Frau Prof. Traidl-Hoffmann, Sie sind Umweltmedizinerin, warum ist Hitze so eine große Gesundheitsgefahr für Menschen?
Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann: Unser Körper braucht eine Kerntemperatur von 37 Grad. Es ist zwar ein komplexer Vorgang, dass diese Temperatur gehalten wird, aber das läuft normalerweise völlig nebenher. Bei Hitze allerdings konzentriert sich der Körper plötzlich nur noch auf diese eine Aufgabe. Wenn ich aber noch Herz- oder Blutdruckprobleme habe oder an der Lunge erkrankt bin oder eine chronisch entzündliche Darmerkrankung habe oder Diabetes, kommt mein Körper mit diesem Problem dann nicht mehr zurecht. Daher ist Hitze für Menschen, die gesundheitliche Einschränkungen haben, so besonders gefährlich.
Ist Hitze nur für Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich?
Traidl-Hoffmann: Nein, sie ist für uns alle sehr gefährlich, aber die Gefahr durch Hitze wird leider völlig unterschätzt. Hitze ist eine Gesundheitsgefahr! Doch zu viele Menschen ignorieren einfach diese gesundheitlichen Gefahren und erklären beispielsweise, die Menschen im Süden kommen doch auch mit ihr zurecht. Das stimmt aber gar nicht. Wir haben ganz aktuelle Zahlen vorliegen, wonach es über 70.000 hitzebezogene Todesfälle im vergangenen Sommer in Europa gegeben hat. Deutschland hatte mit 8173 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen, nach Italien, wo es 18.010 Tote waren, und Spanien mit 11.324 Toten. Und was viele auch vergessen: Jetzt können wir noch etwas tun, um bessere Schutzmaßnahmen gegen die steigende Hitze zu haben, bald wird es dafür aber zu spät sein.
Im Bayerischen Ärzteblatt schreibt Dr. Quitterer, der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, dass zwar viel über Hitzeschutz geredet wird, die Umsetzung aber stockt. Sehen Sie das auch so?
Traidl-Hoffmann: Ja, die Umsetzung von Hitzeschutzkonzepten stockt leider seit Jahren. Dabei haben wir längst alle wissenschaftlichen Daten vorliegen, wir wissen, dass wir dringend handeln müssen. Das Problem ist: Viele Hitzeschutzpläne liegen nur in den Schubladen, da nützen sie aber nichts.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach will einen Hitzeschutzplan vorstellen, doch viele fürchten zu viele Einschränkungen ...
Traidl-Hoffmann: Da wird schon wieder so viel Falsches verbreitet, da ist von Hitze-Lockdowns die Rede, das ist furchtbar. Dabei geht es doch einfach darum, dass wir feste gesetzliche Regeln brauchen, die ab bestimmten sehr hohen Temperaturen greifen müssen, um Menschen zu schützen. Frankreich beispielsweise ist da ein gutes Vorbild, wo wir uns einiges abschauen könnten. Dort gibt es ein erweitertes Ampelsystem – Grün, Gelb, Orange, Rot. Rot bedeutet beispielsweise, dass ab 40 Grad sportliche Veranstaltungen auch an Schulen untersagt werden, aber das ist doch nur vernünftig, wer will denn bei 40 Grad joggen? Und schauen Sie sich doch viele Schulen an: In den Klassenzimmern ist es oft so heiß, dann werden die Fenster aufgemacht, aber es kommt nur warme Luft herein, da kann niemand mehr lernen. Hier müssen Maßnahmen gesetzlich festgelegt werden, um gerade auch Kinder besser zu schützen. Das fängt allerdings beim Bau der Schulen an – sie sollten so architektonisch geplant sein, dass sie kühl bleiben, verschattet werden können und die Schulhöfe mit viel Grün ausgestattet sind.
Warum sind Kinder so gefährdet?
Traidl-Hoffmann: Kinder sind bei Hitze ganz besonders gefährdet. Zum einen ist bei ihnen die Regulationsfähigkeit der Körpertemperatur noch gar nicht ganz ausgebildet. Kinder können auch weniger schwitzen. Hinzu kommt, dass ihr Körper aufgrund des ungleichen Verhältnisses von Körpermasse zu Körperoberfläche zur Wärmeableitung viel stärker arbeiten muss. Kinder bei Hitze ohne ausreichend Sonnenschutz nach draußen zu schicken, also ohne Kopfbedeckung, ohne passende Kleidung, ohne Eincremen, oder sie bei Hitze eine Stunde im Auto sitzen zu lassen, ist Körperverletzung.
