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Familie: Angebote fehlen: Wer kümmert sich nach Unterrichtsende um die Kinder?

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Angebote fehlen: Wer kümmert sich nach Unterrichtsende um die Kinder?

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    Mit Schulstart müssen Eltern oft auch die Betreuung der Kinder neu organisieren. Ein Problem für sie und die Gesellschaft.
    Mit Schulstart müssen Eltern oft auch die Betreuung der Kinder neu organisieren. Ein Problem für sie und die Gesellschaft. Foto: Annette Riedl, dpa (Symbolbild)

    Seit etwa einem halben Jahr ist der Sohn von Vera Machowski ein Schulkind. Mit der Einschulung hat sich nicht nur die Welt des Sechsjährigen komplett verändert, auch seine Mama musste ihren Alltag neu organisieren. Das Ergebnis: Die Selbstständige hat kaum noch Zeit für ihre Arbeit und auch alle anderen Aufgaben muss sie in den Tag quetschen. "Das brennt schon aus", sagt sie. Ein Schicksal, das viele Eltern von Schulkindern kennen. Denn während Kita-Kinder bis nachmittags betreut sind, endet die Schule spätestens um 13 Uhr. Und dann wird es kompliziert. 

    Machowski ist 32 Jahre alt, wohnt in einem Ortsteil von Dinkelscherben und hat zwei Kinder. Als die beiden noch in die Kita gingen, konnte sie sich die Zeit zwischen 8 Uhr und 15 Uhr frei einteilen. Mal ihren Beruf ausüben, mal Hausarbeiten übernehmen, mal ihren Mann zum Arzt begleiten. Doch inzwischen kommt ihr Sohn jeden Tag um 11.30 Uhr nach Hause, obwohl die Familie es anders geplant hatte.

    Nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts sind momentan rund die Hälfte aller bayerischen Grundschulkinder nach dem Unterricht in einer Betreuung. Das Institut geht allerdings davon aus, dass der Bedarf bald bei etwa 80 Prozent liegen wird. Und schon heute wünschen sich zehn Prozent der Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen, dass sie länger bleiben könnten. 

    Hort und Mittagsbetreuung: Die Auswahl an Betreuungsformen ist groß – aber nicht alles ist gleich gut

    Anders als in anderen Bundesländern geht in Bayern die Mehrheit der Kinder in eine Mittagsbetreuung, nicht in einen Hort. Horte sind eigenständige Bildungseinrichtungen. Sie müssen Fachpersonal beschäftigen und Kinder fördern und bilden. Für Mittagsbetreuungen gelten weniger strenge Vorschriften. Sie können aus Elterninitiativen entstehen oder von der Kommune gegründet werden. Sie haben oft kürzere Öffnungszeiten und müssen keine Hausaufgabenbetreuung anbieten. Fachleute argumentieren deshalb, dass Kinder dort nicht immer ausreichend gefördert werden. Dafür sind Mittagsbetreuungen häufig günstiger als Horte. 

    Auch in Dinkelscherben können Grundschüler nach Unterrichtsende in der Schule bleiben. Sie essen dort zu Mittag, werden mit Bastel-, Spiel- oder Sportangeboten bis 14 Uhr beschäftigt. Oder die Kinder bleiben bis 16 Uhr. Dann werden sie auch bei den Hausaufgaben betreut. Zu Beginn des Schuljahres nutzte Machowskis Sohn die Mittagsbetreuung bis 14 Uhr. "Er hätte seine Hausaufgaben dort freiwillig machen können. Aber welches Kind macht das, wenn um es herum alle spielen?", fragt seine Mutter. Und so kam er um 14 Uhr nach Hause und dort ging die Arbeit weiter. "Mein Sohn war nach der Schule immer richtig müde. Er wollte nur raus und spielen", sagt Machowski. Das ging nicht. Seine Mutter stand hinter ihm wie ein "Drill Sergeant". An manchen Tagen war er erst um 18 Uhr mit allen Aufgaben fertig. Ein ständiger Kampf, der an beider Nerven zerrte. Also kommt der Sechsjährige nun um 11.30 Uhr heim. Er ist seither entspannter, seine Mutter nicht. "Mir bleibt jetzt quasi gar keine Zeit mehr", sagt sie. 

    Wido Geis-Thöne: Schule muss zum Lernort werden

    Die Machowskis sind kein Einzelfall. Wido Geis-Thöne forscht am Institut der Wirtschaft (IW) in Köln zu diesem Thema. Seine Meinung: "In Deutschland herrscht das Grundverständnis vor: Die Schule bietet Unterricht an, mehr nicht. Dass sich Kinder kreativ, sportlich und musikalisch entwickeln und der Lernstoff nachgearbeitet wird, ist die Verantwortung der Eltern." Aus seiner Sicht ist das nicht zeitgemäß. "Die Schule muss zum Lernort werden, die das komplette Wissen vermittelt. Das ist ein Prozess, der begonnen hat, aber Jahrzehnte dauern wird", sagt er.

    Betrachtet man das Ganze aus gesellschaftlicher Perspektive, ergibt sich aber noch ein anderes Problem: Betreuungsangebote sollen es Eltern erleichtern, Beruf und Familienleben zu vereinbaren. Das wird wichtiger, denn der Staat möchte, dass mehr Mütter arbeiten. Haben die aber einmal ihre Arbeitszeit reduziert, steigen sie mit geringer Wahrscheinlichkeit wieder voll in den Arbeitsmarkt ein. Das zeigen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Auch Wido Geis-Thöne sagt: "Wenn Frauen nicht relativ schnell nach der Geburt ihrer Kinder wieder anfangen, zu erwerbsarbeiten, sind sie für den Arbeitsmarkt verloren." 

    Warum? Seine Argumentation geht so: Geld sei der größte Anreiz zu arbeiten. Familien mit jüngeren Kindern, die sich vielleicht auch eine Immobilie kaufen, brauchen mehr Geld. "Sind die Kinder älter, sind die Kredite abbezahlt und durch Tariferhöhungen ist das Gehalt angestiegen", sagt Geis-Thöne. "Der finanzielle Anreiz, mehr zu arbeiten, ist dann nicht mehr gegeben." Wer also das Ziel habe, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern, der müsse mehrere Baustellen angehen. "Die größte davon ist die Betreuung von Grundschulkindern."

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