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Gesundheitssystem: Kranke Häuser: Warum immer mehr Kliniken schließen

Gesundheitssystem

Kranke Häuser: Warum immer mehr Kliniken schließen

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    Das deutsche Gesundheitssystem ist, das zeichnet sich immer deutlicher ab, selbst zum Patienten geworden. Immer mehr Kliniken schlagen Alarm.
    Das deutsche Gesundheitssystem ist, das zeichnet sich immer deutlicher ab, selbst zum Patienten geworden. Immer mehr Kliniken schlagen Alarm. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Eigentlich ist es nur ein Aufkleber. Ein Aufkleber mit zwei Buchstaben. G und Z. Der Sticker haftet an einem unscheinbaren Schrank im sterilen Weiß des Operationstrakts im Krumbacher Kreiskrankenhaus, gleich neben Saal drei, wo in diesem Moment, an diesem neblig-trüben Wintermorgen, ein Mann an der Schulter operiert wird. Im Inneren des Schranks lagern Messer, Scheren, Klemmen, Pinzetten, Zangen. OP-Besteck. Das Ungewöhnliche: Die Werkzeuge gehörten bis vor Kurzem gar nicht zur Krumbacher Klinik, sie stammen aus Günzburg. Deswegen GZ. Und der Aufkleber ist so etwas wie ein Symptom für das, was hier – und in vielen anderen Kliniken der Republik – gerade passiert. Bereiche werden zusammengelegt, neu strukturiert, umgekrempelt, auf den Kopf gestellt.

    „Es gab immer Herausforderungen. Aber nicht in dieser geballten Form“, sagt Dr. Manfred Herr, der Ärztliche Direktor des Krumbacher Krankenhauses und Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie. Er trägt einen türkisfarbenen OP-Kittel, Haube, Mundschutz. Seit der Umstrukturierung würden auch Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik in Günzburg – die beiden Krankenhäuser gehören zusammen – in Krumbach operieren. Denn den Luxus, alle Abteilungen an beiden Standorten aufrechtzuerhalten, den könne man sich nicht mehr leisten. Nicht bei all den Problemen, die wie ein Hagelsturm auf die Krankenhauslandschaft einprasseln. Nicht in Zeiten, in denen immer öfter von einem Kliniksterben die Rede ist. Und nicht in Zeiten, in denen das Geld fehlt. Bei den Kreiskliniken Günzburg-Krumbach lag das Defizit im Jahr 2022 bei elf Millionen Euro. 

    So geht es vielen Kliniken. Auf der Internetseite der Bayerischen Krankenhausgesellschaft läuft, plakativ rot unterlegt, eine Defizit-Uhr. Pro Stunde gibt es in allen Kliniken im Freistaat ein Minus von mehr als 90.000 Euro. Insgesamt sind es fast anderthalb Milliarden. 

    Die Klinikreform ist zum Zankapfel geworden

    Das deutsche Gesundheitssystem ist, das zeichnet sich immer deutlicher ab, selbst zum Patienten geworden. Immer mehr Kliniken schlagen Alarm, ächzen unter Problemen, die sie kaum mehr stemmen können. Fast 80 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland erwarteten 2023 ein negatives Jahresergebnis. Für 2024 gehen 71 Prozent der Häuser von einer weiteren Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation aus. Und in den kommenden zehn Jahren könnte, so eine Prognose, fast jede fünfte Klinik in Deutschland schließen. Bund und Länder arbeiten zwar an einer umfassenden Krankenhausreform – die aber wurde in den vergangenen Monaten zu einem Zankapfel, an dem man sich die Zähne auszubeißen droht. Und in den Kliniken fragt man sich, ob die Pläne denn nun heilsame Therapie oder eher ein Todesurteil sind. 

    Gründe für die Misere in den Krankenhäusern gibt es viele. Robert Wieland, seit vergangenem Jahr Vorstand der Kreiskliniken Günzburg-Krumbach, versucht sie zu erklären. Wieland sitzt in seinem Büro im Erdgeschoss des Krumbacher Krankenhauses, weiße Wände, grauer Boden, braune Lederstühle. „Einige Strukturprobleme sind in der Vergangenheit gewachsen“, räumt er ein. „Bestimmte notwendige Bereinigungen wurden eben nicht konsequent genug verwirklicht“, sagt Wieland, hellblaues Hemd, dunkler Anzug, Sneaker, und schiebt hinterher: „Ich bin aber nicht als knallharter Sanierer hierhergekommen. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels auch gar nicht möglich.“ Neben den Problemen, für die die Kliniken selbst verantwortlich seien, gebe es eine Reihe von Ursachen, die in der Gesundheitspolitik lägen. „Vor allem die völlig unzureichende Refinanzierung“, sagt Wieland. Und das sei angesichts steigender Kosten, etwa bei Löhnen und Energiepreisen, eine verfahrene Situation. „Wir können nicht gegensteuern. Das Problem haben alle Kliniken. Und diejenigen, die keinen Träger haben, der das wachsende Defizit schultern will, die haben verloren.“ Was unterm Strich übrig bleibe, sei ein Wettbewerb der finanzkräftigsten Träger und kalte Strukturbereinigung. Und Wieland gibt zu bedenken: "Die Entscheidungen zur medizinischen Versorgung, die jetzt getroffen werden, werden sich auf künftige Generationen auswirken.“ 

