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Hubert Aiwanger im Interview: "Dinge ansprechen, die normalen Bürger bewegen"

Interview

"Ich will die Dinge ansprechen, die den normalen Bürger bewegen"

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    „Ich versuche, möglichst natürlich zu bleiben, so wie ich immer war, und nicht irgendein Gehabe an den Tag zu legen“, sagt Aiwanger.
    „Ich versuche, möglichst natürlich zu bleiben, so wie ich immer war, und nicht irgendein Gehabe an den Tag zu legen“, sagt Aiwanger. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Herr Aiwanger, ist Ihnen klar, dass Sie drauf und dran sind, sich zu einer Kultfigur zu entwickeln?

    Hubert Aiwanger: Da hab ich keine Zeit, drüber nachzudenken.

    Sie haben offenbar viele Fans. Wenn Sie – vorsichtig formuliert – etwas Unbedachtes sagen, dann sagen die Leute: „Ja mei, der Hubert.“ Aber schon im nächsten Moment kommt über Sie der Satz: „Aber der sagt’s wenigstens!“ Pflegen Sie bewusst das Image, kultig zu sein?

    Aiwanger: Nein, aber ich versuche, möglichst natürlich zu bleiben, so wie ich immer war, und nicht irgendein Gehabe an den Tag zu legen. Und ich versuche, die Dinge anzusprechen, die den normalen Bürger in unserem Land bewegen. Mich wundert es, dass das in der politischen Debatte heutzutage schon als mutig gilt.

    Sie haben, als Sie noch in der Opposition waren, die Regierenden oft scharf kritisiert. Jetzt sind Sie selber ein Regierender.

    Aiwanger: Aber deshalb muss ich mich nicht gleich ganz anders gebärden. Man sollte sich als Politiker nicht anders verhalten müssen, nur um anerkannt zu werden.

    Es gibt ein Interview mit einer Sprachwissenschaftlerin über Sie und Ihre Art zu sprechen. Es endet in der These, dass Sie wegen ihrer Sprechweise diskriminiert werden. Empfinden Sie das so?

    Aiwanger: Da sehen Sie mal wieder, wie weit wir schon von der Normalität weggekommen sind, dass ein Dialekt oder die Art zu sprechen zum Politikum wird und dass Leute meinen, jemanden deswegen einordnen oder maßregeln zu müssen oder gezielt lächerlich zu machen, nur weil er kein Fernsehhochdeutsch spricht.

    Was würden Sie als „typisch Aiwanger“ akzeptieren? Vielleicht den Eigensinn?

    Aiwanger: Nein. Ich glaube, dass ich ein gewisses Standvermögen habe. Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann wechsle ich nicht gleich die Meinung, nur weil ich angegriffen werde. Eigensinnig heißt ja so viel wie uneinsichtig oder stur. Wer eigensinnig ist, blendet die Realität aus. Ich glaube, dass ich nicht neben der Realität bin, sondern dass ich einfach die Dinge, die ich für vernünftig halte, auch bereit bin durchzufechten.

    Lassen Sie uns über konkretes Beispiele reden. Auf den Wahlplakaten der Freien Wähler steht „Erbschaftssteuer abschaffen“. Die Erbschaftssteuer ist im Grundgesetz verankert. Da könnte, wenn überhaupt, nur der Bundestag etwas ändern. Ist das nicht etwas komisch, im Landtagswahlkampf mit Bundesthemen zu werben, wenn man in Bayern gar nichts machen kann?

    Aiwanger: Dass man nichts machen kann, stimmt nicht. Über das Heizungsgesetz entscheidet auch der Bund und trotzdem muss man da als Landespolitiker Widerstand organisieren. Wir mischen uns da ein – bei der Erbschaftssteuer, beim Länderfinanzausgleich, bei der Krankenhausreform, bei der Atomkraft. Das erwartet der Bürger schlichtweg, dass man sich zu diesen Dingen äußert. Ich bin überzeugt, dass das in die Meinungsbildungsprozesse auf Bundesebene einfließt. Auch zur Thematik der Zuwanderung äußern wir uns im Landtagswahlkampf. Das kann man nicht einfach ausblenden.

    Andererseits geht es bei landespolitischen Aufgaben nur schleppend voran, wie etwa beim Mobilfunkausbau. Sie haben Druck auf die Anbieter gemacht und sogar eigene Messgeräte losgeschickt, um die Qualität der Versorgung zu überprüfen. Aber der Fortschritt hält sich in Grenzen. Es gibt in Bayern ungefähr 6000 Mobilfunkmasten, rund 500 fehlen zur vollständigen Netzabdeckung.

    Aiwanger: Was heißt da fehlen? Wir haben aktuell eine Abdeckung von etwa 90 Prozent, und das müssten 99 oder 100 Prozent werden. Ich bin da nach wie vor nicht zufrieden. Aber wir kommen mit den bayerischen Maßnahmen nur bedingt vorwärts, weil, sobald nur einer der Mobilfunkanbieter ein Gebiet abdeckt, ich als Staat dort keinen weiteren Masten fördern darf. Ich darf nur da fördern, wo gar keiner ist. Aber wir haben durch unsere Maßnahmen erreicht, dass hunderte Masten von den Anbietern im eigenwirtschaftlichen Ausbau errichtet wurden.

