Von außen erinnern die Häuser an einfache Gartenlauben. Doch im Inneren stehen weder ein Laubrechen noch ein Rasenmäher, sondern Möbel, eine Küche, eine Toilette neben der Duschkabine und ein Bett – alles, was man zum Leben braucht, auf nur 20 Quadratmetern. Es ist ein Tiny House, übersetzt ein „winziges Haus“.
Die Tiny-House-Bewegung schwappte aus den Vereinigten Staaten nach Europa. Gerade während der Finanzkrise, als die Immobilienblase in Übersee platzte, wollten Menschen mit ihren kleinen, oftmals mobilen Unterkünften zeigen, dass man auch anders leben kann als in einem protzigen Einfamilienhaus. Auch in Bayern begeistern sich immer mehr Menschen für die Idee des Lebens auf kleinstem Raum. Mitten auf dem Land, in der 1300-Einwohner-Gemeinde Mehlmeisel im Fichtelgebirge (Oberfranken) leben 30 Menschen in einer Tiny-House-Siedlung. Nach Darstellung der beiden Gründer ist es die erste ihrer Art in Deutschland.
Eigentlich sind Philipp Sanders und Stefanie Beck Stadtkinder. Aufgewachsen sind sie in München, später studierten sie dann in Augsburg. Zu zweit mieteten sie sich in einer Drei-Zimmer-Wohnung ein – zu groß für die 25-Jährigen. Dieses Leben auf großem Raum, das sei nicht so ihr Ding gewesen. Man könnte sagen, der Platz engte die beiden ein. Bei einem Auslandsjahr 2015 in den USA und Kanada wurden sie aufmerksam auf Tiny Houses. Weniger Haltungskosten, geringere Verschuldung für ein Eigenheim, einfach umzuziehen – für Philipp Sanders und Stefanie Beck hörte sich das nach einem Traum an, den sie gerne teilen wollten. Zurück in Deutschland, bauten die beiden ein eigenes kleines Häuschen und kümmerten sich um Zulassungen, Genehmigungen – das ist derselbse bürokratische Aufwand wie beim Bau eines Einfamilienhauses. Die beiden brachen ihr Studium ab, kündigten den Mietvertrag der Wohnung und gründeten ihr Tiny-House-Dorf auf einem ehemaligen Campingplatz in Mehlmeisel. Das war im Jahr 2017. Im kommenden Frühjahr will das Paar Obst und Gemüse nachhaltig auf dem Gelände anbauen und ein Tiny-House-Café eröffnen. Selbstversorgung, Hippieleben, Umweltschutz und Gemeinschaft – der Alltag auf dem 17.000-Quadratmeter-Platz soll ein wenig von allem haben. Sanders sieht das Tiny-House-Dorf als Teil der Lösung für das Wohnungsproblem in Deutschland.
Es gibt schon jetzt kaum mehr Wohnungen
Tatsächlich müssen die Deutschen umdenken. Wohnraum gibt es jetzt schon kaum mehr. Folglich steigen die Mieten, vor allem in Ballungsräumen – und die Wohnungen werden immer größer. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: 1990 wohnte eine Person im Durchschnitt auf 34,8 Quadratmetern Fläche. 2018 waren es bereits 45,1 Quadratmeter. Da ist ein niedliches Tiny House doch die perfekte Lösung, um günstigen Wohnraum zu schaffen? Jein. Der Ansatz ist gut, die Ausführung mangelhaft, zumindest nach der Auffassung von Eva Reinhold-Postina, Pressesprecherin des Verbands Privater Bauherren (VPB). Die Vorstellung, jeder komme mit weniger Fläche aus, sei gut. Aber: „Tiny Houses sind romantische Erscheinungen, die uns bei den Problemen nicht weiterbringen.“ Denn eine Tiny-House-Siedlung bedeute Flächenfraß – und damit hätten Kommunen schon jetzt zu kämpfen. Die Gemeinden nutzen deshalb den bereits vorhanden Platz. Das Schlagwort heißt „Überbauung“. Die Gedankenspiele reichen dahin, dass künftig beispielsweise Dächer von Supermärkten am Rande einer Stadt mit Wohnungen bebaut werden.
Ein vollausgestattetes Haus kostet 45.000 Euro
In Maisach bei Fürstenfeldbruck fertigt die Schreinerei Walch seit rund zwei Jahren ausschließlich Tiny Houses für ihre Kunden an. Ein vollausgestattetes Haus kostet im Schnitt 45.000 Euro. Schreinerei- Chef Alexander Walch sagt: „Unsere Kunden sind meist ältere Menschen.“ Die würden ihr Einfamilienhaus verkaufen oder vermieten, um sich nicht mehr um den riesigen Haushalt kümmern zu müssen oder um eine weitere Einnahmequelle neben der Rente zu haben. Das Tiny House stellen sie sich dann in den eigenen Garten – oder in den der Kinder. Das jedoch ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Ein Fall aus Attenhofen im Landkreis Neu-Ulm zeigt woran es bereits scheitern könnte, bevor das Tiny House überhaupt gebaut ist. Ein Paar wollte dort ein Minihaus aufstellen, doch die Anwohner protestierten dagegen. Der Grund: Das geplante Tiny House mit einem Flachdach passe nicht ins Dorfbild. Letztlich zog das Paar den Bauantrag wieder zurück. Ein weiteres Problem: Wenn ein Tiny House dauerhaft irgendwo abgestellt wird, unterliegt es den normalen Baugesetzen. Heißt: Antrag, Genehmigungen, Stromanschluss, Wasseranschluss – das ganze Prozedere eben. Fährt das Tiny House auf Rädern, benötigt es eine Straßenzulassung.
Tiny-House-Besitzer können aber auf einen Stellplatz in Hütting (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) hoffen. Ein Landwirt plant dort auf einer Fläche, die etwas kleiner ist als ein Fußballfeld, 20 Stellplätze für mobile Häuser. Allerdings liegt ein großer Teil der Fläche in einem Landschaftsschutzgebiet. Gebaut werden darf erst, wenn Ausgleichsflächen dafür gefunden sind.