Frau Dr. Koch, Sie sind nicht nur eine bekannte Schauspielerin. Mit 40 haben Sie Ihr Medizinstudium wieder aufgenommen, hatten lange Jahre eine Praxis als Hausärztin in München und arbeiten mit jetzt 90 Jahren als Medizinjournalistin weiter. Ihr jüngstes Buch heißt „Alt werde ich später“. Dennoch möchte ich als Erstes eine Frage an Sie als ältere Dame richten: Gerade ältere Menschen belastet der Krieg sehr – wie kommen Sie mit den schlimmen Nachrichten zurecht?
Dr. Marianne Koch: Ich gehöre ja noch zu der Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat – als Kind damals. Und ich bin wahnsinnig traurig darüber, dass heute überhaupt noch Menschen so einen Krieg miterleben müssen. Vor allem die ukrainische und die russische Bevölkerung tun mir sehr leid. Man kann den Menschen hier nur raten, zurückhaltend mit dem Nachrichtenkonsum zu sein. Das heißt, man sollte sich nicht stündlich damit konfrontieren, sondern morgens und abends die Nachrichten hören oder schauen, dazwischen aber versuchen, sein normales Leben zu führen.
Dabei verbreitet nicht nur der Krieg seine Schrecken. Die Pandemie ist auch noch nicht besiegt und ältere Menschen sind weiterhin besonders gefährdet. Wie schützen Sie sich?
Koch: Es stimmt – die Pandemie ist noch nicht vorbei. Man sollte die Warnung von Gesundheitsminister Lauterbach, den ich als Kollege schätze, sehr ernst nehmen: Es kann alles wiederkommen, womöglich mit neuen Varianten. Ich schütze mich durch die Impfungen – ich bin jetzt schon zum zweiten Mal geboostert – und ich trage ziemlich konsequent eine Maske. Nicht nur in den Geschäften, auch im Freien, beispielsweise wenn ich auf den Markt gehe. Wie Sie wissen, kann man sich und andere auch anstecken, wenn man geimpft ist. Deshalb ist es gut, wenn man sich zusätzlich regelmäßig testet, zum Beispiel bevor man mit Freunden zum Essen geht.
Von Ihnen möchten natürlich die meisten wissen, wie man es schafft, mit 90 Jahren noch so attraktiv auszusehen und geistig so fit zu sein. Sie haben gute Gene schreiben Sie...
Koch: Sicher, die Gene spielen eine große Rolle. Aber sie sind nicht alleine ausschlaggebend. Die Wissenschaft hat eine Reihe anderer Voraussetzungen für ein erfolgreiches Altern herausgefunden. Zum Beispiel geistige Beweglichkeit. Mein Lieblingszitat stammt von der über 90-jährigen New Yorkerin Bel Kaufmann, der Enkelin von Scholem Aleichem, die auf die Frage, wieso sie so jung geblieben ist, geantwortet hat: „Ich bin zu beschäftigt, um alt zu werden. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich mich hinsetzen und alt werden, aber jetzt habe ich zu viel zu tun.“ Geht mir irgendwie ähnlich.
Ab wann ist man dann eigentlich alt?
Koch: Gute Frage! Ich glaube, jemand ist bereits alt, wenn er als Fünfzigjähriger denkt, er habe für sein Leben genug gelernt, und der seine einmal gefassten Meinungen bis ins Grab für unverrückbar hält. Auf der anderen Seite kenne ich Leute, die älter sind als ich, die an allem Neuen interessiert, kreativ und geistig wach sind. Die kann man nicht als „alt“ bezeichnen.
Aber was muss man nun tun, um im hohen Alter noch so fit zu sein?
Koch: Grundsätzlich gibt es vier Punkte: Erstens eine optimale Ernährung. Das heißt, eine natürliche Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse – gerne auch Fleisch, aber nicht zu viel. Ernährungsforscher haben festgestellt, dass eine Art Mittelmeerküche ideal ist. Vermeiden sollte man Industrieprodukte, da sie viel Fett, Salz und Zucker enthalten. Zweitens, ganz wichtig: viel, wirklich viel Bewegung – auch wenn man auf einen Rollator oder einen Gehstock angewiesen ist. Bei körperlicher Aktivität werden alle unsere 100 Billionen Zellen besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, so können sie besser arbeiten und altern langsamer. Drittens: das schon erwähnte lebenslange Lernen und das Interesse an der Welt. Und viertens: soziale Kontakte, um nicht einsam zu werden.
