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Frau und Fleischerin: Lina Wachter will Weltmeisterin der Metzger werden

Wettbewerb

Traumjob? Knochenjob! Eine 19-Jährige will Weltmeisterin der Metzger werden

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    Lina Wachter beim Fleischzerteilen im Schlachtraum. Die 19-Jährige will Weltmeisterin der Metzger werden.
    Lina Wachter beim Fleischzerteilen im Schlachtraum. Die 19-Jährige will Weltmeisterin der Metzger werden. Foto: Erich Nyffenegger

    Das Geräusch, das dabei entsteht, wenn man den Vorderlauf eines Rinds vom Rest des Körpers trennt, nachdem die Schnitte gemacht sind, klingt genauso, wie man es sich vorstellt: wie das vielfach verstärkte Knacken steifer Finger. Und es hat mit Gewalt zu tun, mit Knochen und einer Entschlossenheit, die jetzt gerade von der jungen Frau angewandt wird, als sie sich mit einem Ruck gegen das Tier stemmt. Denn wenn man ein Vorderviertel vom Rindvieh zerlegen möchte, dann reicht das Messer als Werkzeug alleine nicht aus. 

    Lina Wachter macht bei ihrer Arbeit einen ruhigen und konzentrierten Eindruck. Ihr Haar ist zu einem Dutt gebunden, auf dem Kopf hat sie eine weiße Kappe mit Schirm. Abgesehen von etwas Wimperntusche, trägt sie kein Make-up. Später wird sie selber von sich sagen, dass sie keine dieser Püppchen ist, die ohne Schminke das Haus nicht verlassen.

    Sie trägt kniehohe Gummistiefel in Weiß und eine Kettenschürze

    Im ungeschulten Auge des Betrachters sieht es ein bisschen nach Willkür aus, was das Messer der 19-Jährigen dort im Fleisch des Rinds vollführt. Es folgt aber einem handwerklichen Plan, an dessen Ende das fertige Produkt appetitlich im Verkaufstresen liegt. Als könne man Hüftsteaks, Leber oder Rindsrouladen so betrachten, als seien es isolierte Stücke, die mit dem großen Ganzen, das sich im gekachelten Schlachtraum der Metzgerei Sontag in Kißlegg im Westallgäu abspielt, nichts zu tun haben. Lina Wachter trägt kniehohe Gummistiefel in Weiß und eine Kettenschürze. Als sie mit der Knochenkreissäge durch die Rippen des Rindes fährt, wird es kurz laut. Es kreischt.

    Wachters Chef, Philipp Sontag – ein „Mordskerle“, wie man hier in Oberschwaben sagt – reibt sich den roten Bart. Er erinnert sich, wie das mit Lina damals 2021 angefangen hat. Da war sie noch Realschülerin und hatte eigentlich nur vage Vorstellungen von ihrer Zukunft, aber keinen Plan. „Überleg’sch es Dir halt mit der Lehre“, hat Sontag zu der damals 16-Jährigen gesagt. Heute in der Rückschau meint er: „Man hat es gleich gemerkt.“ Lina hat in der Metzgerei ausgeholfen, um sich was dazu zu verdienen. Fleisch und Wurst vakuumieren, Sachen aufräumen, sowas eben. Für Sontag war klar, dass diese junge Frau was Besonderes ist. „Sie sieht die Arbeit und sie ist mit Leidenschaft dabei.“ Als Lehrmeister, Fleisch-Sommelier und Barbecue-Berater, der jedes Jahr bis zu 25 Kurse gibt und auch an Meisterschulen doziert, weiß Sontag, worauf es ankommt.

    Lina Wachter wollte eigentlich nach der Schule ins Ausland zu einer Verwandten, die in Kanada ein Altenheim führt. „Ursprünglich wollte ich Krankenschwester werden.“ Ans Fleisch habe sie überhaupt keinen Gedanken verschwendet. Bis zu ihrem Nebenjob bei Sontag. Und dem Angebot, bei ihm in die Lehre zu gehen. „Das ist schon komisch. Ich hatte keine Ahnung, dass das mein Traumjob ist.“ Heute, drei Jahre später, mit einem Gesellenbrief und einem Prüfungszeugnis der Note 1,1, hat sie Gewissheit. Dabei haben solche Zeugnisse oder Ehrungen als Prüfungsbeste nicht gerade zum Standard ihrer Bildungskarriere gehört. „Das mit der Schule, das war nicht immer einfach“, sagt Lina Wachter, die inzwischen die klobigen Gummistiefel abgelegt hat und sich im Seminarraum der Metzgerei – der sogenannten Fleischbühne – eine Flasche Spezi aufgemacht hat. Hinter ihr summen leise zwei Reifeschränke vor sich hin, in denen Teile vom Rinderrücken am Haken hängen.

