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Foto: Tom Jemski, dpa
Foto: Tom Jemski, dpa

Der Patient, dem weltweit erstmals ein Schweineherz als Ersatzorgan eingesetzt wurde, macht seinen Ärzten zufolge weiter gute Fortschritte.

Forschung
03.02.2022

Warten auf ein Spenderorgan: Sind Schweineherzen die Zukunft?

Von Stephanie Sartor

Tausende Patienten warten auf ein Spenderorgan - manchmal kommt jede Hilfe zu spät. Jetzt wurde in den USA erstmals ein Schweineherz transplantiert. Ist das auch bald in Europa möglich?

Mit dem Aufzug sind es nur wenige Augenblicke bis in den neunten Stock. Doch an jenem Juniabend, an dem plötzlich alles anders wird, fühlt sich die Fahrt für Diana Dietrich wie eine Ewigkeit an. Die vergangenen 943 Tage rauschen wie ein Film an ihr vorbei, die Wiederholung eines Dramas im Zeitraffer. Dann gleiten die Türen auseinander, Diana Dietrich stürmt hinaus, rennt den Flur des Uniklinikums Großhadern entlang und betritt schließlich das Zimmer ihres Sohnes Daniel. Im Raum stehen Ärzte und Pflegekräfte, einige haben Tränen in den Augen. Zu diesem Zeitpunkt weiß Diana Dietrich noch nicht, warum sie unbedingt noch einmal ins Krankenhaus kommen sollte. Doch dann fällt der Satz, den sie nie vergessen wird: „Wir haben ein Herz für Daniel.“

Sieben Monate ist dieser Moment her. „Ich bin auf die Knie gesunken und habe geweint. Vor Freude“, sagt Diana Dietrich am Telefon. Während sie an diesem nasskalten Januartag von jenem denkwürdigen Sommerabend erzählt, ist Daniel gerade bei der Tagesmutter, spielt und lacht, so wie Kinder das eben tun. Lange kannte Daniel so eine Normalität nicht. Als er gerade einmal zehn Monate alt war, wurde bei ihm eine dilatative Kardiomyopathie diagnostiziert. Eine extrem seltene Krankheit, bei der eine Herzkammer massiv vergrößert ist. Schnell war klar: Er braucht ein neues Herz. Sonst stirbt er.

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Foto: D. Dietrich
Foto: D. Dietrich

Diana Dietrich und ihr Sohn Daniel, der ein neues Herz bekam.

9100 Menschen stehen auf der Warteliste für ein Spenderorgan

Viele Menschen haben ein ähnliches Schicksal wie der vierjährige Bub aus Schwabmünchen im Landkreis Augsburg. Um zu überleben, sind sie auf ein Spenderorgan angewiesen. Das Drama dabei: Die Wartezeiten sind enorm lang, weil es viel zu wenige Organe gibt. Und so warten viele Patienten jahrelang. Oft warten sie vergebens.

Derzeit stehen nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa 9100 Menschen auf der Liste für ein Spenderorgan. 2020 gab es bundesweit aber nur 913 Organspenderinnen und Organspender – das sind 10,9 pro eine Million Einwohner. Zum Vergleich: In Spanien sind es 38.

Seit Jahren zerbricht man sich die Köpfe darüber, was man gegen dieses Dilemma tun kann. Mehr Aufklärung in der Gesellschaft, fordern die einen. Die anderen setzen indes auf neue, mitunter ziemlich kühne Methoden, bei denen gar keine Organspender mehr nötig sind – jedenfalls keine menschlichen. Vor wenigen Wochen wurde in den USA erstmals ein Schweineherz in einen menschlichen Brustkorb verpflanzt. Ist das die Zukunft?

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Beim Thema Organspende ist Deutschland in Europa fast Schlusslicht

Prof. Dr. Matthias Anthuber, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg, weiß um die Sorgen und Nöte, die Patientinnen und Patienten haben, die lange auf ein Spenderorgan warten müssen. An seiner Klinik werden Nieren transplantiert, 20 bis 40 Stück sind es pro Jahr. „Wegen des erheblichen Mangels an Spenderorganen haben sich die Zahlen in den vergangenen 15 Jahren eher zurückentwickelt“, sagt er. „Deutschland ist in Bezug auf die Organspende fast das Schlusslicht in Europa.“

Die mittlere Wartezeit für eine Niere liege bei acht Jahren. „Und in dieser Zeit werden die Menschen an der Dialyse kränker“, sagt Anthuber. „Das lange Warten mindert die Lebensqualität erheblich.“ Derzeit stünden 130 Menschen auf der Warteliste seiner Klinik. „Ich glaube, den Grund dafür, warum es mit der Organspende in Deutschland so schlecht läuft, kann man auf zwei Wörter herunterbrechen: Fehlende Information“, sagt Anthuber. Man müsse die Menschen besser aufklären, ihnen immer und immer wieder versichern, dass es absolut nicht stimme, dass sie im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht mehr mit allen verfügbaren Mitteln behandelt würden, weil man an deren Organe kommen wolle. „Dieses Gerücht hält sich hartnäckig.“

In Deutschland ist eine aktive Zustimmung zur Organspende nötig

In Deutschland ist nach wie vor eine aktive Zustimmung zur Organspende nötig. 2020 gab es im Deutschen Bundestag zwar einen Aufschlag, das zu ändern – er scheiterte aber krachend. Die Idee war: Statt einer Zustimmung sollte eine aktive Ablehnung, die sogenannte Widerspruchslösung, eingerichtet werden. In der Hoffnung, dass so mehr Organe gespendet werden. Doch die ethischen Zweifel an der Lösung überwogen.

