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Hubert Aiwanger und die Flugblatt-Affäre: Ein Jahr danach

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Ein Jahr nach der Flugblatt-Affäre: Bilanz eines politischen Bebens

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    Hubert Aiwanger (FW) und Markus Söder (CSU)
    Hubert Aiwanger (FW) und Markus Söder (CSU) Foto: Peter Kneffel, dpa

    Hubert Aiwanger hat viel zu sagen in diesen Tagen. Ob es nun um die Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht, die Qualität der bayerischen Jägerprüfung oder die Tücken der kommunalen Wärmeplanung: Der Wirtschaftsminister bezieht Stellung. Das gehört auch zu seinem Job. Nur bei einem Thema wird er schweigsam.

    „Kein Kommentar“ lautet die Antwort auf insgesamt sechs Fragen unserer Redaktion, die sich um die Folgen der „Flugblatt-Affäre“ drehen, in deren Mittelpunkt der Freie-Wähler-Chef stand. Vor ziemlich genau einem Jahr machte diese aus dem im Hochsommer vor sich hin dümpelnden bayerischen Wahlkampf ein Drama. Aiwanger musste um Job und Reputation kämpfen, die Regierungskoalition aus CSU und FW um den Fortbestand und der Rest der Republik rätselte, ob in Bayern ein Antisemit als stellvertretender Ministerpräsident eines der höchsten Regierungsämter bekleidet.

    Antisemitisches Pamphlet im Schulranzen

    Mehr als 30 Jahre zuvor war aus dem Schulranzen des Gymnasiasten Hubert Aiwanger ein Flugblatt gefischt worden, das üble antisemitische Parolen enthielt. Der Schüler Aiwanger musste zur Buße ein Referat halten und damit war die Sache offiziell erledigt - bis sie die Süddeutsche Zeitung ausgrub. Das Blatt unterstellte Aiwanger die Urheberschaft und berichtete, er sei in der Schule für seine rechtsextreme Gesinnung bekannt gewesen. Aiwanger sprach von einer Schmutz-Kampagne und benannte seinen Bruder als Verfasser des Pamphlets. Er solle persönlich und politisch fertig gemacht werden, so der Politiker, der im Zuge der Affäre 25 Fragen beantworten musste, die ihm Ministerpräsident Markus Söder gestellt hatte.

    In seinen Antworten machte der FW-Chef viele Erinnerungslücken geltend und beklagte, dass ein vertrauliches Dokument aus einer Schulzeit an die Öffentlichkeit durchgestochen worden sei, um ihm zu schaden. Der Verdacht fiel auf einen früheren Lehrer. Ermittlungen gegen den Mann hat die Staatsanwaltschaft erst vor Kurzem eingestellt, weil der Nachweis nicht zu führen sei. Ein Disziplinarverfahren gegen den pensionierten Beamten läuft dagegen noch.

    Woran sich Aiwanger in der Flugblatt-Affäre erinnert

    Obwohl er sich nur zu einer wachsweichen Entschuldigung durchrang (“Ich bereue, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe“), überstand Aiwanger die Affäre bestens. Ministerpräsident Söder ließ den Vize im Amt, aus den Landtagswahlen im Oktober gingen die Freien Wähler stark wie noch nie hervor, weil sich viele Wähler mit Aiwanger solidarisierten. Söder beklagte hinterher mehrfach, dass die Affäre ihm und seiner CSU ein besseres Landtagswahlergebnis vermasselt habe.

    Wie aber sieht die Bilanz ein Jahr später aus?

    Die Politikwissenschaftlerin Prof. Ursula Münch zieht ein zwiespältiges Fazit. Nach Ansicht der Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing hat die Affäre den Freien Wählern bei dem Teil der Wählerschaft, der ohnehin misstrauisch gegenüber Medien und etablierten Parteien sei, geholfen. Münch: „Hier hat Aiwangers Behauptung, es gebe Versuche, ihm gezielt zu schaden, offenkundig verfangen. Geschadet hat ihm die Affäre vor allem in Kreisen, die ohnehin nicht FW wählen würden. Das war also kein Problem.“

    Flugblatt-Affäre: Die Bilanz

    Laut Münch gibt es dennoch ein großes „Aber“: „Innerhalb des Kabinetts hat die Affäre Aiwanger durchaus geschadet und auch bei den Mitgliedern und Anhängern der FW, denen es ein Anliegen ist, die Partei als seriöse Kraft zu positionieren. Aber denen blieb angesichts seines Erfolgs bei der Wahl nichts anderes übrig, als ihren Ärger hinunterzuschlucken.“

    Als Ministerpräsident Söder vor einem Jahr der Öffentlichkeit erklärte, warum er an Aiwanger festhält, kritisierte er dessen Umgang mit der Affäre, weil der FW-Chef erst spät Reue gezeigt habe. Seine Aufforderung an Aiwanger: Dieser müsse das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen und das Gespräch mit jüdischen Gemeinden suchen, müsse Demut zeigen. Diese öffentliche Aufforderung verhallte wohl ungehört. Nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks gab es bislang keinen offiziellen Besuch Aiwangers bei jüdischen Gemeinden oder in KZ-Gedenkstätten. Geplant war im Zuge der aus Sicherheitsgründen abgesagten Israel-Visite ein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Das allerdings gehört bei Israel-Besuchen deutscher Politiker zum Pflichtprogramm. Zudem ist unklar, was Aiwanger dort gesagt hätte.

    Ein Jahr nach der Flugblatt-Affäre: Was sagt Söder?

    In Israel selbst jedenfalls haben die Vorgänge um den stellvertretenden Ministerpräsidenten „schon Aufmerksamkeit erregt,“ sagt Ludwig Spaenle (CSU). Der frühere Kultusminister soll als Beauftragter der Staatsregierung jüdisches Leben in Bayern fördern und dem Antisemitismus entgegenwirken. Aiwangers Bemühen um neues Vertrauen? „Ich habe nichts festzustellen,“ sagt Spaenle doppeldeutig und will die politische Bewertung offenkundig Ministerpräsident Söder überlassen. Der Chef aber drückt sich. Auf die Frage, wie er Aiwangers Bemühungen bewerte, lässt Söder über einen Sprecher seiner Staatskanzlei ausrichten, dass er sich nicht äußern wolle.

    Schweigt Söder, weil es schlicht nichts zu berichten gibt? Grünen-Chefin Katharina Schulze, die die Flugblatt-Affäre als „Tiefpunkt der bayerischen Landespolitik“ bezeichnet, beantwortet die Frage nach Aiwangers Bemühungen mit einem kurzen Satz: ‚Ich habe nichts mitbekommen.“

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    4 Kommentare
    Otto Albrecht

    Bei dieser Sache gibt es sehr seltsame Vorkommnisse. Ich habe Ende der Sechzigerjahre Abitur in Lauingen gemacht und kann mich noch erinnern dass da, während meiner Zeit in der Oberstufe, genau so ein Pamphlet im Umlauf war. Schon damals war mir aufgefallen dass man den Text nicht nur als antisemitisch auffassen konnte, sondern auch als Wunsch die Nazis sollten genauso behandelt werden wie sie ihre Gegner (vermeintliche, erfundene oder echte). Dieser Text war den Lehrern bekannt - den Schülern sowieso. Sonst könnte ich mich ja nicht daran erinnern. Es gab damals Verbindungen zwischen den Schulen in Lauingen und Günzburg. Dort war das Pamphlet auch bekannt - mindestens unter Schülern. Ob es damals Konsequenzen gegeben hat, wegen dieses Textes, weiß ich nicht mehr. Es ist aber sehr unwahrscheinlich dass der 'Aiwangertext' eine neue Erfindung war.

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    Wolfgang Leonhard

    Wollen Sie mit Ihrem Beitrag Aiwanger das Urheberrecht auf sein Pamphlet streitig machen? Er hat doch längst zugegeben, dass es sein Bruder verfasst hat. Nur glaubt ihm das niemand.

    Otto Albrecht

    Ich will nur was richtigstellen.

    Wolfgang Schwank

    Scheinbar glaubt dieser oder jener, dass nach einer 12monatigen Schamfrist die Stunde der Verharmloser oder gar Rechtfertiger schlägt. Fakt ist, dass wir, das Bayernvolke, einen einstigen jugendlichen Naziverherrlicher als stellvertretenden Ministerpräsidenten haben, der heutzutage beispielsweise auf der Zusammenkunft der Pegida-Moni die Demoikratie zurückholen will. Oh, wes' Geistes Kind? Fakt ist auch, dass diese Koalition mit deshalb Bestand hat, weil sich der Stratege Söder durch seine Vorfestlegung vergaloppierte und den Resetknopf nicht mehr fand. Unterm Strich, ein weiteres Kapitel beschämender Ereignisse, von Spielbankenaffäre, meineidigen Ministern, Wackersdorf, etc.

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