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Flugblatt-Äffäre: Söder im Fokus: Wie die Causa Aiwanger die CSU belastet

Flugblatt-Äffäre

Söder im Fokus: Wie die Causa Aiwanger die CSU belastet

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    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt nach dem Sonder-Koalitionsausschuss zur abschließenden Pressekonferenz.
    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt nach dem Sonder-Koalitionsausschuss zur abschließenden Pressekonferenz. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Sagt er was? Sagt er nix? CSU-Chef Markus Söder hat, wie viele andere Spitzenpolitiker auch, immer mal wieder eine diebische Freude daran, neugierige Journalisten zappeln zu lassen. Und manchmal lebt er das auch ganz offen und ungehemmt aus. Ein bisserl Spaß muss sein, auch in diesen ernsten Zeiten.

    Montagabend, Bartlmädult Landshut, Festhalle Patrick Schmidt: Mehrere Journalisten aus München sind angereist, weil es ja sein könnte, dass er etwas sagt zum tief sitzenden Ärger der CSU über die Freien Wähler und ihren Chef sowie zu der Frage, wie es denn jetzt weitergehen soll mit der selbst ernannten, scheinbar alternativlosen „Bayern-Koalition“. Doch Söder hat an diesem verregneten Abend in den Gute-Laune-Bierzelt-Modus geschaltet. „Wir machen jetzt hier ein schönes Festzelt“, sagt er auf dem Weg in die Halle zur wartenden Presse und fügt mit leisem Spott hinzu: „Ich freue mich, dass Sie da sind.“ 

    Aiwanger zum Mond schießen? Nein, schränkt Söder ein

    Oben auf der Bühne macht er in diesem Stil weiter. „Es sind sehr viele Journalisten da, ich weiß gar nicht, was die heute hier wollen“, ruft er der CSU-Anhängerschaft zu und lacht. Und etwas später, als seine Wahlkampfrede sich schon ihrem Ende zuneigt, zieht er noch einen alten Witz aus der Tasche, den er im Zusammenhang mit der bayerischen Forschungsförderung für Luft- und Raumfahrt öfter mal zum Besten gibt. Er selbst, so sagt Söder, wolle nicht zum Mond fliegen, aber es gebe da in München schon den einen oder anderen, den er zum Mond schießen möchte. Darf das als Anspielung auf Hubert Aiwanger verstanden werden, der, als er noch in der Opposition war, seinerseits Söder zum Mond schießen wollte? Nein. Söder schränkt gleich wieder ein. Der Koalitionspartner sei damit nicht gemeint.

    So entspannt und lustig das auch alles rüberkommt – für Söder ist die Lage ernst, vielleicht so ernst wie noch nie, seit er als Ministerpräsident den Freistaat Bayern regiert. Zwei Tage zuvor, bei einem Bierzeltauftritt auf dem Augsburger Plärrer, hatte er aus seiner Verärgerung über Aiwanger keinen Hehl gemacht. „Da sind schlimme Vorwürfe im Raum, dieses Flugblatt ist menschenverachtend und geradezu eklig. Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden, und zwar vollständig“, erklärte Söder den wartenden Journalisten und Reporterinnen. An diesem Wochenende herrschte blankes Entsetzen bei der CSU und ihrem Chef. Und es wurde mit jedem Tag schlimmer. Eine Serie von Enthüllungen, Dementis, Teilgeständnissen und Widersprüchlichkeiten wirbelte das politische München durcheinander. 

    Markus Söder beäugt Hubert Aiwanger schon länger misstrauisch.
    Markus Söder beäugt Hubert Aiwanger schon länger misstrauisch. Foto: Stefan Puchner, dpa (Archivbild)

    Es beginnt am Freitagabend. Die Enthüllung der Süddeutschen Zeitung erreicht die Smartphones bayerischer Top-Politiker und Tausender potenzieller Wählerinnen und Wähler als schrilles Piepsen einer Eilmeldung um Punkt 18 Uhr: „Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben.“ Auf dem maschinengeschriebenen Blatt, das die SZ gleich mit veröffentlicht, wird dem „größten Vaterlandsverräter“ wie vielfach zitiert ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ versprochen. Ein weiterer Preis: „Ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab.“ Im Bericht der SZ bereits enthalten: Aiwangers Dementi. Er habe „so etwas nicht produziert“ und werde „gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung juristische Schritte inklusive Schadenersatzforderungen“ ergreifen. Die SZ legt nach, präsentiert ein Sachverständigen-Gutachten, das etwa anhand eines unvollständig gedruckten Buchstabens „W“ beweisen soll, dass das Flugblatt aus dem Schuljahr 1987/88 auf derselben Schreibmaschine getippt worden war wie bald darauf Hubert Aiwangers Facharbeit. 

