Am Karfreitag sollen Christinnen und Christen kein Fleisch essen – aber warum eigentlich? Und würde sich das ändern, wenn das Fleisch der Zukunft aus dem Labor kommt und kein Tier mehr dafür geschlachtet werden muss? Diese Frage könnte schon bald relevant werden, wie ein Blick ins Labor und auf den aktuellen Stand der Forschung zeigt.
An der Technischen Universität München (TUM) befassen sich Bioingenieur Marius Henkel und sein Team mit Cellular Agriculture – also mit biotechnologischen Konzepten für alternative landwirtschaftliche Produkte. Henkel hört die Formulierung "Fleisch aus dem Labor" nicht gerne, denn darüber sei man bereits hinaus. Das Bild, das man für künftige Kundinnen und Kunden zeichnen wolle, gehe eher "in Richtung Brauerei" – Fleisch aus dem Edelstahlkessel also.
Vier Schritte zum kultivierten Laborfleisch
Zunächst muss Zellmaterial gewonnen werden - und zwar vom lebendigen Tier. Über eine Nadel wird eine kleine Gewebeprobe entnommen (Biopsie).
Dann werden die Muskelstammzellen vermehrt. Das geschieht in Bioreaktoren. Dieser Prozess nennt sich Zellproliferation.
Im nächsten Schritt werden die vermehrten Muskelstammzellen in Muskelfasern differenziert. Laut Bioingenieur Marius Henkel eine technische Herausforderung, denn noch sei nicht klar, wie das in großen Mengen möglich ist.
Als letztes folgt die Reifung des Gewebes, ähnlich wie beim geschlachteten Tier. Denn das Fleisch brauche Zeit, um zart und genießbar zu werden, so Henkel.
Momentan entstünden aber lediglich Prototypen des Fleisches, das irgendwann einmal im Supermarkt landen soll. Wann es so weit ist, kann Henkel noch nicht sagen. "Noch sind sehr viele Fragen offen", so der Professor für Cellular Agriculture. Ihm zufolge rechnen manche Wissenschaftler bereits 2030 mit einer "ersten Kommerzialisierungswelle". Ein wichtiger Punkt neben den technischen Möglichkeiten und der Akzeptanz in der Gesellschaft: eine EU-Zulassung. Noch gebe es keine laufenden Verfahren.
Fleisch aus dem Labor: Wie weit ist die Forschung? Und ist das eigentlich "vegan"?
Ob man das kultivierte In-vitro-Fleisch als "vegan" bezeichnen möchte, sei wohl eine Glaubensfrage, so Henkel. Schließlich werde es aus echtem tierischen Gewebe hergestellt, sei also "naturidentisch". Für Vegetarier und Veganerinnen könne es aber interessant sein, denn das notwendige Zellmaterial wird über einen Nadelstich vom lebenden Tier entnommen und im Labor vermehrt. Kein Lebewesen muss dafür sterben. Und auch viele Nachteile, die mit der Massentierhaltung für die Umwelt einhergehen, entfallen.
Ein Manko: Für die Züchtung von künstlichem Fleisch ist aktuell ein Serum nötig, dass aus dem Blut von Kälberföten gewonnen wird. "Das wird man eindeutig abschaffen", sagt Marius Henkel dazu. Ersetzt werden könnte die Nährlösung, indem die Bestandteile zum Beispiel aus Hefe- oder Algenextrakten hergestellt und gemischt werden. Aus Bakterien könnten die zusätzlich nötigen Wachstumsfaktoren gewonnen und zugesetzt werden. Alternativ könnten die Zellen genetisch verändert werden, sodass das Serum nicht mehr gebraucht würde. "Das würde sich aber nicht gut verkaufen", vermutet der Bioingenieur. Die Gesellschaft müsse sich erst einmal daran gewöhnen, dass Fleisch künstlich hergestellt werde – wäre es dann noch genmanipuliert, wäre das zu viel.
Weiterhin offen ist auch die Frage: Kann kultiviertes Fleisch nachhaltig sein? In Henkels Labor läuft derzeit eine Doktorarbeit dazu, die ganz am Anfang steht. Noch lasse sich diese Frage nur schwer beantworten, weil bislang nicht in großem Maßstab produziert wird.
Dennoch mischen viele deutsche Firmen, die in der Fleischbranche tätig sind, bereits mit und zeigen Interesse. Henkel ist sich sicher: "Der Wandel wird kommen." Möglicherweise auch erst in Form von Hybridprodukten, also zum Beispiel Soja-Pattys mit Rinderfett. Für den Fortschritt relevant seien zudem öffentlich geförderte Programme, so Henkel. Hier könnte sich noch in diesem Jahr etwas entwickeln, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bereits angedeutet hat.
Zurück zum Fleischverzicht am Karfreitag. Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger erklärt, dass es dabei um eine "spirituelle Dimension" gehe – also darum, sich auf sich selbst und das eigene Leben zu fokussieren. Durch physischen Verzicht bereite man sich im Geiste auf ein großes Fest vor, nämlich Ostern. Man kann also sagen: Es geht um den Verzicht auf Luxus. "Es wäre auch nicht Sinn der Sache, auf Fleisch zu verzichten und dafür ein edles, teures Fischgericht zu essen", verdeutlicht der Weihbischof. Das wäre eine Ausflucht, um den eigentlichen Sinn des Verzichtes zu umgehen.
Weihbischof Anton Losingers Position ist: Egal, ob im Bioreaktor gezüchtetes Fleisch künftig besonders nachhaltig ist oder ohne Tierleid auskommt – Christinnen und Christen, die sich ihrem Glauben entsprechend verhalten wollen, sollten am Karfreitag darauf verzichten. Hinter Fleisch aus dem Labor stecken laut Losinger andere Beweggründe. Ökologische nämlich, keine religiösen. Und so bleibe Fleisch ein Luxusgut, ob nun im Stall oder im Bioreaktor herangewachsen.