Im Keller plätschert das Grundwasser, draußen sollen Sandsäcke die Flut aufhalten. Das Atrium im Vorhof von Nordendorfs schmucker Schule gleicht einem kleinen See, der von Pumpen unablässig weiter befüllt wird. Der eine Million Euro teure Schulsportplatz ähnelt einem Schwimmbecken. "In einer Viertelstunde war er vollgelaufen", erzählt Bürgermeister Tobias Kunz (Freie Wähler) bei einem kleinen Rundgang durch den Ort.
Das sagt der bayerische Umweltminister zum Hochwasserschutz
Das sonst so geschäftige Dorf im Norden des Landkreises Augsburg ist gespenstisch still. Drei Viertel der Häuser sind evakuiert, in der Höhe des Bauhofes droht am Montagvormittag der Damm gegen die Schmutter zu brechen. Die Kanalisation ist schon hinüber, die Stromversorgung zum Teil. Unverantwortlich sei es, zu diesem Zeitpunkt die Menschen zurück in den Ort zu lassen, sagt Gemeindechef Kunz. Für den Nachmittag werde eine weitere Hochwasserwelle befürchtet.
In dem Ort an der Schmutter hat man leidvolle Erfahrung mit Überschwemmungen, die Dorfchroniken berichten davon. Im August 2005 war Nordendorf zuletzt Schauplatz eines verheerenden Jahrhunderthochwassers, damals traf es auch den rund zwei Kilometer entfernten Nachbarort Westendorf – die ganze Gegend glich einer Seenlandschaft. In der Folge sollten höhere Dämme und Deiche die Orte besser schützen. Daraus wurde ein Endlos-Projekt. Westendorf wird seit Sommer 2021 von einem 700 Meter langen Damm geschützt, für Nordendorf war lange nicht genug Geld da. Inzwischen gibt es einen Plan und Finanzierungszusagen – gebaut aber wurde kein Meter Damm. Und so steht in Nordendorf das Wasser, während zwei Kilometer weiter südlich besorgte Anwohner den mit Sandsäcken verstärkten Westendorfer Deich inspizieren, der ihren Ort schützt.
Ist Bürgermeister Kunz wütend auf Behörden und Politik in München? Der Bürgermeister winkt müde ab: "Die, auf die man sauer sein müsste, sind nicht mehr im Amt." In München hat seit 2018 der Freie-Wähler-Politiker Thorsten Glauber als Umweltminister das Sagen und der findet, dass der Freistaat beim Hochwasserschutz eine Menge geleistet hat. Vier Milliarden Euro wurden in den vergangenen Jahren in Dämme und Deiche gesteckt, weitere zwei Milliarden sollen folgen. Derzeit laufen in Bayern rund 200 Baumaßnahmen zum Schutz vor Hochwasser, und Glauber lässt auf Anfrage unserer Redaktion durchblicken, dass man noch mehr machen könnte. "Ich werbe auch weiterhin für bestmögliche Mittel beim Hochwasserschutz."
Zentrales und umstrittenes Projekt ist eine Kette von neun Flutpoldern an der Donau, die in den 2030er Jahren mit Bertoldsheim (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) und Wörthhof bei Regensburg abgeschlossen werden sollen. "Solche Projekte brauchen Zeit und erfordern umfangreiche Planungen," sagt Glauber. Es gehe nur dann schnell, "wenn alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten und Planung und Umsetzung unterstützen". Was bei derart umstrittenen Vorhaben, die stark in die Rechte von Grundstückseigentümern eingreifen, eher nicht der Fall ist. Auch Glaubers Parteichef Aiwanger gehörte lange zu den Gegnern von Poldern, ehe er seinen Widerstand aufgab. Aktuell sind von Aiwanger andere Töne zu hören. Via Nachrichtendienst X attackierte er den Landesschutz für Vogelbund wegen dessen Klagen gegen einen Deich bei Kelheim, der jetzt nötig gewesen wäre. Die Vogelschützer setzten sich umgehend zur Wehr. Nicht sie seien schuld, sondern die schlechten Planungen der Behörden. Überdies habe Aiwanger selbst 2018 im Koalitionsvertrag den Hochwasserschutz heruntergefahren.
Für Christian Hierneis, Umweltexperte der Grünen im Landtag, ist der Bau von Dämmen, Deichen und Poldern nur ein Teil der Lösung. Statt sich auf den technischen Hochwasserschutz an gefährdeten Stellen zu konzentrieren, müsse Bayern auch an den ökologischen Hochwasserschutz denken: Senken und Mulden, in denen sich das Wasser sammeln kann, entsiegelte Flächen, die Fluten aufsaugen, anstatt sie weiterzuleiten. "Wir müssen in die Fläche gehen, auch wenn es kompliziert wird," sagt Hierneis. Das Kartenmaterial für derartige Projekte gebe es, man brauche aber Geld und Personal, um es umzusetzen. Hierneis weist darauf hin, dass es aufgrund von starken Regenfällen an vielen Orten zu unerwartetem Hochwasser kommen könne. "Was hilft mir dann der Polder an der Donau, wenn ich in Mering Hochwasser habe."
Hochwasser in Nordendorf: Notfallplan
In Nordendorf an der sonst so zahmen Schmutter hatten sie sogar einen Notfallplan. Am Wochenende kam er aus der Schublade. Eilends wurden die bestehenden Dämme verstärkt. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und Bundeswehr eilten zu Hilfe, vor der Gemeindeverwaltung sammelten sich 150 freiwillige Helfer. In Windeseile zogen sie einen provisorischen Deich. Mit Paletten voller Baumaterial und Folie wollten sie die Lücke schließen, und Bürgermeister Tobias Kunz ist überzeugt, sogar ein extremes Hochwasserereignis hätte man damit gemeistert. Nicht aber diese Welle, die da ankam. "Das hat uns zerrissen," sagt Kunz und blickt auf die braune Brühe, die durch die Straßen schwappt. "Bei diesen Wassermassen hatten wir keine Chance." Auch der so lange geplante Damm sei nur für ein 100-jähriges Hochwasserereignis ausgelegt, sagt der Bürgermeister, gibt aber zu: "Höher als unserer wäre er schon gewesen."
Pläne für Damm: Wie geht es in Nordendorf weiter
Ob die neuerliche Überflutung nun den Dammbau von Nordendorf beschleunigt? Tobias Kunz ist sich da nicht so sicher. Er fürchtet viel mehr eine weitere Welle von Bürokratie. Das neuerliche Hochwasser könne zu neuen Berechnungen führen und am Ende die jetzigen Pläne wieder über den Haufen werfen, unkt er. Zunächst aber geht es in Nordendorf um die Beseitigung der akuten Schäden, deren Ausmaß noch gar nicht abzusehen ist. Kunz blickt traurig in den Keller der Schule: "Der ganze Trockenbau ist hin, der muss raus." Er hofft inständig auf schnelle und unbürokratische Hilfe ohne langwierige Antragsverfahren und Ausschreibungen. Sein Appell an die Politik: "Gebt uns die Kohle und lasst uns machen."