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Die meisten Menschen, die zu Anthuber in die Klinik kommen, leiden an einer Autoimmunerkrankung, bei der die Nieren im Laufe der Zeit ihre Funktionen einstellen. Unter anderem in den USA wird derzeit erforscht, wie man die Wartezeit auf eine Transplantation für diese Patienten durch innovative Ansätze verkürzen könnte. In Alabama wurden jüngst zum ersten Mal Schweinenieren in den Körper eines Menschen eingesetzt. Bei dem Eingriff ging es allerdings nicht darum, das Leben des Patienten zu retten, sondern um eine grundsätzliche Erprobung des Verfahrens – der Mann war zum Zeitpunkt der Transplantation bereits hirntot. Tatsächlich begannen die Nieren, Urin zu produzieren, bis das Experiment nach 77 Stunden beendet wurde.

Anthuber sieht die breite klinische Einführung der Xenotransplantation, also die Übertragung von tierischen Organen auf den Menschen, noch skeptisch. „Ich bin seit Mitte der 80er in der Transplantationsmedizin tätig und schon damals hieß es, dass die Xenotransplantation spätestens zur Jahrtausendwende möglich sein werde. Aber bisher befinden wir uns noch immer in einem experimentellen Stadium.“ Es sei immunologisch eben ein unglaublich großer Sprung, Organe von einer Spezies auf eine andere zu übertragen.

Anfang Januar wurde erstmals ein Schweineherz in den Körper eines Menschen eingesetzt

Forscher aus Baltimore im US-Bundesstaat Maryland glauben, diesen Sprung geschafft zu haben. Sie waren es, die Anfang Januar erstmals ein Schweineherz in den Körper eines schwerstkranken Menschen verpflanzten – der Fall sorgte für weltweites Aufsehen. Mittlerweile sind einige Wochen vergangen und dem Patienten gehe es besser als erwartet, teilten die Wissenschaftler mit. Auch dem Herzen gehe es gut, es gebe keine Zeichen einer Abstoßung.

Für Menschen, die sehnsüchtig auf ein neues Organ warten, sind die Nachrichten aus Übersee ein Hoffnungsschimmer. Auch Diana Dietrich hat die Transplantation in den USA verfolgt. Das Thema lässt sie nicht los, auch, wenn ihr Sohn bereits ein Herz bekommen hat. Auf Instagram hat sie mittlerweile 166.000 Follower, in den Videos, die sie postet, geht es oft um Organspendeausweise oder um Kinder, die weiterhin auf ein lebensrettendes Organ warten. Auch Daniel ist in den Beiträgen oft zu sehen, auf der Schaukel, beim Spazierengehen, beim Spielen im Wohnzimmer. „Wir sind so glücklich, dass wir das erleben dürfen“, sagt seine Mutter. „Er kann jetzt schon die Treppe hochlaufen oder sich selbst aufsetzen. Im Krankenhaus war das wegen der vielen Schläuche, mit denen Daniel an das Kunstherz angeschlossen war, ja nicht möglich.“ Sie wolle weiter für eine Widerspruchslösung kämpfen, sagt sie. Gleichzeitig hofft sie, dass die Medizin noch mehr Fortschritte macht. Dass vielleicht verpflanzte Schweineherzen irgendwann Alltag sind.

Die Gene der Schweine müssen verändert werden

Wie ist so etwas eigentlich möglich? Wie kann das Herz eines Schweines in der Brust eines Menschen schlagen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Eckhard Wolf seit Jahren. „Wir arbeiten an genetischen Modifikationen“, sagt der Leiter des Lehrstuhls für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie am Genzentrum der LMU München im Videochat. Wolf, graues Haar, weißes Hemd, dunkler Pullover, hält für seine Forschung rund 380 Schweine auf einem Versuchsgut bei Oberschleißheim. „Schweine haben auf der Oberfläche ihrer Zellen Zuckerreste, gegen die Menschen von Natur aus Antikörper haben“, erklärt er. „Die Folge ist, dass das Organ abgestoßen wird.“ Diese Abwehrreaktion ist so dramatisch, dass Medikamente allein nichts nutzen. Die Gene der Schweine müssen deshalb so verändert werden, dass diese Zuckerstrukturen nicht mehr hergestellt werden. Auch die Wachstumshormonrezeptoren müssen ausgeschaltet werden, denn für einen Menschen wäre ein normales Schweineherz viel zu groß. Derzeit forschen Wolf und sein Team mit einer besonderen Rasse aus Neuseeland, die von Natur aus kleiner ist. „Da kann man dann auf diese Genveränderung verzichten.“

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Foto: E. Wolf
Foto: E. Wolf

Prof. Eckhard Wolf forscht mit genetisch veränderten Schweinen.

