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Gastronomie: Essen ohne Umwege: Regionalität ist in vielen Küchen zur Philosophie geworden

Spitzenkoch Alexander Herrmann, der aus vielen TV-Formaten bekannt ist, verwendet in seinem Gourmetrestaurant „Aura“ fast nur Produkte aus der Region. Seit vielen Jahren arbeitet er etwa mit der Texas-Longhorn-Ranch zusammen, die gerade einmal eine halbe Stunde von seinem Restaurant entfernt ist.
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Essen ohne Umwege: Regionalität ist in vielen Küchen zur Philosophie geworden

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    Den Hügel hinauf, bis zur Wiese. Es riecht nach Gras und Kräutern und ein bisschen schon nach Herbst, hier in Altencreußen an diesem sommerwarmen Septembermorgen. Oberfränkische Idylle, Bilderbuch-Bayern. Mit einem Himmel, der so blau ist, dass man in ihm baden möchte. Alexander Herrmann trägt Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Er läuft den schmalen Feldweg hinauf, dann deutet er auf die Weide und auf Rinder mit auffällig langen Hörnern. „Artgerechter geht es kaum“, sagt Herrmann, einer der bekanntesten Köche Bayerns, der hier seit Jahren Fleisch für sein Zwei-Sterne-Restaurant „Aura“ in Wirsberg kauft. Gerade einmal eine gute halbe Stunde liegt zwischen dem Hof und der Küche. 

    Angefangen hat alles damit, dass die Chefin der Texas-Lonhorn-Ranch mit einem Steak in der Hand zu Herrmann fuhr, um ihn von der Qualität des Fleisches zu überzeugen. Und der biss an. „Ich mag die Persönlichkeiten, die Menschen, die hinter dem Produkt stehen. Man hat da gleich eine emotionale Bindung“, sagt der Sternekoch und blickt noch einmal auf die Wiese zu den Rindern. Heute zählt die Ranch, auf der auch fränkischer Whisky produziert wird, zu einem Netzwerk von rund 80 Lieferanten aus der Region, die das Gourmetrestaurant beliefern. Lange Transporte gibt es nicht, die Produkte landen ohne Umwege in der Küche und dann schließlich auf den Tellern der Gäste. 

    Trend in der Gastronomie: Saibling aus der Nachbarschaft, Lamm vom Bauern aus dem nächsten Dorf

    Das Thema Regionalität ist in vielen Küchen des Freistaats zu einer tragenden Philosophie geworden. Also: Saibling aus der Nachbarschaft statt Jakobsmuscheln aus der Bretagne, Lamm vom Bauern aus dem nächsten Dorf statt aus Neuseeland. Immer mehr Köchinnen und Köche verfolgen diesen Trend – und immer mehr Gästen ist es wichtig, die Region zu unterstützen. Die

    Herrmann, der an diesem Tag zu einer Tour zu seinen Produzenten eingeladen hat, steht nun auf dem Hof von Martin Stiegler in Gonnersdorf, ein kleiner Ort westlich von Nürnberg. Hier gibt es rund 40 verschiedene Haselnuss-Sorten, etwa 300 Kilogramm verkauft der Hof pro Jahr an Herrmanns Restaurant „Aura“, das er gemeinsam mit Tobias Bätz führt und das eben erst vom Gourmet-Magazin „Der Feinschmecker“ als Restaurant des Jahres ausgezeichnet wurde. Stiegler, studierter Landwirt, hat 2006 mit dem Anbau angefangen. „Man denkt bei Haselnüssen eher ans Piemont als an Franken“, sagt der junge Mann, blonde Haare, robuste Arbeitshose. Dann läuft er einen schmalen Weg entlang, ein bisschen bergauf zu den Nuss-Plantagen. Hier wachsen etwa die Halleschen Riesen, die sich zum Rösten eignen. Oder die Langen Zeller, die am besten im Naturzustand gegessen werden. „Nur reife Früchte werden geerntet, also die, die herunterfallen“, sagt Stiegler. „Das unterscheidet uns von industriellen Großproduzenten, die auch unreife Nüsse ernten. Geschmacklich ist das ein großer Unterschied.“ Dass das Thema Regionalität eine immer größere Rolle spielt, freue ihn natürlich. Allerdings, räumt er ein, habe sich der Begriff leider auch ein wenig abgenutzt.

