Die Genossen waren nicht die Schnellsten, als es darum ging, nach der Landtagswahl die Plakate wieder einzusammeln. Noch vor wenigen Tagen hing in Günzburg ein Motiv, das die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen zeigte: „Zeichen setzen“, stand darauf. Die Wählerinnen und Wähler haben am 14. Oktober in Bayern deutliche Zeichen gesetzt. Nicht solche, die sich die SPD auch nur im Entferntesten gewünscht hätte. Die Partei wurde an diesem Abend, wie es am Samstag beim Kleinen Parteitag der Bayern-SPD mehrfach zu hören war, in eine „existenzielle Krise“ gestürzt.
Die SPD-Fraktion im Landtag hat sich fast halbiert: 22 statt bisher 42 Abgeordnete nehmen künftig in einem durch Ausgleichs- und Übergangsmandate um rund 14 Prozent größer gewordenen Landtag Platz, davon kommen mit Harald Güller und Simone Strohmayr nur noch zwei statt fünf aus Schwaben.
Bundesjustizministerin Barley kam wegen der Europawahl 2019
Am Samstag war Kohnen, die nicht nur Landeschefin der SPD, sondern auch stellvertretende Bundesvorsitzende ist, in Günzburg beim Parteitag; an ihrer Seite: Bundesjustizministerin Katarina Barley, die designierte Spitzenkandidatin für die Europawahl im kommenden Jahr. Weniger als 100 anwesende Delegierte bestimmten über die Reihung der bayerischen Kandidatinnen und Kandidaten für die Europaliste der SPD, die schließlich am 9. Dezember bei einem Bundesparteitag aufgestellt wird. Maria Noichl (Rosenheim) setzte sich in einer Kampfabstimmung um Platz eins gegen Kerstin Westphal (Schweinfurt) durch, die vom Landesvorstand für den Spitzenplatz vorgeschlagen worden war. Das ist nicht unwichtig, da vielleicht nur zwei Sozialdemokraten aus Bayern ins Europaparlament einziehen werden. Bisher sind es mit Westphal, Ismail Ertug (Amberg) und Noichl drei.
Nicht die „Partei der Zuversicht“
Im zweiten Teil des Parteitages ging der Blick zurück auf eine Wahl, wie sie vom Ergebnis her desaströser kaum hätte ausfallen können. Kummer ist die SPD zwischen Weimarschmieden und Einödsbach - dem nördlichsten und südlichen Ort im Freistaat - ja gewohnt. Aber 9,7 Prozent? Einstellig? Nur noch fünfte Kraft im Sechs-Parteien-Parlament? „Der Schmerz des Wahlabends wird auch nach zwei Wochen nicht geringer“, sagte Kohnen in ihrer Rede. Zwar seien die richtigen Themen mit Pflege und bezahlbarem Wohnraum gesetzt worden. Die Folgerung, dass man deshalb die SPD wählen müsse, hätten die meisten Menschen allerdings nicht gezogen. Gerade auch die Jüngeren seien nicht erreicht worden. „Für sie war die SPD nicht die Partei der Zuversicht.“
Kritisiert wurde Kohnen, weil „Selbstverständlichkeiten“ wie die Begriffe „Haltung“ und „Anstand“ von der SPD plakatiert worden seien. Für die Walverliererin sind sie das nicht in der Politik: „Wenn ein bayerischer Ministerpräsident Berlin als ,Resterampe der Politik’ bezeichnet, was hat das bitte mit Anstand zu tun? Und wenn das Wort ,Asyl’ mit ,Tourist’ verbunden wird, dann fehlt auch dort der Anstand.“
Über Jahre anhaltender Vertrauensverlust
Kohnen sieht in einem schon über längere Zeit anhaltenden Vertrauensverlust ihrer Partei eine wichtige Ursache für deren - wie es andere Genossen an diesem Nachmittag bezeichneten - „Niedergang“. „Wir müssen die Skepsis überwinden, die viele mit uns verbinden“, forderte Kohnen.
Dazu gehörten auch Veränderungen auf Bundesebene. Die Frage nach der Zukunft der Großen Koalition werde nach der Hessenwahl am Sonntagabend von den Medien noch lauter gestellt. Eine Entscheidung der SPD, ob sie in der Bundesregierung bleibe oder nicht, dürfe nicht taktischer Natur sein. Dafür steht Kohnen zufolge in den nächsten Wochen zu viel auf dem Spiel.