    Sie spricht offen darüber, dass es Leute in der Schule gab, die sie – freundlich gesagt – nicht besonders wertgeschätzt haben. Die abfälligen Bermerkungen klingen ihr heute noch in den Ohren. „Ich war eher der robuste Typ“, sagt sie. Wodurch sie sich stereotype Kommentare habe anhören müssen. Was am Ende dazu geführt hat, dass sie vielleicht nicht unbedingt mit übermäßigem Selbstbewusstsein in Sontags Metzgerei aufgeschlagen sei. Doch das gehört der Vergangenheit an. Wenn die Lina Wachter der Gegenwart von ihrem Weg durch die Fleischkammer und Wurstküche der Metzgerei erzählt, bekommt ihre Stimme einen stolzen Klang. Und wenn sie daran denkt, wie das beim ersten großen Wettbewerb in Stuttgart gewesen ist, fangen ihre Wangen sogar zu leuchten an.

    Für jeden Schnitt gibt es das passende Werkzeug: Lina Wachter hat ihre Messer griffbereit geordnet.
    Für jeden Schnitt gibt es das passende Werkzeug: Lina Wachter hat ihre Messer griffbereit geordnet. Foto: Erich Nyffenegger

    Jeder Metzger hat sein Lieblingsmesser

    Denn das gehört unbedingt zur Geschichte von Lina Wachter: Der Einstieg in eine Welt, wo Fleisch zum Gegenstand von sportlichen Wettbewerben wird. Bei den sogenannten „Butcher Wars“ 2024 in Stuttgart hat sie – damals noch Auszubildende – aus dem Stand Platz sechs belegt. Und damit eine Menge erfahrene Metzgermeister weit hinter sich gelassen. Bei diesem Wettbewerb ist dann auch das „Butcher Wolfpack“ auf sie aufmerksam geworden. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung von Metzgern, die im Jahr 2022 in Kalifornien Weltmeister geworden sind. Auch Philipp Sontag hat früher mal dazu gehört – und somit die Brücke für seine Auszubildende geschlagen. „Dass Lina jetzt zur WM nach Paris fährt, ist großartig!“

    Lina Wachter stellt jetzt einen Ständer mit neun Messern auf den Tisch. „Das gehört zu einem Metzger dazu, dass er seine Lieblingsmesser hat.“ Eines aus diesem Sortiment hat einen Griff in Rosa. Manche Klingen sind flexibel, manche dünn, andere breit. Wenn die Mädchen aus ihrer Schule zum Shoppen gegangen seien, habe sie daheim auf den elterlichen Hof mit Milchviehwirtschaft angepackt. „Das Arbeiten war ich gewohnt.“ Ihr Vater habe eine Schwäche für Galloway-Rinder, eine zottelige Rasse, die das ganze Jahr über auf der Weide lebt. Der ganze Stolz des Vaters. 

    Sie selbst bezeichnet sich – ungeachtet ihres Berufs – als tierlieb. Zu Hause hat sie ihren eigenen Streichelzoo, bestehend aus drei Waliser Schwarznasenschafen. Auch ihre Schwester habe viel für Tiere übrig. Aber im Gegensatz zu ihr, die Metzgerin geworden ist, sei diese Vegetarierin geworden. Auf die Frage, ob Lina Wachter ihre eigenen Schafe schlachten könnte, antwortet sie mit einem technischen Ja. Sie wisse, wie das geht, habe natürlich auch die Eignungsprüfung, um mit einem Bolzenschussgerät zu hantieren oder mit der Elektrozange, um die Tiere zu betäuben. Linas Leben ist im Moment mit ihrem Beruf und ihren Tieren reichlich ausgefüllt. Viel Raum für andere Hobbys bleibt da nicht. Sie engagiert sich in der Jungfeuerwehr, eine Beziehung führt sie im Moment keine.

