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Lesetipp: Priesterweihe mit 50: Sein langer Weg zum Priesteramt

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Priesterweihe mit 50: Sein langer Weg zum Priesteramt

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    „Ich finde, ein Priester sollte sich im Alltag so anziehen, dass da keine Distanz ist", sagt Wolfgang Ehrle. Beim Gespräch in der Augsburger Christkönigskirche entstanden trägt er Jeans und T-Shirt.
    „Ich finde, ein Priester sollte sich im Alltag so anziehen, dass da keine Distanz ist", sagt Wolfgang Ehrle. Beim Gespräch in der Augsburger Christkönigskirche entstanden trägt er Jeans und T-Shirt. Foto: Erich Nyffenegger

    Selten ist das Leben ein langer, ruhiger Fluss. Aber die biografischen Eigenheiten, die den Weg von Wolfgang Ehrle ausmachen, sind dann schon speziell. Es gibt diesen

    Dann gibt es da noch den Wolfgang Ehrle, der als Kaufmannslehrling im blauen Kittel vor dem Schraubenregal postiert ist und trotz seines jungen Alters Kunden routiniert bedient. Immer kompetent, mit angemessener, aber nicht übertriebener Freundlichkeit. Einer, der unter den Azubis schon ein bisschen zur Führungsfigur wird. Auch weil er sich traut, den Vorgesetzten zu widersprechen, wenn es ihm angemessen scheint. Keine Selbstverständlichkeit Anfang der 1990er Jahre.

    Später ist da noch ein Wolfgang Ehrle, der mit einem großmotorigen Dienstwagen durch die Schweiz fährt und für ein Sanitär-Unternehmen in Österreich bis zu 100 Bäder auf einen Schlag an luxuriöse Hotels verkauft. Der reichlich Geld verdient – und dem sein Erfolg als Führungskraft bisweilen so weit zu Kopf steigt, dass er auch im Elternhaus, wo er in seinen 40ern noch immer wohnt, wie ein Chef auftritt. Bis ihn sein Vater eines Tages zur Seite nimmt und zurechtweist. Er, der Sanftmütige, der sonst nie ein lautes Wort verliert. 

    Priesterweihe mit 50: Es klingt, als wären das alles nur Haltepunkte auf dem Weg hierher gewesen

    Und heute? Heute sitzt wieder ein anderer Wolfgang Ehrle auf der Terrasse des Pfarrhauses der Kirchengemeinde Christkönig in Augsburg und kann von alldem entspannt erzählen, als seien sämtliche Stationen seines bisherigen Lebens letzten Endes nur Haltepunkte auf seinem Weg hierher gewesen. Vom Möchtegern-Priester im Hobbykeller zum echten katholischen Diakon – frisch geweiht eben erst im Mai. Mit fast 50. Und fest entschlossen, auch noch den nächsten Schritt zu gehen. Gemeint ist die Priesterweihe am 30. Juni 2024 im Augsburger Dom, die einen langen Weg vorläufig abschließt.

    „Pfarrer bin ich dann aber immer noch nicht“, sagt Ehrle und fängt an zu lachen. „Dann kommen noch vier Jahre als Kaplan.“ Der Geistliche wird also voraussichtlich Mitte 50 sein, bis jemand kirchenrechtlich korrekt „Herr Pfarrer“ zu ihm sagen darf. Andere verabschieden sich in so einem Alter gerne in den Vorruhestand. Doch wer geweihter Priester ist, ist eben noch lange kein Pfarrer. Besonders leicht macht es die katholische Kirche den wenigen Männern, die heute noch gerne so ein Amt ergreifen wollen, nicht gerade. Ungeachtet der Tatsache, dass der Mangel an katholischem Bodenpersonal fast alle Branchen, die ebenfalls mühsam um Mitarbeiter ringen, noch in den Schatten stellt. „Niederschwellig ist was anderes“, sagt Ehrle trocken und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas. 

    Wolfgang Ehrle (rechts) wurde im Mai zusammen mit Sebastian Fuchs (Oberreute) durch Bischof Bertram Meier zum Diakon geweiht.
    Wolfgang Ehrle (rechts) wurde im Mai zusammen mit Sebastian Fuchs (Oberreute) durch Bischof Bertram Meier zum Diakon geweiht. Foto: Maria Rösch/Diözese Augsburg

    Wer den 49-Jährigen betrachtet, kommt nicht umhin, seine Erscheinung in den Vergleich zu bekannten Priesterpersönlichkeiten zu setzen. Denkt man an die Filmreihe um Don Camillo und Peppone, so sieht Ehrle allerdings eher dem Peppone ähnlich. Die gedrungene Figur hat etwas von einem gutmütigen Augustinermönch, ein wenig wie jener, der auf den Flaschen des gleichnamigen Münchner Biers abgebildet ist. Und auch die Assoziation zu Buddha liegt nicht fern. Das runde Gesicht wird durch ein markantes Grübchen am Kinn abgeschlossen. Seine braunen Augen schauen meist freundlich in die Welt. Wenn Wolfgang Ehrle lacht – und das macht er gerne und oft –, zeigt sein Mund weiße Zähne. Er trägt T-Shirt und Jeans. Von förmlicher Sutane mit weißem Priesterkragen, dem sogenannten Kollar, keine Spur.