    Dessen Äußerung vom Samstag ist mittlerweile fast genauso häufig zitiert wie der Inhalt des naziverherrlichenden Pamphlets: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend. Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären. Weder damals noch heute war und ist es meine Art, andere Menschen zu verpfeifen.“ Dass sich „ein oder wenige Exemplare“ der Schrift in seiner Schultasche befanden, gesteht Aiwanger allerdings ein. Nur was er damit wollte, sagt er nicht. 

    Der angebliche Verfasser erklärt sich kurz darauf tatsächlich: Aiwangers Bruder Helmut, heute 53. Er habe das Flugblatt geschrieben, sagt er der Mediengruppe Bayern. Weshalb? Er sei „total wütend“ gewesen, weil er in der Schule durchgefallen war. Er schäme sich für diese „Jugendsünde“. Und dann kommt am Montag noch eine neue Wendung. Aiwangers Bruder schiebt in seiner Heimatzeitung eine brüchige Erinnerung dazu hinterher, warum die Flugblätter im Schulranzen des ein Jahr jüngeren Hubert Aiwanger zu finden waren. Er glaube, „dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren“, sieht eine „Schmutzkampagne“ gegen seinen Bruder, in der „Stasi-Methoden“ angewandt würden. Und der jüngere Bruder, der bayerische Vize-Ministerpräsident? Er weicht bei einem Auftritt am Montag im unterfränkischen Miltenberg allen Fragen nach dem Pamphlet in seiner Tasche aus. Auch Söder hält still, lässt aber seinen Staatskanzleichef Florian Herrmann erklären, dass Aiwanger und die Freien Wähler für Dienstagvormittag zu einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses „einbestellt“ sind. Was er da jetzt machen will, wird Söder in Landshut am Montagabend noch gefragt. Erneut antwortet er mit einem Scherz: „Das überlege ich mir heute Nacht.“ 

    Ein Spaß aber ist das für ihn nicht. Tatsächlich befindet sich die CSU-Spitze seit Tagen im Krisenmodus. Das berichten übereinstimmend mehrere Mitglieder des Parteivorstands. An der Parteibasis herrscht helle Aufregung, in der Führung wird hinter verschlossenen Türen heftig debattiert. Die einen fordern ein Ende der Koalition mit den Freien Wählern, die anderen warnen vor den Folgen einer solchen Entscheidung. Mit wem sollte die CSU dann nach der Wahl eine Regierung bilden? Mit den Grünen oder der SPD? Undenkbar in der momentanen Situation! Mit der FDP? Die schafft es doch laut Umfragen gar nicht mehr in den Landtag! Doch wieder mit den Freien Wählern? Wäre auch irgendwie eine Blamage. Also einlenken, Aiwangers lückenhafte Darstellung akzeptieren und darauf hoffen, dass der Sturm der Entrüstung sich wieder legt? Das wäre für viele in der Partei ein Verrat an den eigenen Prinzipien. 

    "Bayern = CSU": Ist diese Gleichung bald Geschichte?

    Aiwangers Flugblatt-Affäre, so sagt ein CSU-Minister, könnte sich zu einer existenziellen Krise für die Christsozialen auswachsen. Die „Bayern-Koalition“ mit den Freien Wählern sollte der bürgerlich-konservative Gegenentwurf zum Berliner „Ampel-Chaos“ werden. Das ginge nur mit den FW als Partner. Nur so könne die CSU ihren Anspruch aufrechterhalten, in