Aber auch ältere Menschen gelten als Hochrisikogruppe.
Traidl-Hoffmann: Ja, ältere Menschen sind ebenfalls sehr gefährdet. Sie haben oft kein Durstgefühl mehr, doch Dehydrierung stellt ein großes Gesundheitsrisiko dar. Hinzu kommt, dass Ältere oft Vorerkrankungen haben. Das heißt, auch hier brauchen wir klare gesetzliche Regeln, die ab 30, 35 Grad beispielsweise in Pflegeheimen greifen. Da muss Personal speziell geschult sein, um die gesundheitlichen Gefahren durch Hitze im Blick zu haben, um beispielsweise dafür zu sorgen, dass die Menschen ausreichend trinken und bei Bedarf mit Infusionen versorgt werden. Solche Flüssigkeit-Infusionen müssen aber erst einmal vorhanden sein. Das gilt auch für Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Außerdem müssen diese Häuser runtergekühlt werden können, sie brauchen also Klimaanlagen und Verschattungsmöglichkeiten. Aber gerade auch Seniorinnen und Senioren, die allein leben, sind sehr gefährdet. Daher brauchen auch die Kommunen Hitzepläne.
Was heißt das konkret?
Traidl-Hoffmann: In den großen bayerischen Städten, in Augsburg, in Nürnberg, in Regensburg und München gibt es bereits Hitzeschutzpläne und das ist auch gut so. Denn man darf ja nicht vergessen: In Städten kommt zu der großen Hitze oft auch noch eine starke Luftverschmutzung dazu, was das Atmen wirklich sehr erschwert. Aber auch kleinere Kommunen brauchen Hitzeschutzpläne. Doch wir wissen aus Umfragen, die wir über das Bayerische Kompetenzzentrum für Gesundheitsschutz im Klimawandel gemacht haben, dass viele Kommunen noch immer meinen, sie bräuchten keine Hitzeschutzpläne. Dabei wohnen beispielsweise gerade auch dort in schlecht isolierten Dachwohnungen alte Menschen, die bei Hitze wirklich in Lebensgefahr sind. Daher benötigt jede Kommune beispielsweise ein Hitzeregister, in das man sich eintragen kann, damit bei Hitzewellen Menschen angerufen werden können und man, wenn keiner ans Telefon geht, auch vorbeifahren kann. Überhaupt ist bei Hitzeschutz Solidarität gefragt – egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Jeder ist aufgerufen, zu schauen, wie es dem Nachbar oder der Nachbarin geht.
Was raten Sie gerade älteren Menschen?
Traidl-Hoffmann: Da gibt es viele Empfehlungen, wie viel zu trinken, direkte Sonne zu meiden und nachts die Räume gut durchzulüften. Was aber sehr oft vergessen wird: Menschen, die regelmäßig Medikamente nehmen, sollten unbedingt ihren Arzt beziehungsweise ihre Ärztin fragen, ob die Dosierung bei Hitze noch passt. Denn unter Hitzeeinwirkung arbeiten beispielsweise das Herz anders oder die Nieren, dann ist eine andere Dosierung wichtig.
Sie sind auch Sonderbeauftragte des bayerischen Gesundheitsministeriums für Klimaresilienz und Prävention. Was machen Sie da konkret?
Traidl-Hoffmann: Vor allem informieren und aufklären. Das ist übrigens auch die erste Stufe eines jeden Hitzeschutzplans: Die Bürger müssen rechtzeitig über Hitze informiert werden. Denn nur dann können sie auch vorplanen und müssen beispielsweise nicht in der größten Hitze aus dem Haus, um einkaufen zu gehen. Und ich poche unter anderem darauf, dass unsere Städte hitzegerechter umgebaut werden. Denn, obwohl wir wissen, was infolge des Klimawandels passiert, dass wir vor allem viel mehr Grünflächen brauchen, bauen wir weiter Betonwüsten und glauben, dass mit ein paar Bäumen im Kübel schon viel getan ist. Das ist absolut unzureichend.
Zur Person: Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, 53, ist Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg sowie Sonderbeauftragte für Klimaresilienz und Prävention des bayerischen Gesundheitsministeriums. Die Ärztin gehört außerdem unter anderem dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung zu globalen Umweltveränderungen, kurz WBGU, an.