    In Augsburg an der Meisterschule, wo auch das „Butcher Wolfpack“ trainiert, übt Lina Wachter für die Weltmeisterschaft. Im Augenblick besteht das Teilnehmerfeld aus sieben Kollegen verschiedener Herkunft: unter anderem Frankreich, Tschechien, Australien und Neuseeland. Die Altersklasse heißt „Apprentice“, was in etwa Lehrling bedeutet. Bei dem internationalen Wettbewerb hat Lina dann zweieinhalb Stunden Zeit, um nicht weniger als ein halbes Lamm, ein halbes Schwein, zwei Hähnchen und ein Beef of Rump – also den oberen Bereich des Rückens vom Rind – fachgerecht zu zerlegen und zu veredeln. Veredeln bedeutet in diesem Zusammenhang, es praktisch küchenfertig aufzubereiten. Etwa als Rollbraten oder Geschnetzeltes. Was sie aus dem zerlegten Fleisch macht, bleibt Linas Kreativität überlassen. Und all das muss die junge Frau dann auch noch ansprechend auf einem großen Tisch arrangieren und dekorieren, um die Jury zu überzeugen. Druck spüre sie keinen, sie könne ja nur gewinnen weil dazulernen, daher sei sie auch nicht besonders aufgeregt, wenn sie an die Weltmeisterschaft denkt.

    Das deutsche Team "Butcher Wolfpack" 2022 bei der Arbeit auf der Metzger-WM in Sacramento.
    Das deutsche Team "Butcher Wolfpack" 2022 bei der Arbeit auf der Metzger-WM in Sacramento. Foto: Lars Bubnick (Archiv)

    Was letztendlich in Paris für eine Platzierung für die junge Metzgerin herausspringt, ist zwar nicht unbedeutend, aber auch nicht alles entscheidend. Denn dass ihr beruflicher Weg weiter mit Fleisch zu tun haben wird, steht für Lina Wachter jetzt schon fest. Und ihre Aussichten sind bestens: Denn immer mehr kleine Metzgereien schließen. Im Jahrbuch des Deutschen Fleischerverbands steht nachzulesen, wie sich die Ausbildungszahlen entwickeln. Demnach gab es vor 20 Jahren deutschlandweit noch weit über 7500 Auszubildende im Metzgerhandwerk, 2023 waren es noch 2309. In den vergangenen zehn Jahren ging die Zahl der Fleischereibetriebe – ohne Filialen – um mehr als 3000 auf 10.171 Unternehmen zurück.

    Die Gemengelage der Branche rollt für eine wie Lina Wachter also den roten Teppich aus. Und die 19-Jährige ist bereit, darüber zu gehen. „Meinen Meister will ich schon machen“, sagt sie. Allerdings erst, wenn sie noch mehr Berufserfahrung gesammelt habe. Der Titel sei das eine, aber wirklich Meisterin zu sein, noch etwas anderes. Ob sie ihr Ziel unter den Fittichen von Philipp Sontag erreichen will, oder doch einen anderen Betrieb kennenlernen wird, weiß sie im Moment noch nicht. Ihr Kopf ist augenblicklich ganz auf den 30. und 31. März in Paris ausgerichtet.

    Auf Instagram hat der Kanal der Metzgerei Sontag inzwischen fast 35.000 Follower. Ein Verdienst, dass auch auf Lina zurück gehe, sagt ihr Chef. Für ihn aber steht es in keinem Verhältnis, wenn die Leute vor dem Fernseher andächtig zuguckten, wie ein TV-Koch auch nur einen profanen Lauch schneide, während die Metzger Höchstleistungen brächten, die kaum wahrgenommen würden. Und sich währenddessen an der Spar-Mentalität der Deutschen, die vor allem bei Lebensmitteln knauserten, nicht wirklich etwas verändert habe. „Aber kleine Metzgereien, die können halt keine Preise wie im Discounter bieten“, sagt Philipp Sontag und zuckt mit seinen mächtigen Schultern.

    Lina Wachter ist sich bewusst, dass in ihrem Beruf für gute Leute also auch besonders gute Chancen liegen. „Selbständigkeit, das wäre schon was.“ Vielleicht eine Lohnschlachterei mit Zerlegung. Mit Tieren, die glücklich aufgewachsen seien, stressfrei getötet, ohne Leid. Aber das ist Zukunftsmusik. Jetzt liegt ihr Fokus auf der WM und dem Training. In Paris, wo Ende März die Knochen knacken.

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