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Illerkirchberg bei Ulm trauert nach Mord um 14-jähriges Opfer Ece S.

Illerkirchberg

Wie die Menschen in Illerkirchberg um Ece S. trauern

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    Mitschüler und Freunde von Ece S. legen am Tatort Blumen nieder und stellen Kerzen auf.
    Mitschüler und Freunde von Ece S. legen am Tatort Blumen nieder und stellen Kerzen auf. Foto: Alexander Kaya

    Am Morgen danach herrscht dichter Nebel. Es ist kalt. So kalt, wie es an einem normalen Dezembermorgen eben ist. Doch an diesem Morgen des Nikolaustags ist in Illerkirchberg, eine Viertelstunde südlich von Ulm, alles anders. Der Weg zur Schule oder in den Kindergarten ist nicht mehr so, wie er einmal war. Eltern ziehen mit ihren Kindern an der Hand vorbei an den Kerzen, Blumen und letzten Botschaften, die hier niedergelegt wurden. Für Ece S., 14, und für ihre Freundin, 13. Menschen halten inne, weinen, lesen selbst geschriebene Zeilen und legen selbst etwas nieder.

    Große Trauer um 14-jährige Ece S., das tote Mädchen von Illerkirchberg

    „Weißt du noch, als ich dir dieses Bild gemalt habe. Leider bin ich nie dazu gekommen, es dir persönlich zu geben, aber jetzt wird es leider sowieso nicht mehr dazu kommen“, steht auf einem Blatt Papier, das in einer Klarsichthülle steckt. Darauf ist ein Auto gezeichnet, mit rosa Fensterscheiben und rosa Herzchen. „Ich werde dich sehr vermissen und auch im zukünftigen Leben noch an dich denken“, steht darunter. „Ece“ steht auf der Motorhaube. Es ist eine letzte Botschaft an das getötete Mädchen, das am Montagfrüh wie so viele zur Schule wollte. Doch dort kam sie nie an. Die 14-Jährige stirbt am Montagnachmittag im Krankenhaus, ihre Freundin liegt dort schwer verletzt.

    Ein Auto, gemalt für Ece S. Die 14-Jährige ist nach dem Messerangriff in Illerkirchberg gestorben.
    Ein Auto, gemalt für Ece S. Die 14-Jährige ist nach dem Messerangriff in Illerkirchberg gestorben. Foto: Michael Kroha

    Die kleine Stichstraße im Ortsteil Oberkirchberg, in der die Bluttat passierte, nehmen jeden Morgen viele Schülerinnen und Schüler. Die Grundschule liegt nicht weit von hier auf dem Berg, der katholische Kindergarten Sankt Franziskus ist um die Ecke. Und eine Bushaltestelle, die vor allem die Älteren ansteuern. So, wie Ece S. und ihre Freundin. Die Mädchen mit türkischen Wurzeln nehmen jeden Morgen von da aus den Bus, der sie zur Realschule nach Wiblingen bringt.

    27-Jähriger aus Eritrea griff Mädchen an und verschanzte sich in Asylunterkunft

    Es ist kurz vor halb acht am Montagfrüh, als ein 27 Jahre alter Mann die beiden angreift, vermutlich mit einem Messer. Ece S. ist in Folge der Stichverletzungen verblutet, wird die Obduktion später ergeben. Anschließend verschanzt er sich in der heruntergekommenen Flüchtlingsunterkunft, aus der er zuvor gekommen war. Die Polizei umstellt das heruntergekommene Haus, drei Personen werden festgenommen, alle Asylbewerber aus Eritrea. Zwei von ihnen sind am Dienstag wieder auf freiem Fuß, der mutmaßliche Täter, der den Behörden bislang nie durch Gewaltdelikte aufgefallen ist, schweigt.

    Illerkirchberg, der beschaulichen Ort mit seinen knapp 5000 Einwohnern im Alb-Donau-Kreis, befindet sich am Tag nach der tödlichen Attacke in Schockstarre. Wieder einmal. 

