Glücklich und abgekämpft machten sich die Bayern-Stars im schon halb geleerten Hexenkessel von Istanbul zu ihren Fans auf, Stolz und Erleichterung schwang bei Harry Kane und Co. nach dem Kraftakt mit. Ein am Ende eiskalter FC Bayern hat seine Rekordserien in der Champions League fortgesetzt. 100-Millionen-Einkauf Kane (73. Minute) und Jamal Musiala (79.) ließen die Münchner am Dienstagabend nach vielen Mühen gegen Galatasaray über das 3:1 (1:1) und die ausgebaute Tabellenführung in Europas Fußball-Königsklasse jubeln. Nachdem Kingsley Coman (8.) die ohrenbetäubende Anfeuerung der Fans im Rams Park früh-, aber nur kurzzeitig verstummen ließ, drehte der türkische Meister nicht nur durch den frechen Foulelfmeter von Mauro Icardi (30.) mächtig auf.
Bei der Rückkehr von Noussair Mazraoui in die Bayern-Startelf konnte Trainer Thomas Tuchel froh sein, dass sich die Gastgeber für ihr Chancenplus bei einem emotionalen Auftritt nicht mit dem 2:1 belohnten. Mehrfach zeichnete sich Sven Ulreich in seinem vorerst wohl letzten Spiel im Münchner Tor aus. Für den Samstag ist das Comeback des lange verletzten Kapitäns Manuel Neuer anvisiert. Die Münchner sind seit 37 Gruppenspielen ungeschlagen, die letzten 16 Partien gewannen sie allesamt.
"Es war ein sehr wichtiger Sieg. Es war wirklich schwierig. In der zweiten Halbzeit waren wir etwas ruhiger, besser am Ball. Dann haben wir unsere Chancen genutzt. Solche Siege geben uns Selbstvertrauen. Wir haben neun Punkte nach drei Spielen, das ist sehr wichtig", sagte Kane bei Prime Video und Trainer Tuchel ergänzte: "Es war eine komplizierte erste Halbzeit. Unsere vordere Reihe ist einfach immer extrem gefährlich, auch wenn wir schlecht spielen. Es ist superschwer in der Champions League zu gewinnen. Da ist es top, jetzt schon neun Punkte zu haben."
Beeindruckt waren die Bayern-Stars von der Kulisse. Er könne kaum mehr etwas hören, meinte Kane und Coman ergänzte: "Ich liebe diese Stimmung, du hast viel Adrenalin. Alles war Wahnsinn."
Vor einer "aggressiven Mannschaft" hatte Tuchel gewarnt - und der Münchner Coach sollte Recht behalten. Angestachelt von den 50 000 heißblütigen Fans agierte Galatasaray mit extrem hohem Pressing und viel Power, wie es die Bayern in dieser Saison so noch nicht erlebt hatten. Immer wieder schaffte Galatasaray, das bereits den englischen Rekordmeister Manchester United im Old Trafford düpiert hatte (3:2), schnelle Ballgewinne und erspielte sich für Bayern-Verhältnisse ungewöhnlich viele Torchancen.
Die Münchner Vierer-Abwehrkette befand sich durch die Angriffsbemühungen von Icardi und Co. unter Dauer-Druck und agierte alles andere als sicher. So ging es auch für den jüngst verletzt fehlenden Rechtsverteidiger Mazraoui bei seiner Rückkehr ins Bayern-Team gleich von 0 auf 100, was ihm mitunter Probleme bereitete. Der Marokkaner hatte zuletzt für Wirbel gesorgt, als er in den sozialen Netzwerken ein Video verbreitet hatte, in dem den Palästinensern im Konflikt mit Israel ein Sieg gewünscht wurde. Nach dessen Rückkehr von der Nationalmannschaft führte der FC Bayern in der vergangenen Woche "ein ausführliches und klärendes Gespräch" mit ihm, was aber die kritischen Stimmen keineswegs verstummen ließ.
Für die personell angeschlagenen Münchner - zuletzt fiel auch noch Nationalspieler Leon Goretzka (Mittelhandbruch) aus - hatte das Spiel eigentlich perfekt begonnen. Mit dem ersten Angriff gelang nach Zuspiel von Leroy Sané das Führungstor durch Coman, der allerdings auch von einem Stellungsfehler von Kazimcan Karatas profitierte.
Das Münchner Tor war im Istanbuler Hexenkessel nur kurzzeitig ein Stimmungskiller. Bereits im Gegenzug wurde Ulreich bei einem Schuss von Kerem Aktürkoglu zu einer Parade gezwungen (9.). Der 35-Jährige, der am Samstag gegen Darmstadt voraussichtlich für Neuer wieder Platz machen muss, bekam mehr Arbeit, als ihm lieb war. Zwei Minuten später ließ Ulreich eine Flanke nach vorne abprallen, Aktürkoglu nahm das Geschenk aber nicht an.
Und es ging weiter in nur eine Richtung. Nach einem Schuss von Lucas Torreira knapp über das Tor (24.) war das Glück aufgebraucht. Joshua Kimmich brachte Icardi im Strafraum zu Foul, den fälligen Elfmeter schoss der Argentinier selbst und verwandelte mit einem Panenka-Elfmeter ganz cool. Der Torjäger, der in der Liga in neun Spielen schon zehnmal getroffen hatte, drohte vor dem Spiel wegen einer Knöchelverletzung auszufallen, auf dem Rasen war davon nichts zu sehen. Beim Tor wurde im Stadion laut Sender Prime Video ein Lärmpegel von 132 Dezibel gemessen, was in den gesundheitsgefährdenden Bereich ging.
Icardi nach einem unnötigen Ballverlust von Kimmich (45.+1) und zuvor Aktürkoglu (38.) hatten weitere Top-Chancen. Zur Pause dokumentierten 16:3 Torschüsse und 57 Prozent Ballbesitz die ungewöhnlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der Türken.
Das durfte so nicht weitergehen, ging es auch nicht. Die Bayern schafften im zweiten Durchgang mehr Entlastung - und wären beinahe gleich wieder schnell in Führung gegangen. Doch Sané vergab auf Zuspiel von Coman in aussichtsreicher Position (50.).
Die Münchner gewannen mehr an Spielkontrolle und wurden immer gefährlicher. Bei einem Schuss von Sané parierte noch Schlussmann Fernando Muslera (63.), gegen Superstar Kane war er dann machtlos. Der englische Nationalmannschaftskapitän, von dem lange nichts zu sehen war, zeigte schließlich nach Vorlage von Musiala seine Torjägerqualitäten. Vom Powerfußball der Gastgeber war nun nichts mehr zu sehen, stattdessen sorgte Musiala für die Entscheidung.
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(Von Christian Kunz und Stefan Tabeling, dpa)