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Lesetipp: Wie Hubert Aiwanger zum anti-grünen CSU-Schreck geworden ist

Lesetipp

Wie Hubert Aiwanger zum anti-grünen CSU-Schreck geworden ist

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    Kaum tiefer thematisiert wurde bisher die Frage, warum Hubert Aiwanger so erfolgreich war und möglicherweise weiterhin sein wird.
    Kaum tiefer thematisiert wurde bisher die Frage, warum Hubert Aiwanger so erfolgreich war und möglicherweise weiterhin sein wird. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Es ist auch Wochen danach noch nicht richtig klar, wer denn da nun wen über den Tisch gezogen hat bei den Koalitionsverhandlungen in München – die CSU die Freien Wähler oder die das ist die Version der CSU, und ein bisserl auch ihre Hoffnung. 

    Die Version der Freien Wähler klingt selbstredend ganz anders. Ihre Emissäre, so heißt es, hätten nach der Landtagswahl mit ansehnlichen Stimmengewinnen im Rücken hart verhandelt. So knallhart, dass Söder und seine Mitstreiter das heftig umkämpfte Landwirtschaftsministerium nur durch den Verzicht auf Jagd und Staatsforsten hätten behalten können. Und der Tourismus, immerhin eine der umsatzstärksten Branchen im Freistaat mit einer Fülle politisch ertragreicher Kontakte? Geschenkt, heißt es da. „Der Hubert“ werde auch weiterhin, ohne formale Zuständigkeit, für Wirte und Hoteliers, Seilbahnbetreiber und Schneekanoniere die Stimme erheben. Als stellvertretender Ministerpräsident habe er ohnehin eine Allzuständigkeit. Entscheidend für den politischen Erfolg der Freien Wähler sei lediglich, dass er auch in Zukunft die Dinge beim Namen nenne. Wer da rein formal zuständig ist, das sei den Bürgerinnen und Bürgern letztendlich wurscht. 

    Warum war Hubert Aiwanger zuletzt so erfolgreich?

    Es ist in diesem Wahljahr viel gesagt und geschrieben worden über das zerrüttete persönliche Verhältnis zwischen Aiwanger und Söder. Die Schlüsselereignisse sind bekannt. Aiwanger hat Söder nicht verziehen, dass er während der Corona-Pandemie seine Impfskepsis öffentlich machte. Söder trägt Aiwanger die Grenzüberschreitung bei der Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding nach –Stichwort: „Demokratie zurückholen“. Im Zuge von Aiwangers Flugblatt-Affäre zerbröselte die ohnehin schon brüchige Vertrauensbasis dann vollends. Man lästert übereinander und nervt sich gegenseitig nach Kräften. Trotzdem geht es irgendwie weiter. 

    Kaum tiefer thematisiert aber wurde bisher die Frage, warum Aiwanger so erfolgreich war und möglicherweise weiterhin sein wird. In der CSU tröstet man sich damit, dass es in der Debatte um das Nazi-Flugblatt in der Schultasche des jugendlichen Hubert Aiwanger einen kurzfristigen Solidarisierungs- oder Mitleidseffekt gegeben habe, den er raffiniert für sich zu nutzen wusste, indem er die Affäre als „Schmutzkampagne“ gegen seine Person und zuletzt sogar als Angriff auf die angeblich benachteiligte Landbevölkerung umdeutete. Dieser Effekt, so hoffen die Christsozialen, werde aber nicht von Dauer sein. 

    Sie könnten sich täuschen.

    Schon ein flüchtiger Blick in seine Biografie zeigt Aiwangers Erfahrungshintergrund: Er hat sich immer wieder durchgesetzt. Kaum jemand traute ihm einst zu, dass die Freien Wähler ihn zu ihrem Chef machen würden. Er wurde es. Kaum jemand glaubte, dass er die Freien Wähler in den Landtag würde führen können. Er schaffte es nahezu im Alleingang – erst in den Landtag und nach zehn Jahren auch in die Staatsregierung. Kaum jemand hätte sich vorstellen können, dass er sich aus den Wirtsstuben im niederbayerischen Rottenburg an der Laber bis in die bundesweit ausgestrahlten Talkshows hinauf redet. Jetzt sitzt er bei Markus Lanz und meiert mal eben Bürgergeld-Empfänger und Regierungspolitiker als „Taugenichtse“ ab. Ging es statt um Politik um Sport, könnte man sagen: Aiwanger ist kein Gentleman-Boxer, er ist ein Straßenschläger – noch dazu einer mit erstaunlichen Nehmer-Qualitäten. 