Punkte, die für Natascha Kohnen nicht verhandelbar sind
Drei Punkte sind für die bayerische SPD-Vorsitzende nicht verhandelbar: Ein Einwanderungsgesetz, das einen „Spurwechsel“ für Menschen ermöglichen müsse, die gut integriert sind und Arbeit haben; Verbesserungen in der Rente; und ein stärkerer Mieterschutz. Wenn die Union sich da querstelle, „dann müssen wir die Zusammenarbeit in der Regierung eben beenden“.
Das kündigte sie auch an, falls „die CSU wieder meint, als Regionalpartei das ganze Land für ihre vermeintlichen Zwecke zu missbrauchen“. Stichworte der Vergangenheit sind die Asylpolitik und Grenzzurückweisungen sowie der Fall des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen.
Kohnen, die in Günzburg ihren 51. Geburtstag beging, hörte sich nicht so an, als wolle sie nicht wieder Landesvorsitzende werden. Von einer erneuten Kandidatur für den Landesvorsitz auf dem auf Ende Januar 2019 vorgezogenen Sonderparteitag hatte sie bereits vor dem Parteitag gesprochen. Offenbar will sie dafür eine jüngere Mannschaft gewinnen, wie sie in Günzburg deutlich machte. „Wir müssen diesen jungen Menschen in unserer Partei viel mehr Verantwortung ermöglichen“, sagte sie.
In der anschließenden Aussprache erfuhr die SPD-Parteichefin im Freistaat verhältnismäßig wenig Kritik. Die bayerische Juso-Chefin Stefanie Krammer forderte: „Raus aus der GroKo, jetzt!“ Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel will Stereotype wie die „klare Kante“, die man zeigen und das „soziale Profil“, das man schärfen müsse - alles Bemerkungen, die mehrfach gefallen sind - nicht mehr hören. Der Münchner sah auch auf Landesebene eigenes Versagen, „wenn doppelt so viele Arbeiter bei der AfD gelandet sind wie bei uns“. Seiner Partei sei es nicht gelungen, „eine Mehrheit gegen die CSU zu organisieren, die so schwach war wie nie zuvor“.
Karl-Heinz Brunner tritt für ein neues Grundsatzprogramm ein
Der SPD-Wehrexperte im Bundestag, Karl-Heinz Brunner aus lllertissen, sagte am Rande des Parteitags gegenüber unserer Zeitung, die Partei müsse sich inhaltlich erneuern und Themen besetzen, „die über den Tag hinausreichen“. Ein wichtiges Grundelement in einem neuen Parteiprogramm sei der „Dreiklang der Sicherheit: innerer, äußerer und sozialer.“
Der größte Kritiker der Bundes-SPD an diesem Tag (Kohnen: „Ich gebe niemandem die Schuld“) trat bereits zu Beginn des Parteitags auf: Es war der Günzburger Oberbürgermeister Gerhard Jauernig, der nach dem „dramatisch enttäuschen Abschneiden der SPD in Bayern dazu aufforderte, in „aller Ehrlichkeit“ und „schonungsloser Offenheit“ zu überlegen, „an welchen Stellschrauben wir drehen sollten“. Danach wurde er konkreter: Wenn die Bundesvorsitzende Andrea Nahles den Unionsstreit in Berlin mitverantwortlich mache für das Ergebnis der Sozialdemokraten in Bayern, „dann fehlt mir der Glaube zum Willen an einer Aufarbeitung“. Der SPD-Rathauschef bescheinigte Nahles im Fall Maaßen und beim Berliner „Dieselgipfel“, eine überaus schlechte Figur gemacht zu haben.
Vom Meerschweinchen und der toten Ratte
Die Täuschung der Käufer durch die Automobilkonzerne verglich er mit dem Besuch in einer Tierhandlung: „Wenn ich dort ein Meerschweinchen für meine Tochter für 20 Euro kaufe, zuhause feststelle, dass das Tier eine tote Ratte ist und den Nager wieder zurückbringe, dann erwarte ich entweder die 20 Euro zurück oder ein Meerschweinchen.“ Alles andere sei „Beschiss“, nahm der OB eine Anleihe aus der „heute-show“ im ZDF, ohne den Delegierten seine Quelle zu nennen. Diesen Betrug sanktioniere die SPD durch die Entscheidung, dass den Verbrauchern beim Kauf eines neuen Dieselfahrzeugs lediglich Rabatt eingeräumt werde, in Person der Parteivorsitzenden letztlich mit.
Ob er Nahles weghaben möchte oder nicht, wurde Jauernig vor laufender Fernsehkamera nach seinem Auftritt gefragt. Das habe damit nichts zu tun, antwortete er. Aber wer sich derartige Fehltritte leiste, die die SPD erschütterten, der müsse sich auch die Frage nach der Qualität des Führungspersonals gefallen lassen, sagte er sinngemäß. Vielleicht hätte er auch einfach nur sagen können: Ja.