Ganz neu ist das alles nicht. Gibt es Erkenntnisse, die Sie beim Schreiben Ihres Buches überrascht haben?
Koch: Man weiß heute beispielsweise, dass stärkeres Übergewicht ein ziemliches Gesundheitsrisiko darstellt, weil die Fettzellen, vor allem diejenigen, die im Inneren des Bauches sind – das so genannte „viszerale Fettgewebe“ – starke Entzündungshormone bilden. Und die wiederum fördern die Entstehung von Arteriosklerose und damit Herz-Kreislauf-Krankheiten. Außerdem hat man nachgewiesen, dass Übergewichtige häufiger an Krebs erkranken. Übergewicht gilt heute nach dem Rauchen als die zweite vermeidbare Ursache für Krebs. Ein Body-Mass-Index ab 29/30 belastet aber auch die Gelenke, was zu Arthrose und auch leichter zu Stürzen führen kann – Stürze, die gerade bei Älteren gefährlicher sind als in jungen Jahren und zu Verlust der Lebensqualität führen können.
Was würden Sie noch als neue Erkenntnis bezeichnen?
Koch: Die Tatsache, dass unsere Lebenserwartung deutlich gestiegen ist. Und da wir meistens auch länger fit und gesund bleiben, sollten wir uns rechtzeitig überlegen, wie wir diese Periode unseres Lebens optimal gestalten können. Das heißt, wir haben die Chance, auch nach dem 65. Lebensjahr ein interessantes Leben zu führen.
Also nicht nur zwischen Balkon beziehungsweise Garten und Sofa gemütlich wandeln...
Koch: .…und Katze streicheln. Doch, auch. Aber gleichzeitig sollte man schon aktiv bleiben. Körperlich und geistig. Und wenn ich in meinem Buch schreibe, dass Bewegung ein Wundermittel ist und dass man leider auch seine grauen Zellen auf Trab halten muss, dann erzähle ich nur, was die Altersforscher uns in den letzten Jahren bewiesen haben. Man sollte allerdings nicht vergessen: Beides, körperliche Aktivität und Lernen macht auch Spaß.
Trotzdem fällt es sicher vielen schwer...
Koch: Natürlich. Der Antrieb, Dinge umzusetzen, die man als richtig erkannt hat, ist wahrscheinlich im Alter eher schwächer. Aber wenn man sich einmal aufgerafft hat, ist das ein richtig gutes Gefühl.
Und wie gelingt das Aufraffen?
Koch: Es gibt so viele Möglichkeiten: Museumsbesuche, Live-Konzerte, Reisen. Die Volkshochschulen, die die erstaunlichsten Kurse anbieten. Kurse, die einem neue Welten eröffnen oder eine große Hilfe sind, um beispielsweise die digitalen Möglichkeiten wahrzunehmen. Seniorensport oder nur tägliches Spazierengehen in der Natur, was immer Überraschendes bietet.
Mehr noch als die körperliche Gebrechlichkeit, fürchten sicher viele Menschen eine Demenzerkrankung.
Koch: Das kann ich gut verstehen. Die Zunahme von Demenz ist zu einem großen Teil mit der steigenden Lebenserwartung zu erklären. Das heißt, früher sind die Menschen gestorben, bevor sie an Demenz erkranken konnten.
Doch so richtig vorbeugen kann man offensichtlich nicht – auch Menschen, die ihr Leben lang geistig hoch aktiv waren, sind betroffen.
Koch: Die Gene spielen auch hier eine gewisse Rolle. Aber es gibt auch deutliche Hinweise darauf, dass lebenslanges Lernen eine größere Reserve an aktivierten Gehirnzellen erzeugt, die dann von Vorteil sind, wenn bereits Zellen durch die Alzheimer-Krankheit absterben. Man sollte aber unterscheiden: Es gibt eine Demenz, die durch Arteriosklerose, also durch eine Minderdurchblutung der Gehirnzellen entsteht – die „vaskuläre Demenz“ –, die man behandeln kann. Zum anderen die Alzheimer-Demenz, die nur im frühen Stadium etwas aufgehalten werden kann.
