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Hochwasser: Europawahl im Flutgebiet: Der Wahlbrief kommt per Bote

Hochwasser

Europawahl im Flutgebiet: Der Wahlbrief kommt per Bote

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    Wahlplakate nah am Wasser: In vielen Regionen Bayerns und Baden-Württembergs - hier Ochsenhausen - muss bei der Abstimmung improvisiert werden.
    Wahlplakate nah am Wasser: In vielen Regionen Bayerns und Baden-Württembergs - hier Ochsenhausen - muss bei der Abstimmung improvisiert werden. Foto: Thomas Warnack, dpa

    Die Flut kam zu schnell, um den Behälter mit den Briefwahlunterlagen noch zu retten. Die Stimmzettel von fast 1000 Wählerinnen und Wählern, nur noch weiches Papier. Der Fall aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen ist nur einer von vielen, in denen das Hochwasser in Bayern die Europawahl am kommenden Sonntag zu gefährden drohte. Wahllokale sind beschädigt, Rathäuser können in einzelnen Gemeinden nicht genutzt werden. 

    "Im Kreis Neuburg-Schrobenhausen werden die Wahlunterlagen jetzt per Bote an jeden einzelnen der rund 950 betroffenen Wählerinnen und Wähler zugestellt", erklärt Michael Blabst, Sprecher der Landeswahlleitung, die die Europawahl in Bayern koordiniert. Ihre bisherigen Wahlbriefe werden für ungültig erklärt, so dass eine Doppelwahl ausgeschlossen ist. In den vergangenen Tagen, sagt Blabst, hätten alle, von der Landeswahlleitung bis zu den Landkreisen, "mit Hochdruck daran gearbeitet, dass die Wahl vernünftig durchgeführt werden kann". 

    Wahlhelfer der Europawahl selbst im Einsatz beim Hochwasser

    Lösungen mussten sie vor allem für die Kreise Aichach-Friedberg, Augsburg, Freising, Günzburg, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen an der Ilm suchen. In Nordendorf nahe Augsburg wählen die Bürgerinnen und Bürger statt in drei Wahllokalen jetzt gesammelt in der Turnhalle. "Nicht, weil die Wahllokale beschädigt sind, sondern weil wir den Aufwand so gering wie möglich halten wollen", erklärt Bürgermeister Tobias Kunz (Freie Wähler), der vorübergehend im Rathaus Ellgau sitzt, weil sein eigenes nicht genutzt werden kann. Es ging vor allem darum, die Zahl der erforderlichen Wahlhelfer zu reduzieren. "Viele von ihnen sind seit Tagen im Hochwasser-Einsatz, sei es als Feuerwehrleute, Ehrenamtliche oder weil sie selbst betroffen sind", sagt Kunz. "Jetzt brauchen wir nur noch ein Drittel der Leute - und die haben wir auch." Kunz weiß, dass viele Nordendorfer gerade weniger an die Zukunft Europas denken, sondern daran, wie es für sie selbst weitergeht. "Ich hoffe, dass möglichst viele zur Wahl gehen, aber ich verstehe jeden, der gerade andere Dinge im Kopf hat."

    So sah es zwischenzeitlich in Nordendorf aus.
    So sah es zwischenzeitlich in Nordendorf aus. Foto: Marcus Merk

    Michael Blabst von der Landeswahlleitung ist nach Tagen harter Arbeit sicher: "Eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl kann gewährleistet werden" - und zwar in allen der 96 Wahlkreise. Wählerinnen und Wähler im Hochwassergebiet können am Sonntag persönlich im Wahllokal abstimmen. Dafür müssen sie nur ihren Personalausweis mitbringen, wenn die Wahlbenachrichtigung ein Opfer der Fluten geworden ist. Wer Briefwahlunterlagen hat, muss bei der Wahl im Wahllokal aber einen Wahlschein vorlegen.

    Hochwasser und Naturkatastrophen können Wahlentscheidung beeinflussen

    Neben der Europawahl stehen in Bayern an diesem Sonntag auch eine Landratswahl, fünf Bürgermeisterwahlen und 14 Bürgerentscheide an. In Manching im Kreis Pfaffenhofen etwa stimmen die Wahlberechtigten über eine zweite Brücke über die Paar ab - jenen Fluss, der die Kreise Aichach-Friedberg und Neuburg-Schrobenhausen unter Wasser setzte

    Ob sich übrigens Naturkatastrophen auch auf die Wahlentscheidung auswirken, haben schon mehrere Studien untersucht - unter anderem nach dem Donau-Hochwasser im Jahr 2013 in Bayern. Bei der Landtagswahl wenige Monate später dokumentierte das Ifo-Institut, dass vor allem die Regierungspartei CSU in den Flutgebieten und in deren Umgebung profitierte. Ifo-Experte Marcel Thum erklärt das mit dem sogenannten Rally-round-the-flag-Effekt. "Man sammelt sich hinter der gemeinsamen Fahne", sagt der Leiter der Ifo-Niederlassung in Dresden und Experte für Wahlanalysen. "Auch wenn man nicht CSU-Fan ist, will man erst einmal Zusammenhalt demonstrieren." Außerdem verteilten die Landesregierungen auch Mittel, was sich ebenfalls positiv auswirken könne. Ob eine Regierung vorher den Hochwasserschutz vorantrieb oder nicht, schien zumindest bei der Landtagswahl 2013 zweitrangig zu sein. 

    Thum war nach dem Jahrhundert-Hochwasser im Ahrtal vom Juli 2021 an einer ähnlichen Studie beteiligt. Die Daten dafür stammen vor allem aus Nordrhein-Westfalen. Dort waren damals CDU und FDP an der Macht. "Nach vorläufigen Ergebnissen sehen wir keinen Trend zu diesen Parteien" sagt Thum. Anders als in Bayern 2013 also. Dafür stellten das Ifo-Team einen anderen Effekt fest, nämlich einen Trend zu den Grünen bei Menschen, die früher andere Parteien gewählt hatten. "Nicht-Grün-Wähler wandten sich in den Flutgebieten eher den Grünen zu als in nicht betroffenen Gebieten." 

    Und heute? Könnte sich die Flut in Bayern auf die Europawahl-Entscheidung der Menschen auswirken? "Schwer zu sagen", so Thum. "Bei der Europawahl wird nicht primär Flutschutz und Klimapolitik verhandelt. Daher eher nein." Für den Rally-round-the-flag-Effekt sei es noch etwas früh. "Außerdem haben wir SPD, Grüne und FDP im Bund und CSU und Freie Wähler in Bayern – es ist also unklar, hinter welcher Regierungspartei die Wählerinnen und Wähler sich sammeln sollten."

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