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Gesundheit: Vom Kampf gegen die Kilos – mit Diäten, Sport und radikalen Methoden

Gesundheit

Vom Kampf gegen die Kilos – mit Diäten, Sport und radikalen Methoden

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    Viele Menschen haben mit Übergewicht zu kämpfen. Bei manchen ist es so ausgeprägt, dass sie sich für eine Operation entscheiden.
    Viele Menschen haben mit Übergewicht zu kämpfen. Bei manchen ist es so ausgeprägt, dass sie sich für eine Operation entscheiden. Foto: Lino Mirgeler

    Da gibt es diesen Traum, den Claudia Becké als kleines Mädchen hatte. Wenn sie damals an sich herunterblickte, dann träumte sie davon, dass ihr Bauch einfach weggezaubert würde. Und dass dann ein für alle Mal Ruhe wäre. Dass es keine blöden Sprüche mehr gäbe und dass sie sich nicht so unwohl in ihrem Körper fühlen müsste. Claudia Becké kämpft, seit sie denken kann, gegen ihre Kilos. Als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene. Macht Diäten, schluckt Abnehmpillen, trinkt Shakes, die die Pfunde purzeln lassen sollen. Zwar nimmt sie immer mal wieder ab – die Kilos kommen aber zurück. Und im Laufe der Jahre klettern die Zahlen auf der Waage immer weiter nach oben. Irgendwann sind sie dreistellig. 

    An einem sonnigen Wintermorgen sitzt Becké – blonde, kinnlange Haare, Bluse mit Blumenmuster – in einem großen hellen Raum im dritten Stock der München Klinik Bogenhausen. Kaum etwas deutet darauf hin, dass hierher, ins Zentrum für Adipositas, Menschen kommen, die wegen ihres Gewichts nicht mehr weiter wissen – wären da nicht die orangefarbenen Stühle. Sonderanfertigungen, die bis 250 Kilo aushalten. „Mein höchstes Gewicht habe ich in der Pandemie erreicht“, erzählt Becké. „150 Kilo waren das. Da geht dann gar nichts mehr.“ Mittlerweile wiegt sie gut 30 Kilo weniger. Wie sie das geschafft hat, wird sie noch erzählen. 

    Mehr als ein Drittel hat einen BMI zwischen 25 und unter 30

    Mit ihren Gewichtsproblemen ist die Münchnerin nicht allein. Neue Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik zeigen: Die Hälfte der Erwachsenen im Freistaat war 2021 übergewichtig oder fettleibig. In Zahlen ausgedrückt: Etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Bayern hat einen BMI zwischen 25 und unter 30 – und ist damit übergewichtig. Weitere 15 Prozent sind mit einem

    Claudia Becké sagt: „Die OP war die beste Entscheidung meines Lebens.“
    Claudia Becké sagt: „Die OP war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Foto: dpa

    Beim BMI wird das Gewicht ins Verhältnis zur Körpergröße gesetzt. Beispiel: Eine Frau mit einer Größe von 1,70 Metern und einem Gewicht von 75 Kilo hat einen BMI von 26. Das ist bereits über der Grenze des Normalgewichts. Übergewicht hat man schnell. 

    Viele Menschen sagen den Kilos den Kampf an. Manche versuchen es mit Diäten oder Sport, andere holen sich professionelle Hilfe. Etwa in der München Klinik Bogenhausen, wo es ein Abnehm-Programm gibt, das ein Jahr dauert. Voraussetzung unter anderem: ein BMI über 35. Die Kosten für das Programm übernimmt die Krankenkasse. Die Warteliste ist lang, die Plätze sind begehrt. 

    Übergewicht hat viele Gründe – auch die Genetik spielt eine wichtige Rolle

    Oberärztin Patricia Roth, die das Programm begleitet, ist Expertin auf dem Gebiet der Endokrinologie – also für Stoffwechsel und Hormone. Und sie sagt: „Wenn jemand starkes Übergewicht hat, dann hat das oft viele Gründe. Unter anderem spielt die Genetik eine wichtige Rolle.“ Aber auch Fehlprägungen aus der Kindheit, das Hineinrutschen in falsche Essensstrukturen oder die Verwendung von Essen als Ventil bei psychischen Problemen seien weitere Ursachen. „Typisch für die Menschen, die zu uns kommen, ist, dass sie schon viel versucht haben.“ Etwa Ernährungsumstellungen oder Formula-Diäten mit speziellen Drinks, die ganze Mahlzeiten ersetzen sollen. „Am Anfang sind sie mit solchen Diäten oft erfolgreich. Doch dann kommt meist der Rebound“, sagt Roth. 