Das heißt im Grunde, schon ab der Jugend gilt es der Demenz vorzubeugen?
Koch: Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber man weiß, dass Gehirnzellen, die nicht aktiv gefordert werden, in eine Art Dämmerschlaf geraten. Und dass sich die so wichtigen zig Tausend Verbindungen zwischen den Zellen, die das Denken und unser Gedächtnis erst ermöglichen, auch wieder abbauen können. Wenn Sie aber etwas lernen, wenn Sie sich intensiv mit etwas beschäftigen – zum Beispiel mit einer Sprache –, oder wenn Sie als Musiker ein neues Stück üben, dann bilden sich neue, stabile Verbindungswege im Dickicht der Gehirnzellen. Ich bilde mir ein, die Tatsache, dass ich mich mit Anfang 40 für ein schwieriges Medizin-Staatsexamen vorbereiten musste, hat meinen grauen Zellen enorm genützt. Allgemein aber gilt: Das Gehirn ist programmierbar. Mein Gehirn von gestern ist ein anderes als mein Gehirn von heute oder von morgen. Und diese Fähigkeit, Neues zu lernen, bleibt uns glücklicherweise auch im Alter erhalten. Nur dass es dann etwas länger dauert, bis eine Information fest im Langzeit-Gedächtnis gespeichert wird.
Zu den schlimmsten Krankheiten im Alter zählt auch die Einsamkeit.
Koch: Ja, das bestätigt uns die Wissenschaft. Denn wenn man mit niemandem mehr seine Gedanken austauschen kann, wenn man sich nicht einmal mehr über einen Film unterhalten kann, dann drohen die Gedanken immer um dieselben Dinge zu kreisen. Dadurch entsteht dieses Gefühl des Nicht-mehr-dazugehörens, das die Seele vergiftet und damit gleichzeitig den Körper schädigt. Das heißt, aus Einsamkeit kann eine richtige Depression entstehen.
Sie mussten das erleben, was gerade viele Ältere durchmachen: Ihr Lebensgefährte ist vor drei Jahren gestorben.
Koch: Und auf diesen Verlust kann einen niemand vorbereiten. Der Tod von geliebten Menschen ist wohl der Preis, den man bezahlen muss, wenn man alt wird.
Gibt es Möglichkeiten, einen solchen Verlust leichter zu überwinden?
Koch: Überwinden lässt sich das wohl nie. Aber es hilft natürlich sehr, wenn es da einen großen Freundeskreis, eine liebevolle Familie gibt.
Und dann gibt es auch noch Tiere. Sie haben einen Hund...
Koch: Ja, eine ganz reizende, verfressene und deshalb etwas übergewichtige Corgi-Dame. Hunde verstehen uns, sie wissen, wie sie einen auf lustige Gedanken bringen und sie fordern einen auf, jetzt endlich mit ihnen spazieren zu gehen. Das ist natürlich gut, um körperlich fit zu bleiben.
Und was machen Sie, um geistig so fit zu bleiben? In Ihrem Buch raten Sie zum Kopfrechnen, Tagebuchschreiben und Gedichte auswendig lernen.
Koch: Ich beantworte nach wie vor jede Woche live auf Bayern 2 im „Gesundheitsgespräch“ die Fragen von Hörerinnen und Hörern zu einem bestimmten Thema. Das bedeutet, dass ich gezwungen bin, mich auf dem jeweils neuesten Stand der Medizin zu halten. Was heißt gezwungen. Ich genieße es, die aktuellen Studien in den internationalen Journalen zu studieren. Ich liebe Medizin. Das ist für mich die reine Freude.
Zur Person: Dr. Marianne Koch, 90, begann mit 17 ein Medizinstudium, wurde dann für den Film entdeckt und studierte mit 40 weiter. Mit 55 eröffnete sie ihre Praxis in München. Heute lebt die Münchnerin, die mehrere Bücher verfasst hat, in Tutzing.