    „Ich finde, ein Priester sollte sich im Alltag so anziehen, dass da keine Distanz ist.“ Auch irgendwelche kirchlichen Titel wie etwa „Hochwürden“ oder „Hochverehrter“ hört Ehrle nicht gern, weil es davon ablenke, dass in jeder Sutane, in jeder Kutte und in jedem Prachtgewand am Ende auch immer nur ein Mensch steckt. Ehrle hat sich den Primiz-Spruch „Ausgesendet zu allen Geschöpfen“ ausgesucht. Wer also zu allen Geschöpfen gehen wolle, tue gut daran, sich äußerlich möglichst nicht von diesen abzugrenzen.

    Priester zu werden, das war schon ganz früh sein Traum

    Die Primiz ist der erste Gottesdienst, den ein neu geweihter Priester in seiner Heimatgemeinde hält. Und zu Hause in Niederstaufen freuen sich die Mitglieder der Kirchengemeinde schon auf diesen Tag. Nicht zuletzt Roswitha Richter-Gottschalk, die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. Sie kennt Wolfgang Ehrle so lange, dass sie sich an die erste Begegnung schon nicht mehr erinnern kann. „Priester sein wollen, das war schon ganz früh ein Traum von ihm“, erinnert sie sich. Sie habe zuallererst großen Respekt vor dieser Entscheidung, die ja auch eine Leistung sei. Einfach noch ein Studium in dem Alter zu beginnen, sei bewundernswert. Und was zeichnet ihn ihrer Meinung nach aus? „Er ist griffig und greifbar“, erklärt Roswitha Richter-Gottschalk. Er werde ein bodenständiger Seelsorger sein, kein abgehobener Würdenträger. „Einfach da, bei de’ Leut’.“ Und auch jemand, der kritisch mit sich und seinem künftigen Arbeitgeber umgehen werde. Das sieht übrigens auch seine Schwester Caroline so, die ihn – ebenso wie seine drei Brüder – unterstützt.

    Gerade hat Ehrles Bischof Bertram Meier am Rande einer Predigt erwähnt, dass im vergangenen Jahr allein in der Diözese Augsburg 30.000 Menschen aus der Kirche ausgetreten sind. Das ist einmal mehr Negativrekord. Womit sich die Frage an Ehrle aufdrängt, warum es ausgerechnet die katholische Kirche sein muss, deren Schwierigkeiten, sich zu erneuern, deren Umgang mit Krisen sowie deren Aufarbeitung von Missbrauch nicht wenige Gläubige entsetzt. Also? „Das hat etwas mit der persönlichen Tradition zu tun.“ Er sei katholisch sozialisiert. Den „Verein“ zu wechseln, würde ihm irgendwie illoyal vorkommen. Auch wenn er sich bisweilen schwertut mit den Mühlen der Amtskirche, in deren Mahlwerk er selbst auch ein winziges Rädchen sein wird. An eine andere Konfession habe er aber nie gedacht.

    Wolfgang Ehrle macht sein Diakonatspraktikum in der Pfarreiengemeinschaft Christkönig in Augsburg.
    Wolfgang Ehrle macht sein Diakonatspraktikum in der Pfarreiengemeinschaft Christkönig in Augsburg. Foto: Julian Schmidt

    Umso mehr hat er über Jesus nachgedacht. Und wenn er den Weg ins Priesteramt während seiner beruflichen Karriere immer mal wieder aus den Augen verloren hatte – die Verbindung zum Glauben und zu seiner Gemeinde, in der er nicht nur Pfarrgemeinderatsvorsitzender war, sondern auch als Laie schon Andachten hielt, ging nie verloren. „In der Zeit, bevor ich 2017 endgültig den Entschluss gefasst habe, Priester zu werden, habe ich mir immer drängendere Fragen gestellt“, erinnert sich Ehrle. Zum Beispiel, wie er in seiner Arbeit Vorgesetzte mit Mitarbeitern hat umgehen sehen, die alles andere als barmherzig waren. Bis irgendwann die Diskrepanz zwischen der Moralvorstellung seines Glaubens und den geschäftlichen Gepflogenheiten zu groß wurde. Auf die Seite der Geistlichen zu wechseln heißt für Ehrle auch, keine Kompromisse mehr machen zu müssen.

