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"Man muss nicht unbedingt aufs Gymnasium gehen, um erfolgreich zu sein"

Bildung

"Man muss nicht unbedingt aufs Gymnasium gehen, um erfolgreich zu sein"

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    Das Abiturzeugnis eröffnet viele Möglichkeiten. Bildungsgerechtigkeit mit dem Besuch eines Gymnasiums gleichzusetzen – wie in der aktuellen ifo-Studie – stößt aber mitunter auf harsche Kritik.
    Das Abiturzeugnis eröffnet viele Möglichkeiten. Bildungsgerechtigkeit mit dem Besuch eines Gymnasiums gleichzusetzen – wie in der aktuellen ifo-Studie – stößt aber mitunter auf harsche Kritik. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Bis Hubert Aiwanger der Kragen platzte, dauerte es nicht lange. Kein Wunder – die Schlagzeilen, die die ifo-Studie zur Bildungsgerechtigkeit vergangene Woche machte, rückten den erfolgsverwöhnten Freistaat schließlich in kein gutes Licht. Die Quintessenz der Erhebung: Was die Bildungschancen für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen angeht, ist Bayern bundesweit Schlusslicht. In keinem anderen Bundesland hängt es so sehr vom familiären Hintergrund ab, ob ein Kind aufs Gymnasium geht. Aiwanger will das so nicht stehen lassen: "Dass in Bayern viele gute Schüler auf der Realschule sind und andere Länder diese Schulform gar nicht (mehr) haben, interessiert wohl kaum jemand", kritisiert der Freie-Wähler-Chef und stellvertretende Ministerpräsident auf der Plattform X. "Und dass gescheiterte Gymnasiasten oft schlechter dastehen als solide Hauptschulabsolventen, die anschließend eine Lehre machen, sollte man auch bedenken", schimpft Aiwanger weiter. Mit seiner Meinung über die Studie ist er nicht allein. 

    Aiwangers Parteikollegin und Kultusministerin Anna Stolz äußert sich ähnlich. "Die einseitige Betrachtungsweise der ifo-Studie, Chancengerechtigkeit einzig und allein an den Besuchsquoten des Gymnasiums festzumachen, ist mehr als fragwürdig und gesellschaftspolitisch geradezu fatal", sagt sie nach der Veröffentlichung der Studie. 

    Realschuldirektor Rister: ifo-Studie ignoriert Vielfalt an Bildungswegen

    Auch Martin Rister, Bezirksvorsitzender von Schwaben Nord des Bayerischen Realschullehrerverbandes und Direktor der Realschule in Babenhausen (Landkreis Unterallgäu), ärgert sich. "Die Gleichsetzung von Lebenserfolg mit dem Besuch eines Gymnasiums halte ich für äußerst fragwürdig", sagt er. "Natürlich ist es gut, dass es Gymnasien gibt – nur der Glaube, dass alles gut wird, wenn mein Kind ein Gymnasium besucht, der bildet nicht die Realität ab." Es sei deshalb bedauerlich, dass die Studie des ifo-Instituts die Vielfalt an Bildungswegen ignoriere, die über Realschulen, Mittelschulen und Wirtschaftsschulen zum Erfolg führten. "Immerhin erlangen in Bayern mehr als 50 Prozent der Hochschulzugangsberechtigten ihre Qualifikation nicht über das Gymnasium", sagt Rister. "Der Königsweg ist für mich der Besuch der Realschule, dann eine Lehre, vielleicht ein bis zwei Jahre Berufserfahrung sammeln und danach auf der BOS Abitur machen. Dann stehen mir alle Wege offen." 

    "Man muss nicht unbedingt aufs Gymnasium gehen, um erfolgreich zu sein", sagt auch Hansjörg Settele, Bauunternehmer aus Bad-Wörishofen. Er ist, wenn man so will, ein Beispiel für jemanden, der es ohne Gymnasium zu etwas gebracht hat. "Ich war damals auf der Realschule", erzählt er. Nach der neunten Klasse brach er die Schule sogar ab, machte eine Maurerlehre. "Den Realschulabschluss habe ich dann nachgeholt." Settele dachte auch darüber nach, auf die Fachoberschule zu gehen und später zu studieren. "Aber ich habe mich anders entschieden und bin auf die Meisterschule gegangen." Rückblickend sei sein Bildungsweg gut gelaufen, sagt er. "Ich kenne auch viele andere Unternehmer, die nicht auf einem Gymnasium waren und die heute sehr erfolgreich sind." 

    Menschen mit Abitur verdienen 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur

    Die Macher der ifo-Studie räumen ein, dass es nicht für jedes Kind die beste Entscheidung sei, auf ein Gymnasium zu gehen. "Aber die Chance darauf sollte nicht von der Herkunft des Kindes abhängen", schreiben die Autoren. Warum die Chancengleichheit anhand der Wahrscheinlichkeit, mit der Kinder mit unterschiedlichen familiären Hintergründen ein Gymnasium besuchen, gemessen wird, erklären sie so: Der Gymnasialbesuch als Bildungsmaß sei leicht interpretierbar, lasse sich gut beobachten und mit dem Mikrozensus liege zudem ein umfangreicher Datensatz vor, der Informationen über den Gymnasialbesuch von Kindern und Jugendlichen in Verbindung mit ihrem familiären Hintergrund bereitstelle. "Diese Datenbasis ermöglicht statistisch belastbare Auswertungen für eine Bundesländeranalyse", heißt es in der Studie. Zudem stelle der Gymnasialbesuch ein aussagekräftiges Maß für die sozialen und wirtschaftlichen Chancen eines Kindes dar. Das Abitur eröffne den Zugang zum Hochschulwesen und ermögliche somit Bildungswege, die mit lukrativen Berufsaussichten verbunden seien. "Tatsächlich verdienen Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur", heißt es im ifo-Bericht. 

    Im Freistaat ist das Gymnasium die beliebteste Schulart, wie aus Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Schule hervorgeht. Von den 110.578 Grundschulkindern im Schuljahr 2021/22 setzen 28 Prozent ihre Schullaufbahn 2022/23 an einer Mittelschule, ebenfalls 28 Prozent an einer Realschule und 41 Prozent an einem Gymnasium fort.

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