Was bleibt von einem großen Politiker, der kein Amt und somit von Amts wegen auch keine Macht mehr hat? CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder macht das im Fall von Theo Waigel an zwei lateinischen Begriffen fest. Die „potestas“ (Amtsgewalt) geht mit der politischen Funktion verloren. Was bleibt, ist die „auctoritas“ – was so viel bedeutet wie Ansehen, Geltung, natürliche Autorität.
Mehr als 300 Gäste sind an diesem Dienstagabend nach München in die Hanns-Seidel-Stiftung gekommen, um den 85. Geburtstag des CSU-Ehrenvorsitzenden und früheren Bundesfinanzministers Theo Waigel zu feiern. Der Vorsitzende der Stiftung, der schwäbische CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, kann unter anderem Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Kardinal Reinhard Marx, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch, den 90-jährigen Schriftsteller Reiner Kunze, Ex-CSU-Chef Erwin Huber sowie amtierende und ehemalige Minister, Landräte und Bürgermeister begrüßen. Der frühere italienische Ministerpräsident und vormalige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gratuliert per Videobotschaft seinem „lebenslangen Freund“ Theo Waigel.
Söder hatte sich einst auf Stoibers Seite geschlagen
Söder erinnert in seiner Laudatio daran, dass es einst zwischen ihm als Landeschef der Jungen Union und Waigel als CSU-Vorsitzendem „nicht Liebe auf den ersten Blick“ war. Das Publikum lacht. Alle wissen, dass Söder sich in jungen Jahren auf die Seite Edmund Stoibers, Waigels schärfstem innerparteilichen Konkurrenten, geschlagen hatte. Doch das ist Vergangenheit. Jetzt findet der amtierende CSU-Chef nur noch anerkennende Worte für den einstigen Parteivorsitzenden. Waigel sei „das große Gewissen der CSU“, er sei „eine großartige Persönlichkeit“ und „einer der ganz wenigen, vielleicht der Intellektuelle“ der Partei. Rückblickend stellt Söder fest: „In 90 Prozent der Fälle hat Waigel dann doch Recht gehabt.“
Der derart Geehrte dankt Söder, zeigt sich „bewegt“ von dieser Laudatio und antwortet: „Unser Verhältnis hat sich in den letzten 30 Jahren verändert, ich würde sagen, verbessert.“ Dann lässt Waigel das Publikum teilhaben an dem, was er seit seinem Eintritt in die Politik erlebt hat – im ehemaligen schwäbischen Landkreis Krumbach, in Bonn und Berlin, in der Opposition und in der Regierung, zwischen den mächtigen Parteichefs von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß. Die Geschichte der Bundesrepublik, wie Waigel sie erzählt, wird zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für Freiheit, für den Rechts- und Sozialstaat und für ein geeintes Europa. Waigel schließt mit dem Appell: „Verteidigen wir die wehrhafte, tolerante Demokratie.“