    Messerangriff auf Schulweg: Viele Eltern in Illerkirchberg bringen Kinder mit dem Auto zur Schule

    Ein 45-Jähriger aus Senden bringt an diesem Morgen seinen Sohn mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle in Illerkirchberg. Es ist halb acht. „Normal machen wir das nicht. Nur heute“, sagt der Vater. Dann legen sie eine Kerze und Blumen am Tatort ab, bevor der Zwölfjährige in Richtung Bus geht. Sein Rad steht jeden Tag dort. Am Montagmorgen wäre er eigentlich auch durch die Stichstraße geradelt. Weil aber die Schule eine Sammelaktion für einen Tafelladen organisierte, begann der Unterricht erst eine Stunde später. Glück im Unglück, meint der Vater. Er berichtet, dass er viele Eltern kenne, die nun ihre Kinder lieber mit dem Auto zur Schule bringen, statt sie mit dem Bus fahren zu lassen. „Aber was soll das? Das wird hier nie mehr passieren.“

    Kerzen und Blumen stehen am Tatort in Illerkirchberg.
    Kerzen und Blumen stehen am Tatort in Illerkirchberg. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    „Schlimm“, sagt eine Mutter, die ihren Sohn an diesem Morgen in den nahe gelegenen Kindergarten bringt. Mit ihrem Jungen habe sie zwar schon darüber gesprochen, aber nicht über alles. Ihr ist das Gespräch sichtlich unangenehm, sie läuft schnell weiter. Eine andere Mutter stellt unter Tränen eine Kerze ab. Sie habe die betroffenen Familien gekannt. Mit der Familie der schwer verletzten 13-Jährigen sei sie befreundet. „Schlimm“, sagt sie. Mehr nicht.

    Aus dem Ort des grausamen Verbrechens ist ein Ort der Trauer und Anteilnahme geworden. Unter dem Meer aus Kerzen, Engeln und Kuscheltieren ist noch die grelle Sprühfarbe der Polizei zu sehen. Damit wurden am Tag zuvor Spuren gesichert und Blutspritzer gekennzeichnet. „Es tut mir leid, was mit euch passiert ist. Ich bin wütend, traurig und ängstlich zugleich“, steht auf einem Blatt Papier in kritzeliger Schrift. Es sind Botschaften von Freunden und Mitschülern. Andere haben Worte auf die Grablichter geschrieben, die leise vor sich hinflackern. „Ruhe in Frieden“ steht auf einer. Und auf einer anderen in Großbuchstaben: „Warum?“

    Freunde und Mitschüler des getöteten Mädchens legen Blumen am Tatort nieder.
    Freunde und Mitschüler des getöteten Mädchens legen Blumen am Tatort nieder. Foto: Alexander Kaya

    Natürlich bleibt da diese Frage: Warum greift jemand mit dem Messer zwei Schülerinnen an und verletzt eine davon so schwer, dass sie kurz darauf stirbt? Es ist eine Frage, die auch die Ermittler bewegt. Der 27-Jährige wird am Dienstag von einer Ermittlungsrichterin befragt. Die Vernehmung gestaltet sich nicht ganz einfach, erklärt Michael Bischofberger, Sprecher der Staatsanwaltschaft Ulm, denn der Mann liegt zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus. Als die Polizei ihn am Montagvormittag in der Flüchtlingsunterkunft festnimmt, ist er bereits verletzt, er muss noch am Montag notoperiert werden. Vermutlich habe er sich die Wunden selber beigebracht. Doch da dies eine Einschätzung ist, die vor keinem Gericht Bestand haben wird, soll der Mann noch gerichtsmedizinisch untersucht werden. Zudem muss der Mann psychiatrisch begutachtet werden, um herauszufinden, ob er überhaupt schuldfähig sei und ob von ihm noch weithin eine Gefahr ausgeht. Am Nachmittag wird gegen den 27-Jährigen Haftbefehl wegen Mordes und versuchten Mordes erlassen, der Eritreer kommt in ein Justizvollzugskrankenhaus.

    Ermittler sprechen nach dem tödlichen Messerangriff von "echtem Horror"

    Dieser Fall bewegt unglaublich viele Menschen, auch hart gesottene Ermittler lässt er nicht kalt. Staatsanwalt Bischofberger spricht von einem furchtbaren Fall, es sei der „echte Horror“. Und hält auch mit seiner eigenen Betroffenheit nicht hinterm Berg: „Wir sind vieles gewohnt, aber so ein Fall geht einem wirklich ins Mark. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es der Familie geht.“

    Die Eltern von Ece S. nehmen am Dienstagnachmittag einen schweren Weg auf sich. Die alevitische Gemeinde Ulm, der die Familie angehört, richtet eine Trauerfeier für ihre Tochter aus. In der Einladung steht: „Wir sind entsetzt und einfach fassungslos und finden einfach keine Worte, wie wir unsere Trauer zu Ausdruck bringen sollen. Ich denke mal, wir sprechen im Namen von ganz Ulm und Umgebung: Wir sind zutiefst erschüttert und sind mit Gedanken bei den Eltern, denen wir unser tiefstes Beileid ausdrücken wollen. Ruhe in Frieden, kleiner Engel.“ Die Mutter von Ece S. muss gestützt werden, um den bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Saal im Kulturzentrum betreten zu können. Als sie Freunde und Bekannte sieht, bricht sie laut in Tränen aus.

