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Aiwanger reagiert in Donauwörth auf Vorwürfe: "Ich soll zerstört werden"

Flugblatt-Affäre

Hubert Aiwanger in Donauwörth: "Ich soll zerstört werden"

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    Hubert Aiwanger besuchte am Mittwoch die Donauries-Ausstellung in Donauwörth.
    Hubert Aiwanger besuchte am Mittwoch die Donauries-Ausstellung in Donauwörth. Foto: Marcus Merk

    Wenige Minuten, bevor Hubert Aiwanger am Mittwochnachmittag am Donauwörther Stauferpark ankommt, ziehen finstere Wolken auf, der Wind wird frischer. Beinahe wirkt es, als würde das Wetter die passende Kulisse für den Auftritt des bayerischen Wirtschaftsministers bei der Donauries-Ausstellung bereiten, schließlich hat sich einiges zusammengebraut. Als Aiwanger aus seinem Wagen steigt, dauert es nur Sekunden, bis er von Parteifreunden und Pressevertretern umringt ist. In den vergangenen Tagen hat man wenig von Aiwanger persönlich gehört, jetzt aber äußert er sich. Zu der Lawine, die ihn am Samstag erwischt hat. "Ich bin weder Antisemit noch Extremist. Ich bin Demokrat, ein Menschenfreund", sagt er – fügt aber an, dass aus Jugendzeiten manches "so oder so" interpretiert werden könne. Was er spüre, sei ein großer Rückhalt bei den Menschen: "Sie wissen, dass gegen mich eine Schmutzkampagne gefahren wird. Dass ich politisch und persönlich zerstört werden soll."

    Ob Aiwanger den Termin in Donauwörth tatsächlich wahrnehmen würde, war eine Frage, die sich Anfang der Woche zwangsläufig stellte. Eine Absage gab es zwar nicht, der Aufruhr um ihn war jedoch so gewaltig, dass man sich den Freie-Wähler-Chef nur schwer Hände schüttelnd in der Menge – eigentlich seine Paradedisziplin – vorstellen konnte. Am Wochenende war die Flugblatt-Affäre ins Rollen gekommen. Es geht um ein antisemitisches Pamphlet, das im Schuljahr 1987/88 in Aiwangers Schultasche entdeckt worden sein solle. Noch am Samstagabend hatte er schriftlich zurückgewiesen, es als 17-Jähriger verfasst zu haben. Gleichzeitig räumte er ein, dass tatsächlich bei ihm "ein oder wenige Exemplare" gefunden wurden. Kurz darauf gestand sein Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben. Sollte Aiwanger gehofft haben, mit dem Geständnis seines Bruders wäre die Sache erledigt, hat er sich geirrt.

    Flugblatt-Affäre: Aiwanger muss 25 Fragen beantworten

    Die Erklärungen von Bayerns Vize-Regierungschef reichten nicht aus, um das Thema aufzuklären, befand etwa Karl Freller (CSU), Landtags-Vizepräsident und Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die für die KZ-Gedenkstätten Flossenbürg und Dachau verantwortlich ist. "Dieses Pamphlet ist so unsäglich und widerwärtig, dass man nicht mehr von einem dummen Jungenstreich sprechen kann", sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Es seien viele Fragen offen.

    Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war schnell der Auffassung, dass es noch Fragen zu klären gibt – und bestellte Aiwanger zu einem Sonder-Koalitionsausschuss am Dienstag ein. Das Ergebnis: Aiwanger muss nun einen Katalog von 25 Fragen schriftlich beantworten, denn die Sondersitzung allein habe nicht ausgereicht, um den Sachverhalt abschließend zu klären, sagte Söder. Die Jusos Bayern kritisierten daraufhin, dass der Fragenkatalog nicht öffentlich sei und damit die Bevölkerung außen vor bleibe. Auch sei unklar, was mit den Antworten passiere.

    Söder über Causa Aiwanger: "Da darf kein Verdacht übrig bleiben"

    Und was passiert nun mit Aiwanger? Eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers wäre zum jetzigen Zeitpunkt "ein Übermaß", stellte Söder am Dienstag klar – machte aber deutlich: "Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich die persönliche Glaubwürdigkeit des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger." Am Mittwoch legt Söder nach: "Alle Fragen müssen zweifelsfrei geklärt werden. Da darf kein Verdacht übrig bleiben", sagt er am Rande eines Termins im oberbayerischen Beilngries. Die neuen Vorwürfe, von denen gleich noch die Rede sein wird, seien Teil des Fragenkatalogs.