    Haselnuss-Anbauer Martin Stiegler sagt: "Man denkt bei Haselnüssen eher ans Piemont als an Franken."
    Haselnuss-Anbauer Martin Stiegler sagt: "Man denkt bei Haselnüssen eher ans Piemont als an Franken." Foto: Stephanie Sartor

    Das Grundproblem ist: Die Bezeichnung ist nicht geschützt. Im Prinzip kann sie also relativ breit interpretiert werden. „Jeder definiert Regionalität anders“, sagt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern. „Manche verbinden damit nur den unmittelbaren Umkreis von wenigen Kilometern, andere meinen damit Bayern oder vielleicht sogar Deutschland.“ Krehl spricht sich deswegen für eine deutlichere Deklaration aus. Maximale Transparenz also, damit die Menschen erkennen können, woher Lebensmittel – bei weiterverarbeiteten Produkten, die als regional beworben werden, auch die einzelnen Zutaten – stammen. Und Krehl betont: „Nur weil etwas regional ist, bedeutet das nicht automatisch, dass auch die Qualität gut ist. Der Bauer von nebenan kann genauso mit Pestiziden spritzen.“

    Bio-Gärtner Niedermaier: "Leider lassen sich viele Menschen auch täuschen"

    Pestizide haben in der Bioland-Gärtnerei von Sebastian Niedermaier, blonde Locken, entspanntes Lächeln, nichts verloren. Hier, mitten in der Bamberger Altstadt, wachsen Tomaten, Ingwer, Wirsing, Pastinaken oder sogar Süßholz – aus Letzterem wird in Alexander Herrmanns Restaurant eine Essenz gekocht, mit der dann etwa Fisch aromatisiert wird. „Insgesamt bauen wir 60 verschiedene Kulturen an“, sagt Niedermaier. Einen kleinen Teil hier, den Großteil vor den Toren der Stadt. Seit elf Generationen sei seine Familie bereits im Gärtnerhandwerk, erzählt Niedermaier, geht ans andere Ende des Grundstücks und deutet auf grüne Pflanzen, die unter einem Dach wachsen. „Der Ingwer ist reif“, sagt er, gräbt eine Knolle aus, wäscht sie ab und steckt sich ein Stück in den Mund. Seine Produkte verkauft er auch in seinem Hofladen. An Menschen, die direkt vom Erzeuger kaufen wollen. Die gerne wissen, wo das, was sie essen, eigentlich herkommt. „Leider lassen sich viele Menschen auch täuschen“, sagt Niedermaier. „Die kaufen zwar bei lokalen Händlern – die allerdings vom Großhandel beliefert werden“, sagt er. Eben erst habe er gesehen, wie der Lastwagen eines Großlieferanten vor einem kleinen Laden gestanden habe. „Da kann man dann auch gleich beim Discounter einkaufen, das ist die gleiche Ware.“ 

    Bioland-Gärtner Sebastian Niedermaier in seinem Ingwer-Feld. Insgesamt baut er 60 verschiedene Kulturen an.
    Bioland-Gärtner Sebastian Niedermaier in seinem Ingwer-Feld. Insgesamt baut er 60 verschiedene Kulturen an. Foto: Stephanie Sartor

    Grundsätzlich ist es immer mehr Verbraucherinnen und Verbrauchern wichtig, Nahrungsmittel einer Region zuordnen zu können, heißt es vom Kompetenzzentrum für Ernährung, eine Einrichtung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Produkte aus der Region vermittelten nicht nur das gute Gefühl, etwas für die eigene Heimat zu tun, sie machten auch aus anonymen und häufig austauschbaren

    Um Wertschätzung geht es auch bei der jährlichen Vergabe der „Grünen Sterne“. Seit 2020 vergibt der berühmte Gastronomieführer „Guide Michelin“ die Auszeichnung an Gasthäuser, die sich besonders für Nachhaltigkeit und Regionalität stark machen. In den Freistaat gingen in diesem Jahr besonders viele Preise. 25 der bundesweit 72 „Grünen Sterne“ wurden an bayerische Betriebe vergeben.

    Bei Stefan Fuß in Rohrbach kommt etwa Stör aus der Region auf den Tisch.
    Bei Stefan Fuß in Rohrbach kommt etwa Stör aus der Region auf den Tisch. Foto: Stephanie Sartor

    Einer davon: Das Gasthaus "Goldener Stern“ in Rohrbach im Landkreis Aichach-Friedberg. Inhaber und Küchenchef Stefan Fuß sitzt an einem warmen Septembernachmittag im Biergarten seines Restaurants, aus der Küche hört man Geschirrgeklapper, es riecht nach Soßen und gebratenem Fleisch, Kellner und Kellnerinnen tragen Teller an die Tische. „Unsere Grundprodukte, also etwa Lamm, Fisch oder Geflügel, sind alle regional“, sagt er. „Wir machen das auch sehr transparent, die Menschen sollen sehen, von welchen Produzenten ihr Essen stammt.“ Er könne und wolle nicht anders arbeiten, sagt Fuß. Die Wertschöpfung sei einfach eine ganz andere. Und der Umgang mit Produkten sei viel bewusster. Wenn er etwa zwei ganze Hirsche kaufe, würden die Innereien, die besonders schnell verderben, gleich als Tagesangebot auf die Karte gesetzt. Erst später dann die Teile mit Knochen. Und ganz am Ende die Kurzbratstücke, die eine längere Trocknungsphase bräuchten. Das Produkt bestimmt das Menü – nicht umgekehrt.

