Kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge war Beatrice R. aus Augsburg mitten im Umzugsstress. Durch die Erweiterung der Familie war die alte Wohnung zu klein geworden, der Umzug in das neue Heim fiel allerdings ungelegen. Eine ihrer Zwillingstöchter musste auf die Neugeborenen-Intensivstation und um ihren vierjährigen Sohn musste sie sich auch kümmern. Dazu kamen ihre eigenen gesundheitlichen Beschwerden wie Milchstau, Schüttelfrost und Fieber. „Ich hatte eigentlich kein Wochenbett. Da kam ich körperlich schon an meine Grenzen“, erzählt sie. Von mehreren Seiten, zum Beispiel von ihrer Gynäkologin und ihrer Hebamme, habe sie die ausdrückliche Empfehlung bekommen, sich Unterstützung zu holen. Über ihren Kinderarzt kam sie schließlich auf das Familienpflegewerk.
Familienpflege: Letzte Fachschule in Bayern hat geschlossen
Das Familienpflegewerk ist der größte Anbieter für Familienpflege in Bayern. Die insgesamt 200 Mitarbeiterinnen unterstützen Elternteile, die die Kinderbetreuung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr übernehmen können. In diesem Jahr wurden bereits 1661 Familien in Bayern von dem Pflegewerk betreut.
Die Ausbildung zur Familienpflegerin dauert zwei Jahre und folgt auf eine abgeschlossene Ausbildung im hauswirtschaftlichen oder sozialen Bereich. Die Auszubildenden lernen unter anderem Fähigkeiten im Bereich der Pflege, Pädagogik und Psychologie. Doch die Zahl dieser Fachkräfte schwindet: Stefan Galgon, der Geschäftsführer des Familienpflegewerks, erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass in Bayern die Fachschulen „nach und nach“ schließen mussten. Immer weniger hätten sich für die Ausbildung zur Familienpflegerin oder zum Familienpfleger entschieden.
Gründe für dieses geringe Interesse könnten eine gewisse Unbekanntheit und eine fehlende Bezahlung während der Ausbildung sein, vermutet Galgon. Er kritisiert außerdem auch den veralteten Lehrplan. Als die letzte Schule schließlich zumachen musste, sei das Curriculum noch auf dem Stand vom Jahr 2003 gewesen. Im Endeffekt sei es also ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren.
Gesetzlich versicherte Elternteile haben aber einen Anspruch auf eine „Haushaltshilfe“, die sie bis zu 26 Wochen im Jahr unterstützt, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen ausfallen. Laut Einsatzleiterin Alexandra Kepurra, die beim Familienpflegewerk für den Bereich Augsburg zuständig ist, sei oft nicht klar, dass es sich dabei um eine ausgebildete Fachkraft handele. „Wir müssen da viel Aufklärungsarbeit leisten“, sagt sie.
Andere Fachkräfte übernehmen Familienpflege
Wegen des Mangels an Familienpflegerinnen wird die Arbeit inzwischen auch von Personen mit unterschiedlichen Ausbildungen übernommen. Wie Stefan Galgon erklärt, sind von den 200 Mitarbeiterinnen des Familienpflegewerks nur 53 ausgebildete Familienpflegerinnen. Diese arbeiten dafür meistens Vollzeit. 112 bringen eine andere pädagogische oder pflegerische Ausbildung mit, die mindestens drei Jahre gedauert hat.
So auch Sabine Schmid. Sie ist ausgebildete Hauswirtschafterin und Kinderkrankenschwester. Über 25 Jahre hat sie im Kinderkrankenhaus Josefinum in Augsburg gearbeitet. „Obwohl ich aus der Szene komme, war mir die Familienpflege zuvor kein Begriff“, sagt sie. Nur aus Zufall sei sie darauf gestoßen. Da sie den Schichtdienst als Krankenschwester nicht mehr stemmen konnte, sei der neue Job für sie eine willkommene Alternative gewesen. Als sie beim Familienpflegewerk anfing, hat sie auch noch eine Weiterbildung zum Haushaltscoach absolviert.
Vier Wochen hat Sabine Schmid Beatrice R. im Alltag unterstützt. Sie kam an drei Tagen in der Woche für drei bis vier Stunden und kümmerte sich um den Haushalt, passte auf die Kinder auf, ging mit auf Arzttermine und gab der Mutter Tipps. Doch der Weg dahin war nicht so einfach.
Die junge Mutter stand beim Familienpflegewerk auf der Warteliste, doch bis die Krankenkasse die Unterstützung genehmigt habe, waren ihre Zwillinge bereits drei Monate alt, berichtet Beatrice R.. Man brauche nämlich eine medizinische Diagnose, sagt sie. Eigentlich wollte sie die Betreuungszeit um weitere vier Wochen verlängern, doch die Krankenkasse habe dies abgelehnt. Daraufhin habe sie Widerspruch eingelegt, trotzdem habe sich nichts getan.
Solche Fälle gebe es nach Einschätzung von Kepurra inzwischen immer öfter. Gerade für eine Betreuung am Nachmittags seien die Wartelisten oft lang. Und bis die Mütter erstmal eine Genehmigung bekommen, dauere es immer länger – nicht zuletzt durch die zunehmende Bürokratisierung.
Familienpflegewerk will Ausbildungsberuf aufrecht erhalten
Gerade für schwierigere Fälle brauche es trotzdem noch speziell geschulte Familienpflegerinnen, sagt Alexandra Kepurra. Wenn die Mutter zum Beispiel Krebs hat oder psychisch erkrankt ist und stationär behandelt wird, könne es auch mal sein, dass die Familienpflegerin für längere Zeit mit den Kindern allein ist und die Mutter sozusagen ersetzen muss.
Das Familienpflegewerk will sich deswegen darum kümmern, dass die Ausbildung zur Familienpflegerin erhalten bleibt. „Wir sind da auf jeden Fall dran“, sagt Stefan Galgon. Dafür habe die Organisation bereits mit Schulen für Dorfhelferinnen Kontakt aufgenommen und hofft hier auf eine Zusammenarbeit.
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