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Foto: Thomas Heckmann
Foto: Thomas Heckmann

Dr. Björn Hossfeld ist seit 25 Jahren leidenschaftlicher Notarzt. Er hilft nicht nur Menschen in Schwaben, der Leitende Oberarzt am Bundeswehrkrankenhaus Ulm ist auch regelmäßig bei Auslandseinsätzen dabei.

Lesetipp
07.02.2022

Notärzte in Not: Immer weniger sind für lebensrettende Einsätze bereit

Von Daniela Hungbaur

Ob schwerer Unfall oder plötzlich auftretende Schmerzen – Notärzte sind binnen Minuten zur Stelle und retten sehr oft das Leben von Menschen. Doch es fehlt Personal.

Jeden Augenblick kann es passieren – ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, ein schwerer Unfall. Jeden kann es treffen. 112 heißt dann die rettende Telefonnummer und im Schnitt ist binnen zwölf Minuten ein Notarzt vor Ort. Noch. Denn längst sind die Notärzte selbst in Not. Weil immer weniger Kolleginnen und Kollegen für diese lebensrettenden Einsätze bereit sind. Privatdozent Dr. Björn Hossfeld bestätigt dies. Er ist nicht nur selbst seit 25 Jahren leidenschaftlicher Notarzt, sondern auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärztinnen und Notärzte. Sein Kollege in Landsberg, Dr. Wolfgang Weisensee, spricht von einer „unguten Entwicklung“ und einem längst „lückenhaften Netz“. Wo also liegen die Probleme? Warum winken gerade auch viele jüngere Medizinerinnen und Mediziner dankend ab, wenn es um den Notarzteinsatz geht?

Einen schöneren Beruf kann er sich nicht vorstellen

Björn Hossfeld sitzt in der Rettungswache in Gersthofen. Es ist 18.30 Uhr. Um 19 Uhr beginnt sein Dienst. Die rot-gelbe Rettungshose hat er bereits an, auch das blaue T-Shirt, das ihn am Rücken mit silberner Schrift als Notarzt ausweist. Was an diesem Abend, was in dieser Nacht auf ihn zukommen wird, er weiß es nicht. Und das mache seinen Beruf auch so spannend, sagt er, lächelt und ergänzt: „Ich habe Medizin nur studiert, um Notarzt zu werden.“ 1987 hat er als Rettungssanitäter begonnen, seit 1997 ist er Notarzt. Die schnelle und möglichst perfekte Organisation eines vorher nie planbaren Einsatzes ist für ihn eine Herausforderung, die ihn immer wieder reizt. Nicht nur bei seinen Einsätzen in Schwaben. Der Leitende Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm absolviert auch regelmäßig Auslandseinsätze. Das Gefühl, jemandem wirklich das Leben retten zu können, ist unbeschreiblich erfüllend, sagt er. Einen schöneren Beruf, das wird im Gespräch mit ihm schnell klar, kann sich der 52-Jährige gar nicht vorstellen.

Auch Wolfgang Weisensee ist seit rund 30 Jahren überzeugter und engagierter Notarzt in Landsberg. Auch er liebt seinen Beruf. Er spürt immer wieder die tiefe Dankbarkeit von Menschen, denen er in Notsituationen helfen kann. Sie entschädigt auch, sagt der Anästhesist, für die Einsätze, die es leider immer häufiger gibt, in denen er, aber auch andere Helfer beleidigt und angegriffen werden. Was auch Weisensee große Sorge bereitet, ist das Fehlen des Nachwuchses: „Manche Schicht kann heute gar nicht mehr besetzt werden, weil die Ärzte fehlen.“

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Foto: Julian Leitenstorfer
Foto: Julian Leitenstorfer

Dr. Wolfgang Weisensee spürt immer wieder die tiefe Dankbarkeit von Menschen, denen er in Notsituationen helfen kann.

Allerdings seien heute auch wesentlich mehr Mediziner nötig, um die Schichten zu besetzen, erklärt Hossfeld. Als er vor vielen Jahren begonnen hat, war ein über 24-stündiger Dienst mit kleiner Pause noch an der Tagesordnung. Mit der Einführung geregelter Arbeitszeiten sei das heute nicht mehr möglich, was er ausdrücklich begrüßt, da Ärzte besser vor Überlastung geschützt werden. Auch würden es die Klinikchefs nicht mehr so oft erlauben, dass Kolleginnen und Kollegen Notarztdienste übernehmen, da sie die Ärzte selbst für ihre Schichten brauchen.

