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Flugblatt-Affäre: Aiwanger hat jegliche Glaubwürdigkeit verspielt

Kommentar

Hubert Aiwanger hat jegliche Glaubwürdigkeit verspielt

Andrea Kümpfbeck
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    Hubert Aiwanger am Donnerstag, dem Tag der Entschuldiguing, in einem Bierzelt in Aschau.
    Hubert Aiwanger am Donnerstag, dem Tag der Entschuldiguing, in einem Bierzelt in Aschau. Foto: Uwe Lein, dpa

    Politiker stürzen meist nicht über ein Fehlverhalten, sondern über ihren Umgang mit der Verfehlung. Man denke beispielsweise an den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Vorteilsnahme ermittelte und der sich immer mehr in Widersprüche verwickelte – bis der Druck schließlich zu groß wurde und er zurücktrat. 

    Auch Hubert Aiwanger hat sich in der vergangenen Woche um Kopf und Kragen geredet, bis er nach sechs Tagen endlich bereit war für eine windelweiche Entschuldigung. Einer Entschuldigung bei NS-Opfern für ein Flugblatt, von dem er abstreitet, es erstellt zu haben, und für ein Verhalten, an das er sich nicht erinnern kann. Glaubwürdig ist das nicht. 

    Flugblatt-Affäre: Es geht um die Glaubwürdigkeit eines Staatsministers

    Denn auch wenn seine Anhänger das widerliche antisemitische Flugblatt, das vor 35 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden ist, als lässliche Jugendsünde abtun: Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob diese vermeintliche Jugendsünde von einem x-beliebigen Bürger begangen worden ist. Oder von einem stellvertretenden Ministerpräsidenten, einem der obersten Repräsentanten des Freistaats. Bei einem Spitzenpolitiker werden zu Recht andere, höhere Maßstäbe angelegt in Sachen Anstand, Vertrauen, Demokratieverständnis und Gradlinigkeit. 

    Längst geht es in der Diskussion um die jugendlichen Verfehlungen des Freie-Wähler-Chefs nicht mehr nur um ein Pamphlet, das den Holocaust verhöhnt, oder die rechte Gesinnung eines 17-jährigen Gymnasiasten. Es geht um die Glaubwürdigkeit eines Staatsministers. Diese Glaubwürdigkeit hat Aiwanger verspielt. Einerseits durch den späten Zeitpunkt der Entschuldigung. Vor allem aber, weil er zur Aufklärung der Vorwürfe bisher nichts beigetragen hat.

    Aiwanger ist in der Vergangenheit immer wieder dadurch aufgefallen, dass er sich – in der Sprache der rechten Populisten – auf die Seite der „kleinen Leute“ geschlagen hat. Er versteht sich als ihre Stimme und kritisiert die „Großkopferten“ im politischen Berlin lautstark dafür, dass sie täuschen, tarnen, tricksen und taktieren. Jetzt ist er selber einer von denen, die es mit der Wahrheit nicht ganz genau nehmen. 

    Aiwangers bockige Verteidigungsstrategie ist abenteuerlich

    Aiwangers bockige Verteidigungsstrategie ist abenteuerlich. Erst leugnet er, überhaupt etwas mit dem Flugblatt zu tun zu haben. Dann nimmt sein Bruder die Schuld auf sich. Hubert Aiwanger schwurbelt vor Kameras, dass er – seit er erwachsen ist – kein Antisemit sei. Er räumt immer nur scheibchenweise so viel ein, wie er muss. Er widerspricht sich, zieht sich auf Erinnerungslücken zurück. 

    Es wäre ein Leichtes und das Richtige gewesen für Hubert Aiwanger, am vergangenen Freitag die Vorwürfe der Süddeutschen Zeitung einzugestehen und mit einer ehrlichen Entschuldigung zu reagieren. Doch statt Demut zu zeigen und sich zu distanzieren, geht der Regierungsvize zum Gegenangriff über und keilt in alle Richtungen. Er stilisiert sich als Opfer einer unterstellten Hexenjagd, wittert eine Verschwörung, deutet Tatsachen um und tut die Vorwürfe als Kampagne gegen ihn vor der Landtagswahl ab. Unerhört ist Aiwangers Aussage im Interview mit der Welt, für die Kampagne werde „die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht“. Denn: Ursache und Anlass für die Debatte ist das unerträgliche Flugblatt, es sind nicht die Fragen nach der Aufklärung – so schwierig sie für ihn auch sein mögen.

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