    „Typisch für die Menschen, die zu uns kommen, ist, dass sie schon viel versucht haben", sagt Oberärztin Patricia Roth.
    „Typisch für die Menschen, die zu uns kommen, ist, dass sie schon viel versucht haben", sagt Oberärztin Patricia Roth. Foto: Stephanie Sartor

    Das Programm der Klinik beruht auf drei Säulen: der medizinischen Betreuung, einer Ernährungsberatung und einer Verhaltenstherapie. Derzeit gibt es vier Gruppen mit je zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Und die kämpfen nicht nur gegen ihr zu hohes Gewicht, sondern auch gegen gefährliche Folgen. Denn die Kilos, die sie mit sich herumtragen, können krank machen. „Viele haben Begleiterscheinungen. Etwa zu viel Harnsäure im Blut, Diabetes oder Bluthochdruck“, sagt Roth. Allerdings, räumt sie ein, spielten die Gene da eine große Rolle. „Nicht jeder, der übergewichtig ist, entwickelt zwangsweise einen Diabetes.“ Was die meisten eine: Einen Sättigungseffekt gibt es nicht mehr. Diese Regulierung über das Nervensystem funktioniere nicht, etwa, weil eine Fehlfunktion der Hormone vorliegt. 

    Claudia Becké: "Dicke haben keine Lobby"

    Auch die Münchnerin Claudia Becké kannte lange Zeit kein Sättigungsgefühl. Sie glaubt aber, dass ihr Gewichtsproblem nicht allein am Essen liegt. „Ich denke, dass das auch Veranlagung ist.“ Becké blickt aus dem nüchternen Raum mit dem grauen Fußboden nach draußen auf die kahlen Bäume. Dann beginnt sie, zu erzählen. Wie das so ist, mit so vielen Kilos zu viel. 

    Die Diäten, die sie gemacht habe, hätten sie nur unzufrieden gemacht, sagt sie. „Man hat immer Hunger. Und klar, man nimmt dann mal fünf Kilo ab. Aber was bringt das, wenn man weiß, dass es 30 sein müssten?“ Im Alltag sei sie oft auf Probleme gestoßen. Vor allem: zu enge Sitze in der U-Bahn, im Kino oder sogar beim Arzt. „Ich habe einmal meiner Frauenärztin gesagt, dass die Stühle im Wartezimmer für mich zu schmal sind“, erzählt Becké. „Dann hat sie zu mir gesagt: Tja, nehmen Sie halt ab.“ Solche Momente seien schwer zu ertragen. „Dicke Menschen haben einfach keine Lobby“, sagt Becké. 

    Münchnerin entscheidet sich für eine Schlauchmagen-Operation

    Irgendwann entschließt sich Claudia Becké, eine Reha zu machen. Zehn Kilo nimmt sie in dieser Zeit ab. Und dort sei ihr auch bewusst gemacht worden, dass für sie eine Operation eine Möglichkeit sein könne, sagt sie. Und lächelt. Nicht nur mit dem Mund. Sondern auch mit den Augen. Eigentlich mit dem ganzen Körper. Dann sagt sie: „Diese OP war die beste Entscheidung meines Lebens.“ 

    Einer, der solche Eingriffe in Bogenhausen durchführt, ist Chirurg Dr. Marc Nottebohm. Er klappt seinen Laptop auf und zeigt die grafische Darstellung eines Magens. Mit seinem Stift zeichnet er einen fiktiven Längsschnitt nach, etwa in der Mitte des Magens. „Bei einer Schlauchmagen-Operation wird ein Teil des Magens komplett entfernt“, erklärt er. „Nur etwa 20 bis 30 Prozent bleiben übrig.“ 

    Dr. Marc Nottebohm, Chirurg an der München Klinik Bogenhausen, führt unter anderem Schlauchmagen-Operationen durch.
    Dr. Marc Nottebohm, Chirurg an der München Klinik Bogenhausen, führt unter anderem Schlauchmagen-Operationen durch. Foto: Stephanie Sartor

    Aber: Nicht jeder, der unter Gewichtsproblemen leidet, kann sich einfach unters Messer legen. „Der BMI muss über 50 liegen. Oder, wenn zusätzlich Diabetes besteht, über 40,“ erklärt er. Aber auch für Patienten mit niedrigerem BMI komme eine Operation infrage, wenn zuvor der konservative Therapieversuch fehlgeschlagen ist. Das Problem sei: Oft würden die Kassen sich weigern, die Kosten für eine solche OP zu übernehmen. „Obwohl die Patienten alle Voraussetzungen erfüllen. Wir verstehen das nicht“, sagt Nottebohm. 