    Fuß führt das Gasthaus seit elf Jahren, die Geschichte des Betriebs reicht aber bis ins Jahr 1903 zurück. Die Gäste, erzählt der Koch, wüssten es zu schätzen, dass hier so regional und nachhaltig gearbeitet werde. „Vor allem junge Menschen kommen extra deswegen zu uns.“ Man könne es aber auch übertreiben, findet Fuß. „Es gibt ja Menschen, die sagen, eine Küche, in der Salz und Pfeffer verwendet werden, kann nicht regional sein. Das sehe ich aber anders.“

    Im Zwei-Sterne-Restaurant "Aura" steht unter anderem auf der Karte: Acht Jahre altes, roh mariniertes Hereford-Rind mit Röstgemüse-Creme, kalter Rinder-Paprika-Dashi und Bärlauch.
    Im Zwei-Sterne-Restaurant "Aura" steht unter anderem auf der Karte: Acht Jahre altes, roh mariniertes Hereford-Rind mit Röstgemüse-Creme, kalter Rinder-Paprika-Dashi und Bärlauch. Foto: Stephanie Sartor

    Sternekoch Alexander Herrmann ist der gleichen Auffassung, wie er am Abend in seinem Wirsberger Gourmet-Restaurant – gedimmtes Licht, sanfte Musik – erzählt. „Natürlich bieten wir auch Champagner an. Man darf sich nicht zu sehr geißeln. Und ich will niemanden erziehen“, sagt er. „Aber es gibt eben auch eine fränkische Alternative dazu. Der Gast hat die Wahl.“ Derzeit stammen etwa 85 bis 90 Prozent der Produkte, die im Restaurant verarbeitet werden, aus Franken. Auf dem Menü stehen an diesem Abend etwa fränkischer Schiefertrüffel, fränkischer Kaviar oder Feldblumenkohl mit Chicorée, Salatsud und Haselnüssen von Bauer Stiegler aus Gonnersdorf. „Das war ein schleichender Prozess, dass wir so regional wurden“, sagt Herrmann. „Ich habe das aber schon immer als Chance gesehen, mich von anderen abzuheben.“ Vor 20 Jahren sei die Situation noch eine völlig andere gewesen. „Da wurde man daran gemessen, ob man Hummer oder Steinbutt anbietet.“ Es habe ein gewisses Selbstbewusstsein gebraucht, sich davon zu lösen. „Wir haben natürlich nicht von heute auf morgen die Jakobsmuschel abgeschafft“, sagt Herrmann. „Wir haben sie zunächst fränkisch interpretiert, etwa mit bestimmten Kräutern. Und irgendwann haben wir gesagt: Jetzt nehmen wir statt der Jakobsmuschel einen Saibling.“

    Food-Scout Joshi Osswald im Future Lab "Anima", wo an den Geschmäckern von morgen getüftelt wird.
    Food-Scout Joshi Osswald im Future Lab "Anima", wo an den Geschmäckern von morgen getüftelt wird. Foto: Stephanie Sartor

    Dieser Fokus auf Regionalität birgt allerdings gewisse Herausforderungen. Wenn etwa die Kirschen in Franken innerhalb weniger Tage reif werden, können sie im Menü gar nicht so schnell verwendet werden. Deswegen wird vorgesorgt. Herrmann und sein Team haben das „Anima“ gegründet, das den Beinamen „Future Lab“ trägt. Und in der Tat erinnert es an ein Labor. Hier wird an den Gerichten von morgen geforscht, es wird eingekocht, fermentiert, getrocknet. Joshi Osswald, Herrmanns Food-Scout, der immer nach neuen Produkten, neuen Geschmäckern sucht, steht neben einem Rotationsverdampfer, mit dem Essenzen und Konzentrate hergestellt werden oder Wein der Alkohol entzogen wird. „Wir probieren hier aus, was alles möglich ist“, sagt er. Kirschblüten werden im Future Lab etwa mit Salz gemischt und ein Jahr stehen gelassen oder Melonen in einem Sud aus Sojasoße und Johannisbeerholzöl eingelegt. Osswald hat sogar schon Hefe fermentiert.

    Am Ende schließt sich der Kreis. In einem Reifeschrank des „Anima“ liegt ein Schinken, der mit Whisky gewaschen wurde – mit Whisky von der Ranch in Altencreußen, wo ein Pfad den Hügel hinauf führt. Zur Wiese, auf der die Rinder mit den langen Hörnern weiden.

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