    Messerattacke von Illerkirchberg: AfD macht Stimmung gegen Flüchtlinge

    Im Internet hat die Trauer um die getötete 14-Jährige zu diesem Zeitpunkt längst ein Gesicht bekommen. Es sind Bilder, auf denen eine hübsche junge Frau mit langen, dunklen Haaren in die Kamera lächelt. Auf einem hält sie den Kopf schief, das andere ist ein Selfie, das vor dem Spiegel aufgenommen wurde. Viele drücken der Familie in den sozialen Medien ihr Mitgefühl aus, ihre Fassungslosigkeit über das, was da passiert ist. Andere nutzen die Kanäle, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen.

    Über kriminelle Asylbewerber, die vermeintlich fehlgeleitete Flüchtlingspolitik, über die Verantwortlichen im Land. Die AfD nutzt den Vorfall unmittelbar für Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Von einem weiteren Messermord ist da die Rede und von einer fehlgeleiteten Migrationspolitik.

    Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) besucht am Dienstagmittag zusammen mit dem türkischen Botschafter Ahmet Basar Sen den Tatort. Er legt weiße Rosen nieder, sagt: „Diese Gewalttat ist ein schlimmer Schicksalsschlag für Illerkirchberg und die gesamte Dorfgemeinschaft. Das Leben eines unschuldigen Kindes wurde auf sinnlose Art und Weise brutal ausgelöscht.“ Bislang gebe es allerdings keinerlei Erkenntnisse auf eine politische oder religiöse Motivation: „Dieses Ereignis darf kein Anlass und keine Rechtfertigung für Hass und Hetze sein.“ Der türkische Botschafter, der eigens aus Berlin angereist ist, fordert ebenfalls von den deutschen Behörden, den Angriff lückenlos aufzuklären. Die Tat habe die türkische Gemeinschaft geschockt. „Wer ist das? Wer hat das gemacht? Wird es aufgeklärt?“ Zuvor hat der Botschafter die Familie von Ece S. besucht und ihr seine Anteilnahme ausgesprochen.

    Bürgermeister Häußler aus Illerkirchberg: "Fremdenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz"

    Auch Markus Häußler, der Bürgermeister von Illerkirchberg, hat das am Montagabend getan. Als er von dem Besuch erzählt, gerät seine Stimme ins Stocken, er hat selbst zwei kleine Kinder. „Als Familienvater geht das durch Mark und Bein“, sagt der parteilose Politiker. Er habe der Familie seine Anteilnahme ausgesprochen und seine Hilfe angeboten. „Tragisch“ und „furchtbar“ nennt er das, was passiert ist. Und wehrt sich jedoch dagegen, dass Menschen mit einer „etwas rechteren Gesinnung“ sich nun lautstark zu Wort melden. „Die Tat gilt es zu verurteilen und nicht die vermeintliche Bevölkerungsgruppe. Die jetzt in Sippenhaft zu nehmen, wäre falsch“, sagt der Bürgermeister. „Fremdenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz.“

    Doch das allein ist es ja nicht, das weiß auch Häußler. Da ist der Fall aus der Halloween-Nacht 2019, als eine 14-Jährige in Illerkirchberg aufs Grausamste von vier Asylbewerbern aus Afghanistan, dem Irak und dem Iran vergewaltigt und misshandelt wurde. Die Männer wurden im vergangenen Jahr zu Haftstrafen verurteilt. Und auch, wenn die Vergewaltigung damals in einem anderen Ortsteil von Illerkirchberg passierte, wenn es nach derzeitigem Stand keinerlei Zusammenhang zwischen beiden Fällen gibt, heißt es nun: Schon wieder Illerkirchberg.

    Früh an diesem Nikolaustag hält ein Vater seinen Sohn an der Hand, gemeinsam gehen sie in Richtung Kindergarten. Von Weitem schon fällt dem Jungen auf, dass hier etwas anders ist als sonst. Die vielen Kerzen. Die Menschen, die sich um diese Zeit hier aufhalten – Fernsehteams, Zeitungsjournalisten, Fotografen. „Was ist da?“, fragt der Junge. Es klingt neugierig und auch ein bisschen aufgeregt. Der Vater hält die Hand des Jungen, sie gehen weiter Richtung Kindergarten.

    Der Vorfall wird die Menschen in Illerkirchberg noch lange beschäftigen.

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