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Flugblatt-Affäre: "Wird nicht jedem gefallen": Söders Erklärung zu Aiwanger im Wortlaut

Flugblatt-Affäre

"Wird nicht jedem gefallen": Söders Erklärung zu Aiwanger im Wortlaut

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    Markus Söder (CSU) , Ministerpräsident von Bayern, gibt eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz.
    Markus Söder (CSU) , Ministerpräsident von Bayern, gibt eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Nach etwas mehr als einer Woche seit Bekanntwerden der Antisemitismus-Vorwürfe gegen Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Affäre aus seiner Sicht für beendet – und gibt Einblicke in den Fragenkatalog, den Aiwanger zu beantworten hatte:

    "Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich habe es mir dabei nicht leicht gemacht. Glauben Sie das mir, und ich möchte Sie teilhaben lassen an meinem Abwägungsprozess, der am Ende zu der Entscheidung geführt hat. Es ging und geht um schwere Vorwürfe. Antisemitismus hat keinen Platz in Bayern. Bayern ist ein Bollwerk gegen Rassismus und Antisemitismus, das garantiere ich persönlich als bayerischer Ministerpräsident.

    Flugblatt "eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazijargon"

    Da ist das Flugblatt besonders eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazijargon. Die Vorwürfe, die in dem Zusammenhang mit diesem Flugblatt im Raum stehen, schaden Bayern und müssen deswegen ernsthaft bewertet und beantwortet werden.

    Ich habe in den letzten Tagen und vor allem den letzten Stunden genau abgewogen. Mir war dabei wichtig, ein faires und geordnetes Verfahren zu finden und nicht nur nach Medienberichten zu entscheiden, angemessen aufgrund der Vorwürfe, aber auch fair gegenüber der Person Hubert Aiwanger und ganz bewusst keine Vorverurteilung vorzunehmen. Dazu haben wir an Hubert Aiwanger 25 Fragen gestellt. Seine Antworten, seine Äußerungen der Öffentlichkeit und ein langes persönliches Gespräch gestern Abend sind jetzt die Basis für die Abwägung und Entscheidung. 

    Vorab muss man sagen, leider war sein Krisenmanagement der letzten Woche nicht sehr glücklich. Er hätte angesichts des Vorwurfs des Antisemitismus früher, entschlossener, umfassender aufklären müssen. Erst alles abzustreiten, teilweise Dinge zuzugestehen, manche Widersprüche – das hat die Glaubwürdigkeit in dieser Woche nicht erhöht.

    Aiwangers Entschuldigung kam aus Söders Sicht spät, aber "nicht zu spät"

    Spät – aus meiner Sicht nicht zu spät – gab es aber eine klare Entschuldigung und eine klare Distanzierung. Dies war überfällig, aber es war richtig und notwendig. Weil die eigene Aufklärung am Anfang jedoch zu schleppend war, haben wir 25 Fragen gestellt zu dem Flugblatt, aber auch zu anderen Vorwürfen aus dieser Zeit. Alle Fragen wurden beantwortet und zeitgerecht übermittelt. 

    Die Fragen und Antworten werden aus Gründen der Transparenz im Anschluss dieses Statements veröffentlicht, sowohl dann den anwesenden Journalisten als auch im Netz zur Verfügung gestellt. Dies ist ausdrücklich mit dem Einverständnis von Hubert Aiwanger, sogar auf seinen Wunsch hin passiert oder wird passieren zum Inhalt der Fragen, die dann auch jeder nochmal selbst bewerten kann. 

    Aber ich sage meine Bewertung, die Antworten waren nicht alle befriedigend. Es war viel Bekanntes, wenig Neues, und einiges ist auch nicht erinnerlich, oder vieles ist nicht erinnerlich von ihm. Zu seinen Gunsten will und muss man auslegen, will ich und muss man auslegen, dass er sich erneut von dem Flugblatt distanziert hat, dass er das bereut, Gefühle, mögliche Gefühle verletzt zu haben. Und in dem sehr langen persönlichen Gespräch, das kann ich ihnen darstellen, hat er mir mehrfach versichert, das Flugblatt sei nicht von ihm. Man merkt übrigens sehr, und ich habe es bemerkt, wie sehr ihn die ganze Sache belastet und doch persönlich anfasst. 