    Sich wenige Wochen vor der Landtagswahl am 8. Oktober von den Freien zu trennen, wird im Parteivorstand allerdings auch wegen der unklaren öffentlichen Meinung als unkalkulierbares Risiko gesehen. Längst nicht alle Wählerinnen und Wähler, so geht aus ungezählten Wortmeldungen in sozialen Medien hervor, sehen Aiwangers Reputation beschädigt. Viele nehmen ihn in Schutz, weil sie die Beweise gegen ihn als zu dürftig ansehen oder weil sie es ungehörig finden, ihn wegen einer Jahrzehnte zurückliegenden „Jugendsünde“ an den Pranger zu stellen. Manche sehen in den Enthüllungen gar eine Verschwörung. Das sei der Stoff, aus dem politische Märtyrer gemacht werden, heißt es in der CSU. Daran will die große Regierungspartei nicht schuld sein. Wo also ist der Ausweg aus diesem Dilemma? 

    Aiwanger trägt in der Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstagvormittag offenbar nicht dazu bei, das Problem zu entschärfen. Seine Antworten seien vage und unklar geblieben, seine Erinnerungslücken seien nicht glaubhaft, kommentiert ein CSU-Mann Aiwangers Aussagen in der Sitzung. Die Freien Wähler nehmen ihren Frontmann weiterhin in Schutz. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer, der schwäbische Abgeordnete Fabian Mehring, sagt: „Es wäre nicht vermittelbar gewesen, Aiwanger auf Basis einer Verdachtsberichterstattung zu entlassen, die sechs Wochen vor der Wahl auftaucht und sich auf anonyme Quellen zu Geschehnissen stützt, die sich vor 35 Jahren in einer niederbayerischen Schultoilette ereignet haben sollen.“ 

    Alle Spekulationen, wie es denn nun weitergeht, enden am Dienstagmittag, als Ministerpräsident Söder vor die Presse tritt – allein, ohne Aiwanger und mit der kategorischen Ansage seines Sprechers, dass heute keine Fragen zugelassen werden. Er stellt fest, dass „das Hetz-Flugblatt“ nicht nur ein „Dummer-Jungen-Streich“ sei. „Da steckt eine andere Energie dahinter“, sagt Söder und beschreibt die Wirkung der Affäre mit drastischen Worten: „Allein der Verdacht beschädigt das Ansehen Bayerns und natürlich auch die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger.“ 

    Das klingt fast schon wie ein abschließendes Urteil, soll es aber offenkundig noch nicht sein. Söder weist darauf hin, dass es zu der Geschichte mit dem Flugblatt bisher in Medienberichten nur anonyme Quellen gibt. Das reiche nicht aus, um die Angelegenheit „fair, objektiv und seriös zu bewerten“. Restzweifel allerdings dürften auch nicht bleiben und es dürfe „keine Hängepartie“ werden. Leider habe Aiwanger auch in der Krisensitzung „viele Fragen offengelassen“, seine Antworten reichten „definitiv nicht aus“ für eine abschließende Bewertung, sagt Söder – und spielt den Ball zurück zu Aiwanger. Man habe vereinbart, Aiwanger schriftlich 25 Fragen zu stellen, er habe sich bereit erklärt, die Fragen rasch zu beantworten. 

    Der Ausgang der Affäre Aiwanger ist weiter offen

    Eine sofortige Entlassung Aiwangers aus dem Kabinett kommt laut Söder nicht infrage. „Solange kein neuer Beweis vorliegt oder bisher Gesagtes komplett widerlegt ist, wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers ein Übermaß“, sagt der Ministerpräsident. Auch sei die Sache „über dreißig Jahre her“ und Aiwanger habe sich „jedenfalls heute sehr klar davon distanziert“. 

    Gleichzeitig zieht Söder aber auch eine klare Grenze: Ein Freispruch oder Freibrief für Aiwanger sei dies noch nicht: „Da darf jetzt auch nix mehr dazukommen“, warnt er und stellt klar, dass ein Fortbestand der Koalition nicht an Personen hängt. Worauf das hinauslaufen könnte, geht relativ unverblümt auch aus einer Erklärung von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer hervor: „Klar ist, die Verantwortung liegt jetzt bei den Freien Wählern. Fest steht auch, unsere Bayern-Koalition mit den Freien Wählern ist erfolgreich – und nicht von einer Person abhängig.“ Die Botschaft der CSU an die Freien Wähler dürfte damit klar sein. Der Ausgang der Affäre ist noch offen. 

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