    Klinik-Vorstand: Reform ist ein Bürokratiemonster

    Durch das Vorstandsbüro im Krumbacher Krankenhaus dringt das matte Nebellicht dieses Vormittags. Wieland klappt sein Notebook auf dem runden Besprechungstisch auf. Er hat alles aufgeschrieben, alle Probleme, Nöte, Zwänge, mit denen er derzeit zu kämpfen hat. „Unter anderem ist das der Trend zur Ambulantisierung“, sagt er. „Früher waren die Patienten etwa bei einer kleineren Operation ein bis zwei Tage hier. Jetzt gehen sie am gleichen Tag nach Hause.“ So sei es vorgeschrieben. „Auch dann, wenn sie alt und gebrechlich sind. Manchmal lassen wir die Menschen dann auf unsere Kosten bei uns übernachten“, sagt Wieland, trinkt einen Schluck Wasser und spricht dann über das, was ihn derzeit am meisten beschäftigt. Ihn und die vielen anderen Landkrankenhäuser, die nicht gerade gut auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu sprechen sind. 

    „Karl Lauterbach traut Häusern wie Krumbach keine hochwertige medizinische Versorgung zu", sagt Robert Wieland, Vorstand der Kreiskliniken Günzburg-Krumbach.
    „Karl Lauterbach traut Häusern wie Krumbach keine hochwertige medizinische Versorgung zu", sagt Robert Wieland, Vorstand der Kreiskliniken Günzburg-Krumbach. Foto: Stephanie Sartor

    Der Grund für den Unmut ist die geplante Krankenhausreform. „Das ist ein Bürokratiemonster“, sagt Wieland, der einräumt, dass ein Reformbedarf grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen sei. Aber die Reform in der aktuellen Form beinhalte eben einige Fallstricke. Was Wieland besonders ärgert: „Karl Lauterbach traut Häusern wie Krumbach keine hochwertige medizinische Versorgung zu. Er will alle Patienten am liebsten an die Unikliniken schicken. Aber das größte Krankenhaus ist nicht unbedingt das beste. Wir haben etwa ein hoch spezialisiertes Endoprothetik-Zentrum. Und die Unikliniken laufen ohnehin über.“

    Im Klinik-Atlas werden die Krankenhäuser in verschiedene Level eingeteilt

    Auch der geplante Klinik-Atlas, in dem die einzelnen Krankenhäuser in verschiedene Level eingestuft werden, stößt Wieland sauer auf. „Das ist ja wie eine Sterne-Einteilung von Hotels. Mit dem großen Unterschied allerdings, dass es in Deutschland für alle Kliniken einheitliche Qualitätskriterien gibt, die zu erfüllen sind.“ Für eine Hüft-Operation etwa seien die Standards die gleichen, ob nun im beschaulichen Krumbach oder an der berühmten Charité in Berlin. Wielands Sorge ist aber: Die Menschen könnten sich von den Level-Einteilungen verunsichern lassen und Personal, das überall gebraucht werde, würde lieber an großen Level-3-Kliniken arbeiten als an solchen der Stufe 1. Die wohnortnahe Versorgung, befürchtet Wieland, wäre dann nicht mehr gesichert. 

    Längst ist die Klinikreform zu einem Politikum geworden, in dem sich der Bundesgesundheitsminister und die SPD-regierten Länder auf der einen und die von der Union geführten auf der anderen Seite gegenüberstehen. Letztere kritisieren vor allem, dass sich der Bund in die Länderhoheit der Krankenhausplanung einmische. Und ohne eine echte Einigung zwischen Bund und Ländern sei eine wirkliche Krankenhausreform, die über Jahre Bestand haben soll, nicht möglich, sondern zum Scheitern verurteilt, sagt Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), gegenüber unserer Redaktion. Mehr noch: „Statt der versprochenen Revolution wird Lauterbachs Krankenhausreform nach jetzigem Stand zum reinen Etikettenschwindel.“ Vor allem beim Thema Vorhaltefinanzierung mache der Minister den Menschen etwas vor, kritisiert Gaß. 

