Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Illerkirchberg: AfD, Identitäre, Querdenker: Wie die Tat von Illerkirchberg instrumentalisiert wird

Illerkirchberg

AfD, Identitäre, Querdenker: Wie die Tat von Illerkirchberg instrumentalisiert wird

    • |
    Polizei und Staatsanwaltschaft appellierten, keinen Generalverdacht gegen Fremde zu hegen.
    Polizei und Staatsanwaltschaft appellierten, keinen Generalverdacht gegen Fremde zu hegen. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Die zwei Mädchen sind auf dem Weg zur Schule, als ein Mann sie mit einem Messer attackiert. Eine 13-Jährige wird schwer verletzt, eine 14-Jährige stirbt im Krankenhaus. Es ist eine grausame Tat, die sich am Montagmorgen in Illerkirchberg nahe Ulm ereignet. Auf Telegram, Twitter, Facebook teilen seither Menschen ihre Gefühle zum Tod des Mädchens. Sie trauern, bekunden ihr Beileid, diskutieren und kommentieren die Tat. Im Zentrum der Auseinandersetzung: die Nationalität des mutmaßlichen Täters. Verdächtigt wird ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea.

    Polizei und Staatsanwaltschaft appellierten zuvor, keinen Generalverdacht gegen Fremde, Schutzsuchende oder Asylbewerber allgemein zu hegen oder solchem Verdacht Vorschub oder zu leisten – auch wenn die Tat Ängste schüre. Ähnlich äußerten sich Thomas Strobl (CDU), Innenminister des Landes Baden-Württemberg, und der Bürgermeister Illerkirchbergs, Markus Häußler (parteilos).

    Im Netz wird über die Herkunft des mutmaßlichen Täters von Illerkirchberg diskutiert

    Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass im Internet die Nationalität des mutmaßlichen Täters zum Politikum stilisiert wird. Auf Twitter finden sich tausende Beiträge unter dem Hashtag #Illerkirchberg. Vor allem rechte Akteure nutzen die Tat, um die Asylpolitik der Bundesregierung zu kritisieren. Alice Weidel, die Fraktionsvorstizende der AfD, schreibt: "Grenzen müssen endlich geschlossen und eine vollumfängliche Grenzkontrolle installiert werden." Julian Reichelt, ehemaliger Bild-Chef: "Die deutsche Migrationspolitik ist tödlich."

    Auch Nutzerinnen und Nutzer, die dem Querdenken-Milieu nahestehen, fordern politische Konsequenzen. Darunter der Anwalt Markus Haintz. Er schreibt, in Ulm könne man sich als Frau wegen der Asylpolitik nachts nicht mehr alleine bewegen. Und in der Telegram-Gruppe "Klardenken Schwaben" rufen Nutzerinnen und Nutzer zu Demonstrationen auf. Auch rechtsextreme Gruppierungen wie die "Identitäre Bewegung" oder "Der dritte Weg" mobilisieren auf Telegram ihre Anhänger. Sie schreiben, solche Verbrechen seien in der "bunten Republik schon fast zur Gewohnheit geworden".

    Icon Galerie
    25 Bilder
    Begleitet von Tränen, Trauer und hunderten Menschen ist das in Illerkirchberg getötete Mädchen am Mittwoch beigesetzt worden. Viele trugen ein Foto des Mädchens an der Jacke.

    Eine, die diese Entwicklung mit Sorge beobachtet, ist Kira Ayyadi. Sie arbeitet für Belltower.News, ein Internetportal der Amadeu Antonio Stiftung. Die Stiftung setzt sich gegen Rassismus ein, veröffentlicht Recherchen über Rechtsextremismus und Verschwörungsdenken. Ayyadi beschäftigt sich dort unter anderem mit Hetze im Netz. "Es ist furchtbar, was in Illerkirchberg passiert ist", sagt sie. "Aber solche Verbrechen werden häufig genutzt, um Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu machen."

    "Dass täglich Menschen durch die Hand von Deutschen sterben, wird bewusst verschwiegen"

    Ein Blick in die Statistik zeigt: Tatsächlich ist die Zahl der Taten, die in Verbindung mit Migration stehen, höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. In Bayern beispielsweise werden 34,7 Prozent aller Straftaten von Ausländern begangen, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur 13,7 Prozent ausmacht. Solche Statistiken seien jedoch häufig verzerrt, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung. Menschen mit Migrationshintergrund geraten schneller unter Tatverdacht, werden häufiger angezeigt. 

    Ayyadi kritisiert außerdem: Wenn Straftaten von Deutschen begangen werden, würde nicht über die Nationalität diskutiert. "Dass täglich Menschen durch die Hand von Deutschen sterben, wird bewusst verschwiegen. So was lesen wir selten bei AfD-Accounts." Mit bewusster Auslassung vermittelten rechte Politikerinnen und Politiker den Eindruck, nur Menschen mit Migrationshintergrund verübten Straftaten.

    Ayyadi fürchtet eine Mobilisierungswelle. Es könne zu ähnlichen Ausschreitungen kommen, wie sie 2018 in Chemnitz geschehen sind. Rechte Gruppen hatten damals zu Demonstrationen aufgerufen, nachdem ein Mann aus Syrien einen 24-Jährigen getötet hatte. In der Folge kam es zu Hetzjagden und Angriffe auf Asylsuchende.

    Auch in Illerkirchberg sind Aufmärsche von Rechtsradikalen geplant. So soll die AfD für Samstag eine Demonstration angemeldet haben. Erwartet werden 400 Menschen. Auch eine Gegendemonstration ist angekündigt. Die Gruppe "Klardenken Schwaben" will derweil in Ulm demonstrieren. Es wären nicht die ersten Proteste. Während am Mittwoch 1000 Menschen die Beisetzung des Mädchens besuchten und trauerten, hisst die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte "Identitäre Bewegung" vor dem Rathaus ein Banner. Motto: "Schützt unsere Kinder." Die Polizei war vor Ort.

    Kira Ayyadi warnt vor solchen Veranstaltungen. Sie sagt: "Über die Herkunft des Täters zu sprechen ist dann okay, wenn die Nationalität eine Rolle spielt." Das wäre erfüllt, wenn die Tat politisch oder religiös motiviert ist. Beispiel: Der Täter oder die Täterin hatte ein rassistisches oder islamistisches Motiv. "Das steht im Fall von Illerkirchberg aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht fest."

    Alle Artikel zum tödlichen Angriff in Illerkirchberg finden Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden