Herr Holetschek, die wirtschaftliche Lage ist schlecht, viele Menschen bekommen keinen Kitaplatz für ihr Kind oder keinen Pflegeplatz für ihre Eltern. Und bei vielen Unionspolitikern dreht sich alles um Bürgergeld, Migration und böse Arbeitsverweigerer. Kann es sein, dass Sie gerade an den Themen vorbeireden, die die Menschen wirklich bewegen?
KLAUS HOLETSCHEK: So einfach ist das nicht. Die Umfragen zeigen, dass das Thema Migration neben der wirtschaftlichen Lage immer noch ganz viele Menschen beschäftigt. Es ist ja augenscheinlich auch ein ungelöstes Problem. Zum anderen hängt es mit vielen anderen Themen zusammen: Kita, Schule, Pflege. Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Obwohl Bayern das sicherste Bundesland ist, treffe ich immer wieder Menschen, die mich fragen, ob sie in dieses Viertel oder jenen Bahnhof noch gehen können. Deswegen ist es so wichtig, Migration endlich zu begrenzen.
Migration gleich Sicherheitsproblem – Verzeihung, aber jetzt klingen Sie beinahe wie ein AfD-Politiker…
HOLETSCHEK: Tatsachen schönzureden, wie es die Berliner Blase tut, wird uns nicht weiterhelfen. Wir müssen Probleme schon klar benennen: Zum Beispiel auch das Bürgergeld, das zu einer zentralen Gerechtigkeitsfrage unserer Tage wird. Natürlich gibt es folgenden Zusammenhang: Im Doppelhaushalt des Freistaats Bayern sind Milliarden für das Thema Asyl eingestellt. Da stellt sich natürlich die Frage, wie wirkt sich das auf andere Leistungen aus? Wir geben zum Beispiel jährlich für das Familiengeld 800 Millionen aus und fürs Landespflegegeld 450 Millionen.
Sie wollen sagen, dass wir nicht mehr so viel Geld für Flüchtlinge und deren Unterbringung ausgeben sollten?
HOLETSCHEK: In jedem Fall müssen wir uns genau überlegen, wie wir priorisieren. Was können wir uns denn sonst im sozialen Bereich noch leisten? Es ist doch so: Migration ist das Booster-Thema der Radikalen. Die Menschen bringen es aber immer mehr mit sozialen Fragen in Zusammenhang. Und dann geht es natürlich um die Frage: Wo setzen wir unsere Mittel ein und wo können wir uns Dinge nicht mehr leisten, weil die Mittel anderweitig gebunden sind.
Klingt ein wenig so, als wollten Sie die Menschen auf Zumutungen einstellen. Muss man den Leuten sagen, was der Staat alles nicht mehr kann?
HOLETSCHEK: Wir werden an Punkte kommen, wo wir uns fragen müssen, ob wir so weitermachen können. Die Probleme der Menschen werden wir nicht mehr nur mit neuen Förderprogrammen lösen können. Ohne eine starke Wirtschaft mit Steuereinnahmen können wir keine gute Sozialpolitik machen. Das Geld wird knapper, Deutschland bleibt Konjunktur-Schlusslicht, die Ampel liefert nicht. Zudem werden die innere und äußere Sicherheit noch mehr Ressourcen binden. Da kommen wir nicht drumherum, das wird uns von außen aufgezwungen. Wir werden uns wieder mehr auf den Kern konzentrieren müssen: Was will die Gesellschaft, was ist der Einzelne selber bereit zu tun? Welche Aufgaben hat der Staat? Diese Diskussion wird schon zur Bundestagswahl kommen.
Was wollen Sie den Leuten denn noch zumuten?
HOLETSCHEK: Zumutung ist vielleicht das falsche Wort. Wir müssen uns fragen, wie wir den Staat gestalten wollen. Nehmen Sie das Thema Entbürokratisierung. Ich bin überzeugt davon, dass wir wieder vieles deutlich einfacher gestalten müssen. Das hat aber eine Kehrseite, und die heißt Eigenverantwortung. Wenn man will, dass der Staat nicht mehr so viel regelt, dann muss man auch diese Konsequenz akzeptieren.
Stichwort Verantwortung übernehmen – ist in diesem Zusammenhang auch die verpflichtende Gesellschaftszeit zu sehen, also ein militärischer oder ziviler Pflichtdienst, den die CSU-Fraktion fordert?
HOLETSCHEK: Ja. Wir spüren, dass die Bereitschaft, das Gemeinwesen aktiv mitzugestalten, nachlässt. Der Staat kann aber nur funktionieren, wenn die große Mehrheit der Gesellschaft seine Werte trägt und die Herausforderungen gemeinsam gemeistert werden.
Wo würden Sie denn konkret einsparen?
HOLETSCHEK: Es gibt verschiedene Stellschrauben, wir müssen viele Themen vom Grundsatz her neu denken. Ich habe zum Beispiel für die CSU-Fraktionsklausur Mitte September das Thema Pflege auf die Tagesordnung gesetzt, weil ich glaube, dass wir da auf eine ganz prekäre Situation zusteuern. Ich habe ja selbst als Gesundheitsminister noch eine Pflegereform vorgeschlagen, bin aber inzwischen der Meinung, dass wir über einen radikalen Systemwechsel nachdenken müssen.