    Es dürfe jetzt "nichts dazukommen", hatte Söder noch am Dienstagmittag über seinen Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister gesagt. Es klang wie eine Drohung, eine rote Linie. Dann äußerte sich im ARD-Magazin "Report München" am Abend ein ehemaliger Mitschüler Aiwangers, nicht unter dem Schutz der Anonymität, sondern mit vollem Namen vor einer TV-Kamera. Zuvor hatte bereits die Zeitung Die Welt das Pamphlet in der KZ-Gedenkstätte Dachau ausfindig gemacht – archiviert als Teil einer Schülerarbeit aus dem Schuljahr 1988/89. In ihr heißt es unter anderem, das Pamphlet sei in Schulklos zirkuliert und "von der Schulleitung rechtzeitig kassiert" worden.

    Mitschüler über Aiwanger: Hitler-Ansprachen nachgemacht

    In "Report München" also sagte der frühere Mitschüler, 7. bis 9. Klasse, über Hubert Aiwanger: Dieser habe, wenn er ins voll besetzte Klassenzimmer gekommen sei, "ab und zu" den Hitlergruß gezeigt. Er habe auch "sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht". Zudem seien von ihm "judenfeindliche Witze über Auschwitz und so weiter", so der einstige Mitschüler, "definitiv gefallen, hundert Prozent". Am Mittwoch zitiert der BR einen weiteren früheren Mitschüler, nun anonym, der im gleichen Jahrgang gewesen sei: Aiwanger habe während einer Schulfahrt in der 10. Klasse, bei der 1987 eine KZ-Gedenkstätte besucht worden sei, einen abstoßenden Judenwitz erzählt. Der Mann habe seine Schilderung durch eine eidesstattliche Versicherung bekräftigt, so der BR

    Die Aussagen der früheren Mitschüler kommentiert der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Fabian Mehring, gegenüber unserer Redaktion so: Es sei absurd, Aiwanger als Antisemiten darzustellen. Wie Aiwanger spricht auch Mehring am Mittwoch von einer "Schmutzkampagne". Bei seinem Auftritt in Donauwörth schließlich erklärt Aiwanger, dass er den Hitlergruß gezeigt haben soll, sei ihm "nicht erinnerlich". 

    Hubert Aiwanger hat sich wieder in den sozialen Medien gemeldet

    Dass Söder den Druck auf seinen Vize weiter merklich erhöht hat, ist gerade einmal ein paar Stunden her, als er die Donauries-Ausstellung besucht. Auf die Frage, wie das Verhältnis zu Söder derzeit sei, antwortet Aiwanger: "Die Situation ist ernst, wir müssen uns gemeinsam mit dem Thema auseinandersetzen." Ob in seinen Schulakten noch Belastendes zu finden sein könnte, darauf antwortet Aiwanger in Donauwörth: "Lassen wir uns überraschen, was mir da jemand unter die Nase reiben will." Viel mehr will der Minister zu dem Thema nicht sagen, sondern das machen, wofür er eigentlich gekommen ist: Hände mit Feuerwehrleuten schütteln, an den Ständen Käse und Honigsemmeln probieren, ein bisschen über Bayerns Wirtschaft und den Mittelstand sprechen. Als wär's ein Wahlkampfauftritt in ganz normalen Zeiten.

    Wenige Stunden vorher hatte Aiwanger sich übrigens nach mehreren Tagen Funkstille auch wieder auf X, ehemals Twitter, zu Wort gemeldet. "Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los", schreibt er auf dem Portal. Der Freie-Wähler-Chef scheint die Hoffnung, aus der ganzen Sache unbeschadet herauszukommen, nicht begraben zu haben.

    Dabei kommen immer mehr Details ans Licht. Nach neuesten Recherchen der Süddeutschen Zeitung soll sich Aiwanger schon vor vielen Jahren Sorgen darüber gemacht haben, dass das Thema publik werden könnte. So soll der Minister 2008, nach seinem Einzug in den Landtag, eine Parteikollegin zu einem früheren Lehrer geschickt haben. Die Parteifreundin, schreibt die SZ, habe von dem Lehrer wissen wollen, ob Aiwanger von ihm "Gefahr" drohe.

    Auf Anfrage sagt Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) an diesem einmal mehr spektakulären politischen Tag: "Die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit dem Flugblatt erhoben werden, sind massiv und äußerst gravierend." Voreilige Solidaritätskundgebungen wie reflexartige Rücktrittsforderungen seien die falsche Reaktion. Der richtige Weg sei "konsequente Aufklärung".

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