    Söder: "Entlassung aus dem Amt aus meiner Sicht nicht verhältnismäßig"

    Und neu in der Beantwortung der Fragen ist, dass er den Vorfall insgesamt seiner Schulzeit als ein einschneidendes Erlebnis betrachtet und Zitat, dass dies bei ihm wichtige gedankliche Prozesse angestoßen hat. 

    Nach meiner Bewertung aller vorliegenden Fakten stellt es für mich am Ende so dar: Erstens, er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden. Er hat sich dafür zweitens entschuldigt, davon distanziert und Reue gezeigt. Drittens, ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht. Dagegen steht eine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war.

    Viertens, seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens, das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so, wie er mit 16 war. Daher in der Gesamtabwägung, das kein Beweis vorliegt, dass die Sache 35 Jahre her ist und dass seitdem nichts Vergleichbares vorgefallen ist, wäre eine Entlassung aus dem Amt aus meiner Sicht nicht verhältnismäßig.

    Nicht entscheidend, "as man mit 16 sagt", sondern wie man damit heute umgehe

    Aber einfach Schwamm drüber oder ein Weiter-so wäre auch der falsche Weg. Natürlich sind viele Gefühle verletzt, zu viel Schaden entstanden und zu viel Glaubwürdigkeit verloren. Daher mein ernst und gut gemeinter Rat, auch wenn all die Sachen lange her sind, ist es wichtig, die Reue und die Demut zu zeigen. Ich finde, es ist nicht entscheidend, allein, was man mit 16 sagt, sondern wie man als 52-Jährigen damit heute umgeht. Und wer ernsthaft bereut, der kann auch leichter auf Verzeihung hoffen. 

    Wir haben daher auch gestern Abend nicht nur persönlich miteinander geredet, sondern hatten auch eine gemeinsame Koalitionsausschuss-Sitzung und haben intensiv die Situation und die Zukunft besprochen. Wir waren alle der gemeinsamen Auffassung, dass es wichtig ist, dass Hubert Aiwanger daran arbeitet, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, sodass er auch Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen sollte, um vieles zu erklären und gemeinsam zu besprechen. 

    Er sieht es im Übrigen auch persönlich genauso. Wir haben das auch mit Frau Knobloch und Herrn Schuster heute Morgen noch besprochen. Ich weiß, meine Entscheidung wird nicht allen gefallen. Bei einigen bleiben Restzweifel, aber ich betone noch einmal, das Ergebnis ist die Abwägung eines fairen und geordneten Verfahrens. Ich empfinde es als Augenmaß statt Übermaß oder Vorverteilung.

    Für Söder steht die Fortsetzung der "bürgerlichen Koalition" fest

    Damit steht auch fest, wir werden in Bayern die bürgerliche Koalition fortsetzen können. Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben, und alle Angebote der Opposition, die jetzt so gemacht werden, laufen ins Leere, und wir konzentrieren uns wieder auf das Wesentliche.

    Es geht nicht um eine Person in Bayern, sondern es geht um andere große Fragen und Sorgen. Die Mehrzahl der Menschen macht sich Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. 

    Söder spricht von "unschöner Woche": Flugblatt-Affäre "hat Bayern geschadet"

    Zum Schluss: Das war eine unschöne Woche. Es hat Bayern geschadet, glauben sie mir. Das fiel mir auch persönlich alles nicht leicht. Ich wollte aber neutral und fair und doch hat nachhaltig mit der Situation umgehen. 

    Die Koalition wurde durch die Berichterstattung um die Freien Wähler, um Hubert Aiwanger, natürlich belastet. Ich habe als Ministerpräsident die Aufgabe, Schaden vom Land zu nehmen, Schaden auch zu begrenzen, vor allem eine stabile Regierung für dieses starke und wundervolle Land zu gewährleisten. Das habe ich nach bestem Wissen und Gewissen getan.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedauere diese Angelegenheit. Damit ist die Sache aber aus meiner Sicht abgeschlossen. Meine Entscheidung steht. Ich werde den Abgeordneten der Koalition empfehlen, für den kommenden Donnerstag am Landtag entsprechend mit dieser Entscheidung zu verfahren. Herzlichen Dank, und ihnen allen noch einen schönen Sonntag. Vielen Dank für Ihr Interesse." (pom)

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