    Abnehmen mit Diabetes-Spritzen – funktioniert das?

    Die Schlauchmagen-OP ist die eine Möglichkeit, ein Magen-Bypass die andere. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das so: Zuerst wird ein kleiner Teil des Magens abgetrennt, an den dann der Dünndarm angeschlossen wird. „Die Resorptionsstrecke des Dünndarms wird verkürzt“, sagt Nottebohm. Der Körper nimmt so weniger aus der Nahrung auf. Weniger Fette – aber auch weniger Vitamine und Spurenelemente. Die müssen nach der OP ein Leben lang zusätzlich eingenommen werden, um keinen Mangel zu bekommen, der im schlimmsten Fall zu neurologischen Erkrankungen führen kann. Nottebohm klappt seinen Laptop zu, dann faltet er die Hände vor sich auf dem Tisch und sagt: „Die Menschen müssen sich bewusst sein, dass so eine Operation eine Lebensentscheidung ist.“ Man müsse sich danach sehr disziplinieren. Nicht immer gelinge das. Nottebohm hatte schon einen Patienten, der ein Glas Nutella in der Mikrowelle flüssig gemacht hat, um es dann zu trinken. „Damit trickst man die OP natürlich aus, weil man die Kalorien ja trotzdem zu sich nimmt.“ 

    Mittlerweile gibt es für eine Gewichtsreduktion noch andere Methoden. Vor allem eine macht derzeit Schlagzeilen: Abnehmen mit Diabetes-Spritzen. Semaglutid heißt einer der Wirkstoffe, der in Form des Diabetesmedikaments Ozempic seit Monaten über soziale Medien intensiv beworben wird. Tausende Menschen, darunter Prominente wie Twitter-Chef Elon Musk, berichteten von Abnehmerfolgen mit einer wöchentlichen Spritze. Semaglutid ist von der Europäischen Arzneimittelagentur Ema unter dem Handelsnamen Wegovy zwar bereits zur Behandlung von Adipositas – und eben nicht von Diabetes – zugelassen. Aufgrund von Lieferengpässen ist die Markteinführung jedoch bisher nicht erfolgt. 

    Das Prinzip, das dahintersteckt, ist denkbar einfach: Das Hungergefühl sinkt, das Sättigungsgefühl steigt. Dr. Timo Müller, kommissarischer Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München, räumt aber ein: „Die bisherige Datenlage weist darauf hin, dass das eine lebenslange Therapie ist.“ In klinischen Studien habe sich gezeigt, dass die Menschen zwar abnehmen, wenn sie regelmäßig die Spritzen erhalten – wenn sie die Behandlung absetzen, nehmen die meisten aber wieder zu. 

    Nicht nur der Körper leidet unter dem Übergewicht, sondern auch die Psyche

    Die Münchnerin Claudia Becké entscheidet sich im vergangenen November mit der OP für eine noch radikalere Variante. Als sie damals aus der Narkose aufwacht, die vielen Schläuche sieht, die in ihrem Körper stecken, ist ihr erster Gedanke: „Was hast du nur getan?“ Doch Tag für Tag wird es besser. Mittlerweile sind ein paar Monate vergangen – und 22 Kilo verschwunden. „Ich esse drei Mahlzeiten am Tag. Der Verstand sagt mir, dass ich essen muss. Hunger habe ich aber nicht.“ Morgens gibt es ein kleines Porridge mit zwei Löffeln Haferflocken, mittags eine Suppe und am Abend eine Scheibe Vollkornbrot mit Aufstrich. „Wenn ich mit meiner Familie ins Restaurant gehe, dann bestelle ich mir eine Suppe, die ich meist nur zur Hälfte esse. Und dann schaue ich staunend auf die Berge von Essen, die die anderen auf den Tellern haben.“ Früher seien Besuche in Restaurants oft ein Spießrutenlauf gewesen. Weil sie Angst hatte, dass die Stühle für sie zu klein sein könnten. Und weil sie dauernd diese Blicke spürte, die bedeuten sollten: Muss die Dicke denn schon wieder essen? Ihr sei es meist gelungen, darüber hinwegzusehen – andere Menschen schaffen das nicht. 

