25 Jahre Wartezeit und noch immer kein Rückhaltebecken: Der kleine Weiler Siefenwang bei Dinkelscherben im Kreis Augsburg wurde zum Symbol für Versäumnisse beim bayerischen Hochwasserschutz, die Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) jetzt aufarbeiten will. Vier Tote und einen Vermissten forderten die jüngsten Überschwemmungen in Bayern, die vor allem an kleinen Gewässern katastrophale Folgen hatten. Der Sachschaden geht in die Milliarden, 7000 Menschen mussten ihre Häuser zumindest vorübergehend verlassen. Nun wird diskutiert, was man hätte besser machen müssen. Im Blickpunkt: Dämme, Deiche und Rückhaltebecken, die zwar längst geplant, aber bisher nicht gebaut worden sind, weil Geld, Personal oder Grundstücke fehlten. Unter Druck: Der zuständige Umweltminister Thorsten Glauber, der am Donnerstag im Umweltausschuss des Landtags Farbe bekennen musste.
Landratsamt korrigiert bayerischen Umweltminister Glauber
Glauber war schon zuvor in die Offensive gegangen. Da hatte er verkündet, dass man in Dinkelscherben, wo es seit neun Jahren eine Baugenehmigung gibt, Tatsachen schaffen wolle: Enteignungsverfahren, im Januar dann Baubeginn.
Möglicherweise war der Minister dabei etwas voreilig. Das Landratsamt Augsburg erklärte nämlich gegenüber unserer Redaktion, dass der Minister die Grundstückseigentümer nicht enteignen könne, weil rechtlich das staatliche Landratsamt als Enteignungsbehörde zuständig sei. Erst, wenn die Verhandlungen erfolglos beendet wurden, könne es ein Enteignungsverfahren geben. "Wir wurden bislang allerdings nicht offiziell darüber in Kenntnis gesetzt", heißt es aus der Behörde.
Glauber will mehr Enteignungsverfahren
Künftig könnte das Ministerium häufiger mit Enteignungsplänen an bayerische Kreisbehörden herantreten. Denn im Ausschuss kündigte Glauber an, dass Grundstücke schneller enteignet werden sollen. Entsprechende Vorschläge würden zuerst im Kabinett und dann im Landtag diskutiert. Ende Juli will Glauber im Ministerrat zudem vorbringen, wie viel Geld er für Reparatur und Ausbau des Hochwasserschutzes benötigt. Am Donnerstag sprach Glauber von einem dreistelligen Millionenbetrag. Zudem wolle er hinderliche Bürokratie abbauen. "Wir müssen schneller werden."
Mit Nachdruck wehrte sich der Minister gegen den Vorwurf, es sei beim Hochwasserschutz gespart worden. Seit 2000 habe der Freistaat vier Milliarden Euro dafür ausgegeben, in seiner Amtszeit seien die jährlichen Ausgaben von 220 auf 280 Millionen Euro gestiegen. "Natürlich kann es immer mehr sein", räumte Glauber ein. Doch seit Anfang des Jahrtausends habe sich viel verbessert. Auslöser war damals das verheerende Pfingsthochwasser von 1999, das unter anderem an Iller, Lech und Donau wütete.
Das sagt die Opposition zum Hochwasserschutz in Bayern
Während Gerd Mannes von der AfD für Unterstützung von Hausbesitzern warb, um ihre Gebäude besser zu schützen, kritisierten Vertreter von Grünen und SPD die Staatsregierung. Es gebe zu wenig Geld und zu wenig Personal, zudem tue man zu wenig für den natürlichen Hochwasserschutz, sagte Christian Hierneis (Grüne). Außerdem hätten die um 40 Prozent gestiegenen Baukosten die Ausgabensteigerung mehr als wettgemacht. "Sie haben die Ausgaben nicht angepasst und damit konnte weniger gebaut werden", sagte der Abgeordnete.
Für die SPD forderte Fraktionschef Florian von Brunn einen Kassensturz: "Wie viel Geld brauchen wir, um Menschen und Sachwerte zu schützen?" Die Augsburger Abgeordnete Anna Rasehorn kam noch einmal auf das Beispiel Siefenwang zurück: "Erst jetzt soll auf einmal gehandelt werden. Das kann es doch nicht sein."
In München kursierte zu diesem Zeitpunkt schon ein Schreiben der 59 von Enteignung bedrohten Grundstückseigentümer. Darin wird ausführlich dargelegt, dass man sich im Dezember 2019 mit dem Freistaat weitgehend auf einen Verkauf der Flächen geeinigt habe. Dann aber hätten dem zuständigen Wasserwirtschaftsamt Geld und Personal gefehlt, sodass der Handel erst vier Jahre später besiegelt werden sollte – bis dahin aber waren die Preise für Grund und Boden massiv in die Höhe gegangen. Für die FW-Abgeordnete Marina Jakob, die aus dem Kreis Augsburg kommt, ist dies "das große Problem".
Hochwasserschutz: Das Problem sind die Grundstückspreise
Die Behörden stützen sich bei ihren Verhandlungen auf die Werte eines Gutachterausschusses, der Verkäufe aus der Vergangenheit auswertet. Der Quadratmeterpreis sei letzten Endes "absurd niedrig" bei etwa der Hälfte des Marktüblichen gelegen, so Jakob. Sie sieht die von Glauber vorgebrachten Enteignungspläne skeptisch. "Das ist das letzte Mittel." Für betroffene Bauern gehe es oft um die Existenz.
Nach Angaben des Augsburger Landrats Martin Sailer (CSU) fehlten am Ende nur "wenige tausend Euro", um den Handel abzuschließen. Das könne doch nicht sein, schimpft der Kommunalpolitiker, in dessen Landkreis eine weitere Kommune, die schwer vom Hochwasser getroffen wurde, seit 20 Jahren auf den versprochenen Damm wartet. In Nordendorf könnte es am Ende noch länger dauern als in Dinkelscherben.
Der schwäbische Bezirksgeschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands, Matthias Letzing, sagt zu Glaubers Enteignungsplänen: "Wir wundern uns über diese Äußerung." Zum laufenden Verfahren wolle sich der Bauernverband aber nicht weiter äußern. Letzing erklärt: "Ich möchte nur nicht, dass den Landwirten die Schuld in die Schuhe geschoben wird, sie wissen sehr wohl, wie wichtig der Hochwasserschutz ist."
Wie das Umweltministerium am Donnerstag auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte, soll der Plan, der auf einem Mitte 2022 beschlossenem neuen Konzept beruht, spätestens Ende 2024 fertiggestellt werden. "Unmittelbar danach", so ein Sprecher, wolle man das "erforderliche Planfeststellungsverfahren beantragen und dabei auf "eine zügige Verfahrensdurchführung dringen".