So aufsehenerregend der Fall aus den USA sei, müsse man dennoch festhalten, dass es vorerst nur ein Heilversuch gewesen sei, meint Wolf. „Wenn es dort systematische klinische Studien geben soll, müssen die Forscher wieder zurück zum Tierversuch.“ Aus seiner Sicht sei die Transplantation ein großes Wagnis gewesen. „Es gab zuvor nur einen Pavian, der mit einem Schweineherz dieser genetischen Konstellation langfristig überlebt hat.“

Ist eine Xenotransplantation ethisch vertretbar?

Die Herzen der auf dem Versuchsgut bei Oberschleißheim gezüchteten genetisch veränderten Schweine werden in einem LMU-Institut in Großhadern in Paviane eingesetzt. Die Versuche sind aufwendig, Wolf glaubt aber, dass man in Europa in zwei bis drei Jahren so weit sein werde, dass man mit klinischen Studien anfangen könne. Andere Ideen, etwa das Heranzüchten von menschlichen Organen in Schweinen, hätten sich indes als wenig praktikabel herausgestellt. „Die evolutionäre Distanz zwischen Mensch und Schwein ist eben doch sehr groß“, sagt Wolf.

Ist das alles aus ethischen und moralischen Gesichtspunkten eigentlich vertretbar? Darf man im Erbgut von Tieren herumfuhrwerken, sie zu einer Art Ersatzteillager für den Menschen machen? „Ich bin der Meinung, dass der Mensch Tiere nutzen darf. Aber nicht zu jedem Zweck. Es muss eine Abwägung geben. Aus meiner Sicht ist die xenogene Herztransplantation gerechtfertigt, weil sie vielen Menschen das Leben retten kann“, sagt Wolf. Die Schweine würden ganz normal gehalten, bei der Entnahme der Herzen bekämen sie eine tiefe Narkose. „Das ist harmloser als beim normalen Schlachtprozess.“

Versuchstiere sind einem Medikamenten-Cocktail ausgesetzt

Andere Wissenschaftler sehen das kritisch und verweisen auf das Leid der Versuchstiere, vor allem der Paviane. Um ein Abstoßen des Organs zu verhindern, würden die Primaten einem wahren Medikamenten–Cocktail ausgesetzt, der für eine Anwendung beim Menschen kaum realisierbar wäre, heißt es etwa vom Verein „Ärzte gegen Tierversuche“. Die meisten Versuchstiere würden trotz der Medikamente, die zudem schwere Nebenwirkungen hätten, bereits nach Stunden oder Tagen qualvoll an Organversagen sterben. Und selbst wenn die enormen Hürden bei der Abstoßung überwunden werden sollten, heißt es in einem Statement des Vereins, bleibe unbekannt, wie ein Schweineorgan auf den menschlichen Lebenswandel reagiert. Die gegenüber dem Schwein sehr viel höheren Cholesterinwerte des Menschen könnten etwa zur Verstopfung der Blutgefäße führen.

Bis Schweineherzen tatsächlich im großen Stil in menschliche Körper transplantiert werden, wird es aller Voraussicht nach noch dauern. Doch die Verpflanzung, die in den USA durchgeführt wurde, ist zumindest eine Art Vorschau auf das, was in Zukunft möglich sein könnte. Diana Dietrich, die Mutter des kleinen Daniel, will derweil weiter daran arbeiten, dass das Thema Organspende in der Gesellschaft enttabuisiert wird. „Es muss in der Öffentlichkeit viel mehr darüber gesprochen werden“, sagt sie. Das Feedback, das sie erhalte, sei zu 99 Prozent positiv, mit Zweiflern und Kritikern versucht sie ins Gespräch zu kommen.

Daniel wird gleich von der Tagesmutter abgeholt. Im September soll er in den Kindergarten gehen, in eine möglichst kleine Gruppe. Von den anderen Kindern, sagt Diana Dietrich, könne er sich dann Dinge abschauen, die er noch nicht kann. Etwa das Sprechen. „Sein Körper war drei Jahre lang darauf ausgerichtet, zu überleben. Alles andere, wie etwa die Sprache, wurde heruntergefahren.“ Doch bereits in den ersten sieben Monaten nach der Herz-Transplantation habe er in vielen Bereichen Fortschritte gemacht. Seit jenem Sommerabend also, an dem Diana Dietrich mit klopfendem Herzen in einen Fahrstuhl stieg. Nicht ahnend, dass sich nun alles verändern sollte.

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