    Die Kirche durchlebt schwierige Zeiten. Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten.
    Die Kirche durchlebt schwierige Zeiten. Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Foto: Ronny Hartmann, dpa

    Apropos Kompromisse: Wäre nicht genau das etwas, was der katholischen Kirche guttäte, um Rekordaustritten entgegenzuwirken? Etwa in der Frauenfrage? Segnung gleichgeschlechtlicher Paare? Aufhebung des Zölibats? „Ich glaube, dass von diesen Dingen nicht der Fortbestand der Kirche abhängt“, sagt Ehrle. Eine liberalere Haltung in den kritischen Fragen würde er begrüßen, für ihn persönlich sei der Zölibat aber der richtige Weg. „Anders mag das bei anderen sein, zum Beispiel bei Jüngeren.“ Ehrle war nie verheiratet und hat selbst keine Kinder. Für ihn persönlich habe die Sexualität nie einen Stellenwert gehabt, der das enthaltsame Leben für ihn jetzt unmöglich gemacht hätte. „Ich kann mir aber vorstellen, dass Sexualität zur fixen Idee werden kann, wenn sie von Anfang an verteufelt und nicht gelebt oder ausprobiert werden darf.“ Das sei ein großer Unterschied zwischen ihm als Spätberufenem und Männern, die ohne Umwege ins Priesterseminar streben.

    Doch das ist nicht der einzige Unterschied. Wolfgang Ehrle hat das Spätberufenenseminar im rheinland-pfälzischen Lantershofen besucht. Dort sind die Studierenden mindestens 25 – Wolfgang Ehrle war mit Mitte 40 der zweitälteste Student. Doch auch bis zur Aufnahme ins vier Jahre dauernde Seminar wird es Interessenten nicht ganz leicht gemacht. „Man muss sein Gesuch an den Regens stellen“, erklärt Ehrle. Der Regens ist der Leiter eines bischöflichen Seminars. Auf seine Empfehlung hin nimmt der Bischof Bewerber ins Priesterseminar auf – oder lehnt sie ab. Ehrle weiß noch, wie aus dem angestrebten kurzen Gespräch mit dem Regens von Augsburg zweieinhalb Stunden geworden sind. Und sich gleich danach schon abzeichnete, dass beide Seiten das Gefühl hatten, mit dem Gegenüber jeweils an den Richtigen geraten zu sein. Nicht selbstverständlich – denn auch unter den Spätberufenen ist laut Ehrle die Abbrecherquote im Seminar mit rund einem Drittel hoch.

    Sein Weggefährte sagt: Ehrle ist viel näher an den Menschen und an deren Lebensrealität

    Dass Ehrle mit seinem Entschluss jetzt genau am richtigen Platz ist, davon ist Josef Wagner überzeugt. Wagner hat ihn im Laufe seines Weges freundschaftlich begleitet. Im Gegensatz zu Ehrle ist er sofort mit 18 ins Seminar eingetreten. Und als er ihn kennenlernte, habe er sich gefragt: „Was für ein Bruch muss das sein, wenn man fast ein komplettes Berufsleben hinter sich lässt! Bis ich gemerkt habe: Da war gar kein Bruch.“ Vielmehr habe Ehrle seinen Glauben auch im früheren Leben offen bekannt. Jetzt Priester zu werden, sei aus dieser Perspektive letztlich stimmig und konsequent. „Die 30 Jahre in seinem alten Beruf kann er jetzt voll nutzen“, glaubt Wagner. Denn jetzt sei er viel näher an den Menschen und an deren Lebensrealität, weil er vieles wie beruflichen Erfolg oder Misserfolg und alle möglichen Alltagsnöte selbst erfahren habe. „Das gibt ihm eine enorme Sensibilität, die andere sicher nicht haben.“

    Im Moment konzentriert sich Ehrle auf die Jugendarbeit, etwa als Religionslehrer an Schulen und Betreuer der Ministranten. Wohin er entsandt wird, wenn die Priesterweihe vollzogen ist, weiß er nicht. „Zurück ins Allgäu, das wäre schön“, sagt er. Aber wohin es auch geht: Wolfgang Ehrle kann sich nicht vorstellen, seinen Entschluss noch einmal umzudrehen und wieder ins zivile Leben zurückzukehren. „Die katholische Kirche ist mein Platz und dabei bleibt es.“ Egal, in welche Stürme seine Kirche noch geraten mag. Wolfgang Ehrle ist nicht der Typ, der als Erster ein Schiff verlässt, wenn es wankt. 

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