Der Krieg in der Ukraine ist gerade ausgebrochen. Misha Katsurin wohnt in Kiew und betreibt zwei Restaurants. Wie viele Ukrainer hat auch Katsurin Verwandtschaft in Russland – sein Vater lebt dort. Vier Tage nachdem Putin das Nachbarland angegriffen hatte, hat sein Vater sich immer noch nicht bei ihm gemeldet. Der junge Mann wundert sich und ruft ihn an. Der Vater glaubt nicht an die schrecklichen Kriegsszenen, die sein Sohn ihm schildert und ist überzeugt, dass die russischen Soldaten ihnen warme Kleidung und Essen bringen und sie außerdem von den Nazis befreien. Das Gespräch endet im Streit.
Die Reaktion des Vaters zeigt, wie gefährlich Fake News sein können. Aktuell wird das Leben von vielen Krisen bestimmt. Corona-Pandemie, Gaspreisexplosion und Ukraine-Krieg – und bei jeder davon tauchen immer wieder Falschnachrichten auf. Das Thema ist daher aktueller denn je und bestimmte auch die 18. Augsburger Mediengespräche, die am Montagabend im Hotel Maximilian's stattfanden. Das Thema der Veranstaltung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in Kooperation mit den Augsburger TV- und Hörfunksendern war: "Fake News in Krisenzeiten: Gefährdet Desinformation die Demokratie?".
Fake News haben es leicht, weil Menschen das hören wollen, was sie ohnehin schon glauben
Neben dem Tübinger Professor für Medienwissenschaft, Bernhard Pörksen, der die Geschichte von Misha Katsurin erzählte, diskutierten Lea Thies, Leiterin der Günter Holland Journalistenschule, Ellen Heinrichs, Gründerin und Geschäftsführerin der Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog, Gudrun Riedl, Formatentwicklerin von #Faktenfuchs (BR24 Digital) sowie BLM-Präsident Thorsten Schmiege auf dem Podium.
Warum, fragte Jan Klukkert, Moderator von a-tv, haben es Fake News oft so leicht? Ellen Heinrichs erklärte, dass Menschen das Gefühl bräuchten, zu einer Gruppe zu gehören und bestätigt werden wollen in dem, was sie ohnehin schon glauben: "Die Masse der Informationen hat sich verändert. Für einen selbst ist es unmöglich zu filtern, was wichtig ist und was nicht. Diese Aufgabe müssen die Medien übernehmen."
Einig war sich das Podium darüber, dass es viele Menschen gibt, die sich von den Nachrichten abwenden, weil sie durch die vielen negativen Schlagzeilen stark belastet werden. Dort müsse dringend eine Balance entstehen, denn gute Nachrichten gibt es zur Genüge und sie würden gebraucht, um den Menschen Mut zu machen.
Aber wie können Fake News entlarvt werden? Für Gudrun Riedel, die Faktencheckerin des Bayerischen Rundfunks, sei das oft eine Gefühlssache. Wenn einen etwas über die Maßen erstaune, dann solle man aufpassen. Auch wichtig sei, zu überprüfen, wer die Informationen verbreite. Journalisten-Ausbilderin Lea Thies plädierte dafür, auf die Logik zu achten und kritisch zu sein: "Nicht nur Journalisten, sondern wir alle können etwas gegen Fake News tun. Jede Nachricht, die nicht geteilt oder weitergeleitet wird, unterbricht die Kette."
Pörksen: Ohne Journalismus wird die Demokratie geschwächt
Was passiert, wenn es keinen unabhängigen Journalismus mehr gibt, erläuterte der Tübinger Professor Pörksen: In einigen Landesteilen der USA verschwinde die Berichterstattung vor Ort komplett, sodass dort die Korruption zunehme und das zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Engagement abnehme: "Die Schwächung des Lokaljournalismus schwächt die Demokratie."
Die Bekämpfung von Desinformationen muss schneller werden, sagt Pörksen. Außerdem hat er drei Vorschläge, wie Desinformationen beseitigt werden können und gleichzeitig die Mündigkeit und Meinungsfreiheit der Menschen gewahrt bleibe. Zunächst sollte die Kunst des Redens schon in der Schule gelehrt werden. Kinder sollten schon früh lernen, was ein gutes Argument von einem schlechten unterscheidet, und wie man immun gegen Irrtümer wird. Außerdem müsse der Journalismus einen Beitrag zur Medienmündigkeit der Gesellschaft leisten, denn die meisten Menschen wüssten nicht, wie der Alltag einer Redaktion aussehe und wie genau Informationen gesammelt werden. Journalist sei mehr als ein Beruf, sondern eine Kulturtechnik, die richtig von falsch und seriös von unseriös trennen könne. Der letzte Vorschlag Pörksens ist ein Plattformrat, der Google, Facebook und Youtube reguliert und mehr Transparenz schafft. Wenn die Menschen wüssten, wie dort Informationen gesammelt werden, könnten sie auch entscheiden, ob ihnen die Linie der Plattform gefällt, so seine Meinung.
Dass man Menschen trotz Falschinformationen doch noch erreichen kann, zeigt die Geschichte vom Anfang. Misha Katsurin, der seinen Vater hinter der Propagandamauer Putins verloren zu haben schien, war verzweifelt, aber wollte nicht aufgeben. Er gründete die Website "Papa, believe me" (Papa, glaube mir). Der junge Mann gibt dort Tipps, wie man mit Menschen redet, die durch Putins Propaganda eingenommen sind. Er lud Tonbandaufnahmen hoch, in denen er von den Leidtragenden des Krieges berichtet: Von Angestellten, die jetzt in U-Bahn-Schächten ausharren müssen, um den russischen Bomben zu entkommen und von einer Oma, die sich nun immer in ihrem Bad aufhalten muss, da das der sicherste Ort ihrer Wohnung ist. Der Vater glaubte seinem Sohn. "Diese Geschichten haben die Propagandamauer brüchig werden lassen", erklärte Pörksen. Aber die Zeit werde knapp, die Gesellschaft müsse die Ignoranz über Desinformationen überwinden und dürfe nicht gleichgültig sein.