Hinzu kommt: Die Zahl der Einsätze sei massiv gestiegen – allerdings gebe es auch viel häufiger Einsätze, gerade nachts, für die ein Notarzt gar nicht nötig wäre. Für Hossfeld eine logische Entwicklung: „Über Jahre haben wir den Menschen gesagt, auf welche Symptome sie achten sollen und dass sie keinesfalls zögern, sondern Hilfe holen sollen.“ Das machen jetzt eben auch viele. Wobei sein Kollege Weisensee auch beobachtet, dass die Anspruchshaltung generell gestiegen ist und nicht wenige einen Notarzt holen – oder in die nächste Notaufnahme marschieren – weil sie schlicht die Wartezeiten bei Ärzten umgehen wollen. Und dann gebe es auch die, die stets zuerst Dr. Google fragen, wo immer das Schlimmste zuerst kommt, und die dann sofort den Notarzt rufen.

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Ein großes Problem: Die Besetzung der Leitstellen

Einig sind sich Weisensee und Hossfeld, dass ein großes Problem die Besetzung der Leitstellen ist. Dort, wo jeder Anruf erst einmal rauskommt, sitzen zwar erfahrene Leitstellendisponenten., doch bei gewissen Schlagworten wie beispielsweise Atemnot fühlten sich manche schon regelrecht gezwungen, sofort einen Notarzt loszuschicken, damit sie später nicht wegen unterlassener Hilfeleistung Ärger bekommen könnten. Daher müsse dort eine fundiertere Einschätzung, ob überhaupt ein Notarzt nötig ist, erfolgen. Das heißt, ein erfahrener Arzt müsste mit in den Entscheidungsprozess eingebunden werden können.

Auch das vom Bayerischen Innenministerium geförderte Pilotprojekt Telenotarzt findet Hossfeld vielversprechend. Es wird gerade im Rettungsdienstbereich Straubing erprobt und ermöglicht es, dass Notfallsanitäter bei der Patientenversorgung jederzeit einen erfahrenen Notarzt online zuschalten können. Weisensee sieht die Sache skeptischer: Auch für ihn ist die Telemedizin eine Unterstützung der Kräfte vor Ort, sie ersetze aber nie den persönlichen Arztkontakt vor allem in besonders schwierigen Situationen. Und: „Gerade in ländlichen Regionen fehlen uns die Notärzte und ausgerechnet dort haben wir auch nicht immer stabiles Internet.“

Und dann gibt es noch einen anderen Punkt, den sowohl Weisensee als auch Hossfeld für dringend verbesserungswürdig halten: die Bezahlung. „Der Notarztdienst ist zu schlecht bezahlt“, sagt Hossfeld. In anderen Ländern wie Österreich, aber selbst in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Hessen bekommen Notärzte mehr Geld, sagt er. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern, kurz KVB, erhalten Notärzte für Stunden ohne Einsatz alleine für die Bereitschaft eine sogenannte Grundpauschale, die 25 Euro je Stunde beträgt. Für einen Einsatz erhält der Notarzt eine Einsatzpauschale in Höhe von 86,25 Euro, wobei dann die Stundenpauschale wieder abgezogen werde. Hinzu kämen noch einige Zuschläge etwa am Wochenende oder für besonders lange Einsätze – ein diffiziles System also. „In Bayern müssen Notärzte ihre Einsätze selbst mit der KVB abrechnen, in Baden-Württemberg sind Kliniken die Träger und bezahlen Notärzten generelle pauschale Stundenvergütungen. Da weiß ich dann sicher, was ich für eine Nacht bekomme“, sagt Hossfeld und ergänzt: „Die Krankenkassen müssten mehr Geld in die Notdienste investieren.“

Die KVB sieht wiederum auch in den gestiegenen Anforderungen einen Grund für Engpässe. So seien die fachlichen Zugangsvoraussetzungen erhöht worden. Auch sei in vielen Fällen ein Aufenthalt in der Rettungswache oder Klinik im Unterschied zu früher, als die Notärzte von zu Hause starten konnten, vorgegeben. Unter dem Strich, so die KVB, stagniere die Zahl der am Notarztdienst teilnehmenden Ärzte während gleichzeitig die Anzahl der vom einzelnen Arzt übernommenen Dienste sinkt. Nicht vergessen dürfe man, dass auch ein gesellschaftliches Umdenken statt findet: Die Wertschätzung von Freizeit – Stichwort Work-Life-Balance – mache auch vor Ärzten nicht halt.

Dass sich also etwas ändern muss, ist klar: Die KVB verweist auf eine von ihr geforderte und vom Bayerischen Innenministerium in Auftrag gegebene Notarztstudie, die derzeit erstellt werde und in der auch die Bedarfsfrage zur Aufrechterhaltung aller bestehenden Notarztstandorte beleuchtet werde.

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