    Tipps: Übergewichtige Kinder

    Eltern sollten Vorbilder sein. Wenn Vater und Mutter sich gesund ernähren fällt es natürlich leichter, eine passende gemeinsame Mahlzeit einzunehmen. Und das gilt ...

    ... auch für das Thema Sport. Hier können Eltern zusammen mit ihrem Kind aktiv werden und gemeinsam Sport treiben. Motivieren Sie ihr Kind, dass es sich mehr bewegt.

    Sprechen Sie keine Verbote aus. Besser ist es, gesunde Alternativen aufzuzeigen.

    Beziehen Sie ihr Kind mit ein und vereinbaren Sie gemeinsame Ziele. So können Sie einen Speiseplan aufstellen, in dem die Lieblingsgerichte mit weniger Kalorien angeboten werden (beispielsweise fettarme Soßen).

    Motivieren Sie ihr Kind. Viele übergewichtige Kinder werden gehänselt, so dass das Selbstbewusstsein darunter leidet. Loben Sie auch kleine Fortschritte.

    Vertreiben Sie die Langeweile. Fördern Sie die Freundschaften ihres Kindes und sprechen Sie mit ihm, welche Hobbys oder Sportarten die passenden sind. Quelle: kinderaerzte-im-netz.de

    Denn nicht nur der Körper leidet unter dem Übergewicht. Auch die Psyche. Manchmal würden sich die Menschen nicht mehr trauen, die Wohnung zu verlassen, zu Hause einschließen – und noch mehr essen, sagt Johanna Bauer-Schroff, Psychologin im Zentrum für Adipositas in Bogenhausen. Daraus könnten Angsterkrankungen oder Depressionen entstehen. Es geht aber auch andersherum: Eine bestehende psychische Erkrankung sei oft der Nährboden für eine Adipositas. „Wir versuchen, mit den Patientinnen und Patienten zu klären, was ihre Verhaltensmuster sind und welche Auslöser es fürs Essen gibt“, sagt sie. 

    Viele trauen sich nicht auf die Waage, weil sie Angst vor der Zahl haben

    Viele, die im Programm mitmachen, hätten sich lange nicht mehr gewogen, erzählt Bauer-Schroff. „Weil sie Angst haben vor der Zahl. Oder weil die Waage gar nicht so hohe Werte anzeigen kann“, sagt die Psychologin. Die Ziele, die sie sich im Programm stecken, seien unterschiedlich. „Manche wollen einfach wieder wandern können. Oder beim Treppensteigen keine Probleme haben“, sagt Bauer-Schroff. „Andere wollen in einem Jahr 50 Kilo verlieren. Aber das ist unrealistisch.“ Zehn bis 15 Prozent seien drin, fährt sie fort. 

     „Wir versuchen, mit den Patientinnen und Patienten zu klären, was ihre Verhaltensmuster sind und welche Auslöser es fürs Essen gibt", sagt Psychologin Johanna Bauer-Schroff.
    „Wir versuchen, mit den Patientinnen und Patienten zu klären, was ihre Verhaltensmuster sind und welche Auslöser es fürs Essen gibt", sagt Psychologin Johanna Bauer-Schroff. Foto: Stephanie Sartor

    Bei einer Magen-Operation ist die Gewichtsabnahme natürlich deutlicher. Je nach Methode verlieren die Patienten zwischen 40 und 60 Prozent ihres Ausgangsgewichts. Claudia Becké hofft, dass sie bald unter 100 Kilo wiegt. Ihr Traumziel: 70. „Aber ich fühle mich jetzt schon herrlich. Mit der Reha und der OP sind rund 30 Kilo gepurzelt.“ Früher habe sie beim Spazierengehen oft geschaut, wo die nächste Parkbank ist. Um durchzuschnaufen. Heute braucht sie das nicht mehr. 

    Als Claudia Becké sich verabschiedet, erzählt sie noch, dass sie relativ weit weg habe parken müssen. „Da hätte ich damals gedacht: O Gott, die Strecke schaff ich nicht zu Fuß. Heute macht mir das nichts mehr aus.“ Dann steht sie auf und geht hinaus auf den Klinikflur. Sie will jetzt noch ins Schwimmbad gehen. „Ich bin so glücklich. Und das ist erst der Anfang.“ 

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