    Krankenhausgesellschaft kritisiert Vorhaltefinanzierung

    Diese Vorhaltefinanzierung ist eine der zentralen Komponenten der Klinikreform. Sie soll das wirtschaftliche Überleben der Krankenhäuser sichern und Anreize zur Fallzahlsteigerung reduzieren. Das Ganze ist ein höchst komplexes, für den normalen Patienten nicht nachvollziehbares Konstrukt, das es aber in sich hat. Das Urteil der DKG fällt deutlich aus: „Die Vorhaltefinanzierung verfehlt alle Ziele", teilt die Gesellschaft mit. Eigentlich solle das Modell zu Entökonomisierung, Entbürokratisierung und Existenzsicherung insbesondere der kleinen Krankenhäuser führen. Eine Entökonomisierung finde aber nicht statt. „Die Erlöse eines Krankenhauses hängen weiterhin stark von der Anzahl der behandelten Patienten ab. Die Vorhaltefinanzierung ist auch keine Existenzsicherung für Grundversorgungskrankenhäuser in den Flächenländern.“ 

    „Kleine Häuser wie unseres sind maximal in der Bevölkerung verankert“, sagt Dr. Manfred Herr.
    „Kleine Häuser wie unseres sind maximal in der Bevölkerung verankert“, sagt Dr. Manfred Herr. Foto: Stephanie Sartor

    Krumbach ist ein solches Grundversorgungskrankenhaus im ländlichen Raum. Und der Bedarf sei groß, sagt Chefarzt Herr, der im OP-Trakt den Gang entlangläuft. An der Decke hängt ein großer Bildschirm, auf dem die Operationen des Tages angezeigt werden. Schulter, Knie, Hüfte. „Kleine Häuser wie unseres sind maximal in der Bevölkerung verankert“, sagt Herr. „Und meiner Ansicht nach ist eine wohnortnahe Versorgung von größter Bedeutung.“ Würde man die Klinik schließen, dann wäre für mehr als 34.000 Menschen das nächste Krankenhaus mehr als eine halbe Stunde entfernt. „Die Landkreise müssen da priorisieren. Bei unserem Landkreis habe ich das Gefühl, dass das Thema Gesundheit einen hohen Stellenwert hat. Deswegen mache ich mir eigentlich keine Sorgen, dass wir eines der Krankenhäuser sein könnten, die vom Kliniksterben betroffen sind“, sagt Herr. Viele andere indes schon. Der Deutschen Krankenhausgesellschaft zufolge steuern die Insolvenzen im Jahr 2024 auf ein Rekordhoch zu. Der Landkreis Günzburg indes stehe zu seinen beiden Klinikstandorten in Günzburg und Krumbach, sagt Landrat Hans Reichhart (CSU) gegenüber unserer Redaktion: "Wir bleiben verlässlich, für die Menschen im Landkreis und für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir werden auch in Zukunft zwei starke Klinikstandorte haben. Und das unter einem Dach und in kommunaler Trägerschaft."

    In der Krumbacher Klinik wurde ein neuer OP-Trakt gebaut

    Im Foyer der Krumbacher Klinik riecht es nach Zimt und Kuchen. Ein paar Menschen sitzen in dem kleinen abgetrennten Café-Bereich, lesen Zeitung, trinken Kaffee, warten. Eine Frau mit grüner Jacke und großer Reisetasche kommt aus dem Gang gleich nebenan, sie habe eben ihren Mann besucht, erzählt sie. „Ich finde es sehr wichtig, dass es noch die kleinen Krankenhäuser gibt“, sagt sie. „Dass man nicht weit fahren muss, gleich herkommen kann.“ Das dürfe sich nicht ändern, sagt die ältere Dame. „Man darf das Krankenhaus bloß nicht schließen.“ Dann verschwindet sie durch die Drehtür hinaus in den fahlen Wintertag. 

    Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Deutschen schätzen zwar ihre örtlichen Krankenhäuser, viele würden sich dort aber im Ernstfall nicht unbedingt behandeln lassen. Einer Umfrage zufolge, die in der Ärzte Zeitung veröffentlicht wurde, erwarten 64 Prozent der Befragten die höchsten Qualitätsstandards in den Unikliniken – nur fünf Prozent in kommunalen Kliniken. Und: Für eine optimale Behandlung können sich viele Menschen auch einen weiteren Anfahrtsweg vorstellen. 

    Im OP-Trakt steht Chefarzt Herr am Fenster und blickt hinüber auf den alten Operationsbereich, der erst im Sommer durch den neuen abgelöst wurde. Ein völlig neuer Gebäudeteil – das ist eine große Investition in Zeiten massiver Defizite. „Aber es muss ja weitergehen. Wir können uns keinen Stillstand leisten.“ Damit die Kreiskliniken zukunftsfähig sind, gibt es eine Strategie, die im Kern auf einer Konzentration der Schwerpunkte fußt. In Krumbach gibt es beispielsweise die Zentren für Muskuloskelettale Medizin, Altersmedizin und Innere Medizin sowie der Allgemeinen Chirurgie. In Günzburg die für Gefäßmedizin und Invasive Kardiologie, Onkologie sowie Viszeralmedizin und Frauenheilkunde. Immer wieder wird es vorkommen, dass Ärztinnen und Ärzte am jeweils anderen Krankenhaus operieren und dass es eigenes OP-Besteck gibt. Versehen mit Aufklebern. Die eigentlich recht banal daherkommen, aber viel mehr sind als bloß Sticker. (mit pom)

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