    Der Chef der Freien Wähler führt ein politisches Doppelleben

    Der Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler führt ein politisches Doppelleben und macht daraus im kleinen Kreis auch keinen Hehl. Beispiel: Corona. Aiwanger hat jeden einzelnen Beschluss der Staatsregierung mitgetragen, um die Regierungsbeteiligung der Freien Wähler nicht zu gefährden. Er hat sich im Kabinett dem Diktat Söders gebeugt und für alle Einschränkungen des täglichen Lebens, selbst für die strengsten Auflagen, die Hand gehoben. Das hinderte ihn aber nicht daran, kurze Zeit später dagegen zu polemisieren, die baldige Abschaffung der Auflagen und die schnelle „Rückkehr zur Normalität“ zu fordern. Kurz gesagt: Er entscheidet „da oben“ mit und agitiert gleichzeitig gegen „die da oben“. Er ist Regierender und Oppositioneller in einer Person. 

    Bemerkenswert sind auch seine Methoden, um in komplexen Politikfeldern mit einfachen Mitteln zu bestehen. Der Dauerstreit um Wald und Wild ist ein illustres Beispiel, wie er mit widerstreitenden Interessen umgeht. 

    Wartren auf HUbert Aiwanger am Tag, als sich der Freie-Wähler-Chef in der Flugblatt-Affäre entschuldigte.
    Wartren auf HUbert Aiwanger am Tag, als sich der Freie-Wähler-Chef in der Flugblatt-Affäre entschuldigte. Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild)

    Aiwanger will, dass ihn die Waldbauern wählen. Also präsentiert er sich ihnen gegenüber als Wächter über das Eigentum und stemmt sich gegen einen dritten Nationalpark oder weitere Biosphärenreservate. Er geißelt stillgelegte Waldflächen als Brutstätten des Borkenkäfers und kanzelt Naturschützer als „Öko-Ideologen“ ab. Dass sich der Borkenkäfer auch weit abseits der beiden bayerischen Nationalparks oder in großer Entfernung von stillgelegten, also nicht wirtschaftlich genutzten Flächen durch die Fichten frisst – sei’s drum. 

    Aiwanger will aber selbstverständlich auch, dass ihn seine engsten Freunde, die Jäger, wählen. Also stimmt er ein in ihre Kritik an dem wissenschaftlich anerkannten Verbissgutachten und fordert eine Reform mit dem Ziel, auch die Waldbauern stärker in die Verantwortung zu nehmen. Nicht das hungrige und vielerorts zu zahlreiche Wild sei daran schuld, dass die Baumsprösslinge nicht hochkommen, sondern eine oft nicht sachgerechte Bewirtschaftung der Wälder. Deshalb müssten die Waldbesitzer mehr für die Bekämpfung der Schädlinge und für den Waldumbau tun. In der Praxis ist das freilich deutlich teurer, als mit der Büchse die Wildbestände zu dezimieren. Nicht einmal die Staatsforsten haben ausreichend Mittel, um in schwierigen Jahren bei der Schädlingsbekämpfung alles zu leisten, was nötig wäre. 

    Überall beteuert Aiwanger, er wolle „zusammenführen“

    Ob bei den Waldbauern oder bei den Jägern – hier wie dort beteuert Aiwanger, er wolle „zusammenführen“. Hier wie dort propagiert er den „gesunden Menschenverstand“ als Mittel zur Lösung der Probleme. Dafür erntet er viel Zustimmung. Der Haken an der Sache ist nur: Jeder hat – je nach Interessenlage und konkreter Situation vor Ort – seine ganz eigene Meinung darüber, was nach „gesundem Menschenverstand“ getan werden sollte. 