Wie soll dieser Systemwechsel aussehen?
HOLETSCHEK: Wir sollten über eine Vollversicherung im Pflegebereich diskutieren. Wenn man mit den Menschen draußen spricht, gibt es fast keine Familie mehr, die nicht irgendjemanden zu pflegen hat. Und sie finden keinen Pflegeplatz, keine Pflegekräfte, müssen eine Menge Geld aufwenden. Wir müssen auch die pflegenden Angehörigen noch besser unterstützen.
Eine Pflege-Vollversicherung würde den Staat aber wieder sehr viel Geld kosten.
HOLETSCHEK: Ja, das stimmt. Aber da sind wir wieder bei der Frage: Was wollen wir? Was ist es uns wert? Und können wir woanders sparen? Im Übrigen würde eine Vollversicherung an anderer Stelle Entlastung bieten: Denn viele Menschen können sich die Eigenanteile nicht leisten, und dann muss die Sozialhilfe einspringen. Das fiele dann weg.
In den vergangenen Jahren wurde der Christlich-Sozialen Union häufig vorgeworfen, das Soziale zu vernachlässigen. Als vor Kurzem Alois Glück starb, fiel auf, wie oft er als das „soziale Gewissen der CSU“ geehrt wurde. Entdeckt Ihre Partei da gerade ein altes Thema wieder neu?
HOLETSCHEK: Das Thema war nie weg, denken Sie an Barbara Stamm, aber es gewinnt wieder an Bedeutung. Ich habe oft mit Alois Glück gesprochen, habe immer bewundert, wie es ihm gelungen ist, abseits der Tagespolitik immer wieder Themen zu setzen, vor allem gesellschaftliche. Bei unserer Fraktionsklausur haben wir daher auch Gäste aus allen Gesellschaftsbereichen eingeladen. Zudem werden wir als CSU-Fraktion bald eine Alois-Glück-Medaille für herausragende ehrenamtliche Leistungen vergeben.
Ist das zuletzt bei der CSU etwas zu kurz gekommen: Positionen zu hören, zu beachten, zu diskutieren, die nicht der eigenen entsprechen?
HOLETSCHEK: Ich habe jetzt zum Thema Gesellschaftszeit alle Verbände angeschrieben und um einen Dialog gebeten. Es ist der Versuch, in die Diskussion zu kommen, auch kontroverse Standpunkte auszutauschen. Es gibt da gerade viele Bruchstellen und wir müssen wieder mehr um gemeinsame Lösungen ringen. Das ist mir sehr wichtig.
Wenn Sie nun inhaltlich diese Trendwende zu mehr Sicherheit und mehr Eigenverantwortung hinkriegen wollen, stellt sich für die Bundestagswahl natürlich die Frage, mit welchem Personal will die CSU ins Rennen gehen. Was ist Ihre Meinung dazu?
HOLETSCHEK: Zunächst einmal muss die Kanzlerkandidatur geklärt werden. Dazu gibt es einen klaren Fahrplan, das wird nach den Wahlen in Ostdeutschland entschieden.
Wenn Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Union wird, wofür im Moment vieles spricht, wer soll dann Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl werden?
HOLETSCHEK: Entscheidend ist die Frage: Mit welchem inhaltlichen und personellen Angebot haben wir die maximale Chance auf einen Wahlerfolg? Das ist die Frage, die über allem steht, und da geht es zuerst um die Entscheidung über einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten.
Die Umfragen sagen, das wäre im Moment Markus Söder.
HOLETSCHEK: Dass Markus Söder Kanzler kann, ist für mich unbestritten. Er hat oft genug bewiesen, dass er führungsstark ist und die Menschen ihm vertrauen.
Zur Person
Klaus Holetschek, 59, ist seit Oktober 2023 CSU-Fraktionschef im Landtag, vorher war er bayerischer Gesundheitsminister. Der studierte Jurist lebt in Memmingen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Nach diesem Interview mit dem CSU-Fraktionsvorsitzenden gehe ich mal davon aus, dass in den nächsten Tagen die anderen Fraktionschefs im Landtag die Chance bekommen, das eine oder andere Argument zu formulieren und ansonsten das leere Stroh (wie Holetschek) zu dreschen.
Söder als Kanzler? Danke nein!
Das einzige, was Söder bisher bewiesen hat, ist seine Unzuverlässigkeit in seinen Aussagen. Er ist am Vormittag noch für etwas, was er am Nachmittag dann heftig bekämpft, um es dann Abends nochmal anders zu sehen. Seine ganzen populistischen Versprechungen eint nur eines: Sie wurden nie eingehalten. Aber das Interview zeigt, welche Linie die CSU schon seit längerem fährt: Söder soll Kanzler werden, um nichts anderes geht es bei den Showevents der CSU.
Ich glaube, ich bin Hellseher. =:) Keine anderen Kommentare waren zu erwarten. Die aktuell 58%, die Söder nicht wollen, haben hier ihre Heimat gefunden. Ähnlich extrem verhält es sich auch bei fast allen anderen Parteien oder deren Vorsitzenden. Ein Mittelmaß zwischen 100% Ablehnung und 100% Befürwortung ist zur Rarität geworden,
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden