennholz mehr heizen soll und als Bauer Tierquäler bin und kein Fleisch essen soll, dann halte ich dem den Spiegel vor.
Ist das in Bayern tatsächlich ein Problem: Augsburg gegen das Umland, München gegen den Rest?
Aiwanger: Ich sehe das als Problem, wenn sich das verfestigt. Diese Themen haben sich auch schon verfestigt und die sind schon aus einer linken Ecke gezielt ständig gekommen – deswegen halte ich da aus Überzeugung dagegen.
Wollen Sie, falls die Koalition mit der CSU bei den Wahlen bestätigt wird, stellvertretender Ministerpräsident bleiben?
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Wie ist denn jetzt Ihr Verhältnis zu Ministerpräsident Markus Söder nach der ganzen Geschichte?
Aiwanger: Ein Herz und eine Seele waren wir noch nie, aber wir arbeiten im Sinne Bayerns zusammen.
In der Flugblatt-Affäre stand es für Sie Spitz auf Knopf. Was hat Ihren Kopf gerettet: die guten Umfragewerte, der Rückhalt in der eigenen Partei oder Söder, nachdem Sie seine 25 Fragen beantwortet hatten?
Aiwanger: Alles zusammen.
Beim Gillamoos-Volksfest haben Sie und Söder das Thema mit keiner Silbe erwähnt. Haben Sie das bei diesem gemeinsamen Gespräch an dem Samstagabend so vereinbart?
Aiwanger: Wir wollten beide Sachthemen nach vorne stellen.
Herr Aiwanger, jetzt ist mal der Wirtschaftsminister gefragt. Wie geht es denn wirtschaftlich weiter in Bayern? Viele Jahre ging es sehr gut, jetzt häufen sich die Insolvenzen bekannter Firmen.
Aiwanger: Natürlich spitzt sich die wirtschaftliche Lage zu. Die hohen Energiepreise, die hohen Steuern, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland wirkt sich zunehmend aus. Unser Glück ist, dass so wenige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und damit die Arbeitslosigkeit niedrig bleibt. In Bayern schaut es noch ein bisschen besser aus, weil die Leute noch mehr Geld haben. Die können ein Haus sanieren oder ein Auto kaufen. Trotzdem wird die Luft dünner. Es sind vor allem die energieintensiven Firmen, die Sorgen machen. Deswegen ist es dringend nötig, dass wir jetzt einen Industriestrompreis bekommen und niedrigere Steuern. Aber die Ampel in Berlin tut das nicht.
Viele Firmen machen sich große Sorgen um die Energie, auch hier. Wie sieht es mit der Versorgungssicherheit für den kommenden Winter aus?
Aiwanger: Die Gaslager sind voller als letztes Jahr. Zur Not wird eben mehr Gas wieder verstromt werden. Die Importe mit Atomstrom werden laufen, aber der Strom wird nach wie vor relativ teuer bleiben. Ich glaube jetzt nicht, dass der Blackout kommt. Wir werden uns wieder irgendwie durchwursteln, aber der Preis dafür wird hoch sein. Ich bin eigentlich gegen Atomkraft, aber in dieser Situation hätte ich schon noch zwei Kraftwerke laufen lassen. Da macht die Bundesregierung aus ideologischen Gründen einen Fehler.
Diese Woche war Spatenstich für den Südlink, über den Strom aus Windkraft im Norden nach Bayern kommen soll. Das wird aber noch ein paar Jahre dauern. Würde man heute noch so energisch gegen diese Stromtrassen protestieren, wie man es vor ein paar Jahren getan hat?
Aiwanger: Unter dem Eindruck von Ukraine-Krieg und Gas-Notlage wahrscheinlich nicht. Aber damals war eben die Einschätzung, das Gas ist die Brücke zum Strom ohne Atom. Ich habe damals schon gesagt, dass man den Überschussstrom in grünen Wasserstoff umwandeln soll und ins bestehende Gasnetz einspeisen. Die sind genau die Dinge, die jetzt kommen sollen. Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Diese Stromleitungen werden sehr viel Geld kosten und das muss dann über die Netzentgelte der Stromkunden wieder hereinkommen. Wir brauchen zusätzlich Wasserstoff, wir brauchen zusätzlich die Gaskraftwerke, wir brauchen zusätzlich den Importstrom. So viel Energie, wie wir brauchen, so viele Windräder können wir hier gar nicht bauen.
Schaffen wir es denn, diesmal schneller zu sein mit dem grünen Wasserstoff als in der Vergangenheit?
Aiwanger: Berechtigte Frage. Das hängt davon ab, wie groß der politische Druck ist. Aber da ist jetzt schon sehr große Bereitschaft da, in die Richtung zu gehen. Wir müssen die bestehenden Leitungen natürlich für grünen Wasserstoff nutzen, das ist glücklicherweise fast ohne Anpassung möglich. Das ist auch beim Thema Heizen eine Riesenchance, weil 50 Prozent der Häuser in Bayern am Erdgasnetz hängen. Mit genügend grünem Wasserstoff können wir sie klimaneutral heizen und das ohne Wärmepumpe. Ganz ähnlich ist es beim Verkehr, ich fahre ja selbst ein Wasserstoffauto und das tankt sich in fünf Minuten auf. Der klimapolitische Druck ruft geradezu nach der Lösung Wasserstoff.
Derzeit ist er noch sehr teuer und es gibt zu wenig. Wie sieht Ihr Vorschlag aus, damit Firmen jetzt einen günstigen Strompreis bekommen?
Aiwanger: Also zunächst einmal einfach eine Deckelung des Strompreises, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, nach dem System der Strompreisbremse. Die dafür vorgesehenen 200 Milliarden Euro sind bei Weitem nicht ausgeschöpft worden. Wer das Geld haben will, muss einen Plan vorlegen, wie er sich die nächsten Jahre selber mit Strom versorgt oder mit grünem Wasserstoff. Dann erhält man die Arbeitsplätze und die Firmen in Deutschland und sagt dann, die nächsten drei, fünf, sieben Jahre musst du schauen, dass du auf grüne Energie rüberkommst. Wir wollen übrigens im nächsten Koalitionsvertrag, so wir wieder dabei sein sollten, platzieren, dass wir diese Umwandlung von Erdgasnetzen in Wasserstoffnetze sehr finanziell unterstützen.
Wenn Sie wieder dabei sein sollten? Haben Sie ernsthaft Zweifel, dass die CSU nicht mit Ihnen koaliert? Das hat doch Söder immer wieder gesagt.
Aiwanger: Aber wenn es die Grünen für einen Minister weniger machen?
Und Sie, was würden Sie bei einem Wahlergebnis von 17 Prozent fordern, vier Ministerien?
Aiwanger: Jetzt erst mal die Wahl abwarten, aber Landwirtschaft ist uns schon sehr wichtig. Da haben wir starke Wurzeln.
Aber könnte denn Ihr junger Parteifreund Fabian Mehring, der so gern ins Kabinett möchte, auch Landwirtschaft?
Aiwanger: Wir haben viele gute Leute, auch er ist ein schlaues Köpfchen und kann sich überall einarbeiten.