    Ein wirksames Instrument Aiwangers im politischen Diskurs also ist die Mehrdeutigkeit. Er beschreibt Probleme, prangert konkrete Missstände an, hat wahrscheinlich für Einzelfälle durchaus praktikable Vorschläge parat, aber er bleibt, wenn es um politische, also allgemeingültige Lösungen geht, gerne im Ungefähren. Mit einer Reform des Verbissgutachtens zum Beispiel, so befürchtet der Waldbesitzerverband, wäre jede Vergleichbarkeit mit der Entwicklung in der Vergangenheit dahin. Der Diskussion über die Konsequenzen aus der regelmäßigen Bestandsaufnahme der Verbissschäden wäre die Faktenbasis entzogen. 

    Sie können nicht mehr wirklich miteinander. Trotzdem überreichte Markus Söder (links) Hubert Aiwanger wieder die Ernennungsurkunde zum Wirtschaftsminister.
    Sie können nicht mehr wirklich miteinander. Trotzdem überreichte Markus Söder (links) Hubert Aiwanger wieder die Ernennungsurkunde zum Wirtschaftsminister. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Endgültig zum Kampfbegriff wird der „gesunde Menschenverstand“ bei Aiwanger, wenn er Naturschützer ins Visier nimmt. Ihre Argumente, dass es im Wald auch um Arten- und Klimaschutz, den Schutz des Grundwassers und ökologisch wie ökonomisch um generationenübergreifende Nachhaltigkeit geht, finden bei ihm kein Gehör. Er geht schlichtweg davon aus, dass bei den Anhängern der „grünen Ideologen“, wie er sie nennt, ohnehin keine Wählerstimmen zu holen sind. 

    Der häufigste Vorwurf, der dem Chef der Freien Wähler gemacht wird, ist, dass er ein hemmungsloser Populist sei, ein Politiker ohne Überzeugungen, der dem Volk nach dem Mund redet, um – koste es, was es wolle – an der Macht zu bleiben. Er sieht das selbstredend anders. Er vertritt die Auffassung, dass er die konkreten Probleme der Bevölkerung aufnimmt und dass er nach Kräften versucht, sie zu lösen. Und, ganz nebenbei: Er leidet darunter, dass er sie auch als Regierender nicht mit einem Federstrich lösen kann nach dem Motto: Wolf reißt Schaf – erschießen. Schluss. Aus. Erledigt. 

    Aiwanger hat für künftige Wahlschlachten neue Bedingungen geschaffen

    Präzise ist allerdings weder die pauschale Populismus-Kritik noch seine Selbsteinschätzung. Aiwanger spricht eben nicht für „die Bevölkerung“, sondern – wenn überhaupt – für einen Teil, den er selbst als Volk definiert. Er stilisiert sich zum Repräsentanten einer angeblich „herablassend“ behandelten Landbevölkerung. Er sieht sich, wie er einmal formulierte, auf der Seite derer, „die anpacken und an die Zukunft glauben, anstatt sich auf die Straße zu kleben, Insekten zu fressen und auf den Weltuntergang zu warten“. Aiwanger ist der Anti-Grüne schlechthin. Wer ihn kritisiert, der missachtet nach seiner Auffassung das Lebensgefühl all jener Menschen, die nicht in der Großstadt leben, keine Universität besucht haben, Auto, Eigenheim und konventionell produzierten Schweinsbraten wollen und sich nur wünschen, dass alles so bleiben möge, wie es mal war. 

    Ob es den Stadt-Land-Gegensatz, den er zu seinem Narrativ gemacht hat, überhaupt gibt, spielt für ihn keine Rolle, solange es nur genügend Wählerinnen und Wähler gibt, die daran glauben. Im Landtagswahlkampf dieses Jahres ist es ihm gelungen, diese Erzählung fest in der Gesellschaft zu etablieren. Er hat damit für künftige Wahlschlachten neue Bedingungen geschaffen und sich vom geduldeten kleinen Koalitionspartner zum veritablen CSU-Schreck gemausert. 

    Die Frage, wer wen bei den Koalitionsverhandlungen über den Tisch gezogen hat, ist da für den weiteren Fortgang des bürgerlich-konservativen Bruderkriegs gar nicht so entscheidend. Schon die Europawahl im kommenden Jahr wird neue Erkenntnisse bringen.

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