Bevor das Hochwasser kam, standen die Kartoffelpflanzen so hoch auf dem Acker, wie Michael Näßls Gummistiefel an seinen Jeans entlangreichen. Jetzt zieren nur ein paar braune, winzige Pflänzchen den Boden, dazwischen steht das Wasser in den Furchen, ein fauliger Geruch liegt in der Luft.
Näßl bleibt im sumpfigen Acker stehen und sticht mit dem Spaten in den matschigen Boden – dorthin, wo eigentlich die Kartoffeln wachsen sollten. Dann gräbt er ein matschiges gelbes Etwas heraus. Eine Woche stand das Wasser, hier im Donauwörther Stadtteil Nordheim, auf dem Acker, jetzt sind die Kartoffeln kaputt.
Auch die Gerste, die Michael Näßl daneben angebaut hat, ist untergegangen. 1,20 Meter hoch stand das Wasser vergangene Woche im Feld. Noch kann der Landwirt nicht sagen, wie groß der Schaden ist. Er schätzt, dass auf dieser Fläche gerade einmal zehn Prozent des Ertrags bleiben, weil sich kaum Körner ausbilden dürften. Näßl stapft durch die Wasserpfützen zurück Richtung Auto, schüttelt den Kopf und sagt: „Mit einem Wisch ist alles kaputt. Das ist so deprimierend.“
Das Hochwasser hat auch die Landwirtschaft getroffen
Die Fluten, die mancherorts als Jahrhunderthochwasser in die Geschichte eingingen, haben viele in Süddeutschland empfindlich getroffen – Hausbesitzer ebenso wie Bauern. Mehr als 55.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche standen unter Wasser. Allein in Schwaben wurden 29.000 Hektar Felder und Wiesen überflutet, 900 Betriebe sind betroffen. Markus Drexler, Sprecher des Bayerischen Bauernverbands, sagt: „Die Wassermassen haben oft große Teile der Ernte für dieses Jahr vernichtet.“ Viele Betriebe seien mit weit über der Hälfte ihrer bewirtschafteten Fläche vom Hochwasser betroffen.
Wie sehr das Wasser den Kulturen zugesetzt hat, zeigt sich erst nach und nach: Getreide, das von den Wassermassen plattgewalzt wurde, ist in den meisten Fällen nicht mehr zu retten. Grünland, das überflutet wurde, kann landwirtschaftlich nicht mehr genutzt werden, heißt es aus dem Agrarministerium. Wenn Kartoffeln oder Zuckerrüben mehrere Tage unter Wasser stehen, sterben sie ab. Allenfalls Mais könne jetzt noch neu gesät werden, erklärt Stephan Bissinger, Landwirt aus Ichenhausen und schwäbischer Bauernpräsident. Für Kartoffeln, Rüben oder Getreide sei es bereits zu spät im Jahr.
50 Hektar Land bewirtschaftet Michael Näßl rund um Nordheim – 40 Hektar davon wurden überflutet. Flächen, auf denen der Bio-Bauer Hafer und Soja, Ackerbohnen und Getreide, Kartoffeln und Raps anbaut. Einzig die beiden Felder, auf denen Kleegras wächst, blieben verschont. Der 37-Jährige, der den Betrieb 2011 von seinem Großonkel übernommen hat, hat schon einmal ein Hochwasser mitgemacht – 2013 war das. „Aber das war kein Vergleich“, sagt er.
Als das Hochwasser auf Nordheim zukam, dachte Michael Näßl noch gar nicht an seine Felder. Der 37-Jährige ist der Feuerwehrkommandant im Donauwörther Stadtteil. Tagelang hat er mit den Feuerwehrkameraden und vielen Freiwilligen 10.000 Sandsäcke befüllt und verteilt, um das Dorf gegen die Fluten der Schmutter, des Egelseebachs und der Donau zu verteidigen. Erst am vergangenen Samstag, als der Ort sicher war, hat Näßl seine Felder begutachtet, mit Pumpen versucht, das Wasser aus den Senken zu holen und Gräben zu schaffen, damit das Wasser ablaufen kann.
Jetzt steuert Näßl sein Auto einen Feldweg entlang. Hinten rauscht die B2 vorbei, vorne sollten jetzt Mais und Ackerbohnen wachsen. Dann kamen die Fluten. Bäuerin Michaela Näßl, 36, zeigt auf dem Handy eine Luftaufnahme, die deutlich macht, wie weit das Hochwasser reichte. Ihr Mann sagt: „Es ist unvorstellbar, dass hier alles unter Wasser stand.“ Jetzt, wo es sich zurückgezogen hat, sind die Ackerbohnen, die auf dieser Fläche wachsen sollten, in sich zusammengefallen.
Hafer kaputt, Mais verfault: Hochwasser hat die Ernte zerstört
Näßl zieht eine Pflanze aus dem Boden, die Wurzel ist abgestorben. Was jetzt bleibt? Näßl zuckt die Schultern. Der Hafer auf einem anderen Acker hat sich nach dem Hochwasser orange gefärbt, ein Zeichen, dass er kaputt ist. Eigentlich hat er einen Kontrakt zu bedienen, sagt Näßl. Auf der Fläche nebenan verfault der Mais, der jetzt eigentlich sprießen sollte. Näßl hat ihn erst eine Woche, bevor das Hochwasser kam, ansäen lassen. Jetzt wird er das noch einmal tun müssen – mit Kosten von 500 Euro pro Hektar. Der Landwirt geht davon aus, dass die Schäden auf seinen Feldern mindestens 25.000 Euro betragen – und er schätzt, dass noch einmal 15.000 Euro hinzukommen dürften für Flächen, bei denen sich die Schäden erst zeigen.
Eine Mehrgefahrenversicherung, wie sie in Bayern gefördert wird, hätte Näßl in diesem Fall nicht geholfen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums greift diese bei den Folgen von Starkregen, nicht aber bei Überschwemmungen. Die Staatsregierung hat den Landwirten Soforthilfen zugesagt – pro Betrieb bis zu 50.000 Euro. Beim Bauernverband ist man überzeugt, dass das nicht annähernd ausreicht. Der schwäbische Präsident Bissinger rechnet vor, dass 50.000 Euro dem Verkaufserlös von fünf Hektar Kartoffeln entsprechen. „Da kommen geschädigte Landwirte nicht weit.“ Der Verband fordert daher, dass Bauernhöfe in existenzbedrohenden Fällen – genauso wie bei anderen Unternehmen – mit Soforthilfen bis zu 200.000 Euro unterstützt werden.
Und es geht ja längst nicht nur ums Geld. Vieles, was kaputt gegangen ist, könne man gar nicht berechnen, sagt Näßl. Auf dem Maisfeld sticht der Landwirt in den Boden, „wie verdichtet ist der, pickelhart“. Auf dem Acker tun sich Risse auf. Unzählige tote Regenwürmer liegen auf dem Feld. Näßl zählt 25 auf einem Quadratmeter. Die Tiere, die so wichtig sind für eine gute Bodendurchlüftung und den Humusaufbau im Boden, „sie sind regelrecht ersoffen“.
Was den Landwirt umtreibt, ist die Frage, wie es weitergeht. Und wie der Hochwasserschutz vor Ort umgesetzt wird. „Das Schlimme ist ja der Blick in die Zukunft“, sagt der 37-Jährige. „Wenn so ein Hochwasser alle paar Jahre kommt, das verkraften wir nicht.“