    Ihr Förderprogramm scheint nicht so schnell zu wirken. Bisher steht eine Handvoll Masten, die vom Freistaat gefördert wurden.

    Aiwanger: Ja, das dauert leider Jahre. Wir haben jetzt über 100 Förderbescheide draußen – jeweils fast eine Million Euro pro Mast. Aber die Praxis ist kompliziert. Da geht es zwischen Kommunen und Mobilfunkbetreibern hin und her. Mal plant eine Kommune, dann taucht doch wieder ein Anbieter auf, der das eigenwirtschaftlich machen will. Dann wird der Bescheid wieder zurückgezogen. Zusätzlich gibt es ein Förderprogramm des Bundes, und die Anbieter switchen um. Außerdem läuft die Technik der Realisierung voraus. Das Datenvolumen, das benötigt wird, verdoppelt sich alle zwei Jahre. Eines aber kann ich sagen: Wir haben in Bayern den wohl besten Ausbauzustand in Deutschland.

    Anspruch und Wirklichkeit klaffen offenbar auch in der Klimapolitik auseinander. Der Bund will bis 2045, Bayern sogar bis 2040 klimaneutral sein. Der CO2-Ausstoß aber ist in Bayern zuletzt sogar wieder gestiegen. Wie sollen denn die Ziele erreicht werden?

    Aiwanger: Die einzige Chance in meinen Augen ist, auf grünen Wasserstoff umzustellen. Wir haben zwar schon CO2 eingespart, weil die Industrie effektiver geworden ist. Aber nach Corona ist die Wirtschaft insgesamt wieder besser angelaufen – und unsere Wirtschaftskraft beruht bisher eben überwiegend auf den fossilen Energieträgern Öl, Gas und Kohle. Das gilt für die Industrie, für Autos, für Heizungen und letztlich sogar für Wärmepumpen. Dennoch ist die CO₂-Bilanz Bayerns nicht so schlecht. Wenn man den CO2-Ausstoß pro Kopf rechnet, dann gehören wir mit zu den besten Ländern in Deutschland – trotz der höchsten Wirtschaftsleistung.

    Ihre Begeisterung für die Wasserstofftechnologie ist bekannt, aber es gibt da viel Skepsis.

    Aiwanger: Wir können unsere Wirtschaft nur dann erhalten, wenn wir grünen Wasserstoff einsetzen, also Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energie gewonnen wird. Die Alternative wäre, aus energieintensiven Branchen wie Chemie-, Schwer- oder Glasindustrie auszusteigen und auf diese Art unsere CO2-Bilanz zu frisieren. Das würde unsere Wirtschaft kaputt machen. Das will ich nicht. Und das würde sich auch unsere Bevölkerung nicht gefallen lassen.

    Aber geht das Ganze auch schnell genug, um die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen?

    Aiwanger: Wenn der Bund weiter mauert und grünen Wasserstoff nur als „Champagner der Energiewende“ sieht, den man zum Beispiel nicht für Mobilität einsetzen darf, dann kommen wir nicht vorwärts. Ich glaube, dass wir das bis 2040 hinkriegen können, wenn man jetzt Ernst macht und mit den Lieferländern spricht – also mit Schweden und Norwegen, Tunesien und Algerien und, wenn der Krieg vorbei ist, mit der Ukraine. Vor wenigen Wochen war eine Delegation aus Australien hier und hat angeboten, jede Menge Wasserstoff in Form von grünem Ammoniak per Schiff zu liefern. Die Möglichkeiten sind da, aber der Bund muss das jetzt fördern und der Industrie genau den Weg aufzeigen. In Bayern sind wir bereits aktiv. Wir fördern 50 Elektrolyseure, also die Herstellung von Wasserstoff, mit 150 Millionen Euro.

    Und der Preis?

    Aiwanger: Wie teuer grüner Wasserstoff am Ende sein wird, das wird man sehen. Die Amerikaner streben einen Preis von ein bis zwei Dollar pro Kilogramm an. Zum Vergleich: Mit einem bis 1,5 Kilogramm können sie 100 Kilometer mit dem Auto fahren. Und noch eine Zahl: Aus 20 Tonnen Biomasse – Gras, Grünschnitt, Hackschnitzel, Gülle oder Mist – können sie eine Tonne Wasserstoff erzeugen. Ich bin überzeugt: Wir werden für die Energiewende keine andere Lösung finden. Wir müssen Sonne und Wind und alle erneuerbaren Energien nutzen, aber wir brauchen einen Zwischenspeicher für die Grundlast, wenn es dunkel ist und kein Wind weht. Und das ist der grüne Wasserstoff. 

    Zur Person: Hubert Aiwanger ist Bayerns Wirtschaftsminister, stellvertretender Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler.

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