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Geplante Windparks: Von den einen akzeptiert, von den anderen bekämpft

In Brandenburg wurden 2023 gleich elfmal so viele Windräder gebaut wie in Bayern, dem flächengrößten Bundesland.
Geplante Windparks

Von den einen akzeptiert, von den anderen bekämpft

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    Wer beim Bäcker in Mehring fragt, wo sie denn eigentlich hinkommen sollen, diese Windräder, über die ganz Bayern redet, sollte sich Zeit nehmen. Die kleine Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Altötting erlebt stürmische Wochen. Gerade erst haben die Einwohnerinnen und Einwohner per Bürgerentscheid den Bau von etwa zehn

    Einen Vorgeschmack gibt es an der Theke beim Bäcker. "Natürlich habe ich dagegen gestimmt", sagt ein Kunde im Vorbeigehen. Aber eigentlich will er mit Journalisten gar nicht reden. "Am Ende steht man eh nur als Klimaleugner da", sagt er und steigt auf sein Fahrrad. Doch er fährt nicht los. Zu groß ist der Redebedarf. Der Mann erzählt von dem Wald, in dem er schon als Kind Abenteuer erlebt hat und heute joggen geht. Von der Chemiefabrik am Horizont, vom Lärm und von Schadstoffen in Luft und Grundwasser. "Und jetzt wollen sie uns auch noch diese riesigen Windräder vor die Nase bauen." 

    Sie, das sind mehrere Gemeinden im Kreis Altötting, die ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen wollen. Insgesamt 40 Windräder sollen an mehreren Standorten gebaut werden. Aiwanger spricht von einem "Vorzeigeprojekt". Aber weil der Wind in der Region eher schwach weht, muss man hoch hinauf. 270 Meter bis zur Flügelspitze sollen die Anlagen messen. Notwendig, sagen die einen. Ein Wahnsinn, finden die anderen. Wo auch immer in Bayern es um den lange verschlafenen Ausbau der Windkraft geht, werden solche Debatten geführt.

    Robert Habeck hat es gut. Nicht im Allgemeinen, der Bundeswirtschaftsminister kämpft mit seiner Energiewende gegen Windmühlen. Aber an diesem Tag schon. Denn der Grünen-Politiker besucht einen Ort, wie er ihn sich wahrscheinlich malen würde, wenn er denn könnte.

    Je nach Witterung setzen sich die Windräder in Fuchstal stahlweiß vom Alpenpanorama ab. Von den sieben Anlagen, die im vergangenen Jahr in ganz Bayern gebaut wurden, stehen gleich drei in der kleinen Gemeinde im Kreis Landsberg am Lech. Noch laufen sie nicht, denn die Rotorblätter wurden auf dem mehrere Hundert Kilometer langen Anfahrtsweg beschädigt und mussten ersetzt werden. In den nächsten Wochen aber gehen die Windräder ans Netz. Dann sind es insgesamt sieben in Fuchstal. 

    Erwin Karg, parteilos und seit fast 22 Jahren Bürgermeister in Fuchstal, wollte den Besuch des Wirtschaftsministers nicht an die große Glocke hängen. Schließlich kommt es in diesen Tagen immer wieder zu Aggressionen, wenn Grünen-Politiker öffentlich auftreten. Auch in Fuchstal spielen Bauern ein Hupkonzert als Soundtrack. Immerhin: Mit der Energiewende fremdeln hier nur wenige. Die Gemeinde wurde sogar von der Bayerischen Staatsregierung ausgezeichnet und gilt als Musterbeispiel dafür, was möglich ist, wenn viele an einem Strang ziehen. Nur warum klappt hier, was woanders so viel Ärger macht?

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Windräder der Gemeinde Fuchstal besucht: v.l. Bürgermeister Erwin Karg, Robert Habeck, Michael Kießling (CSU-Kreisvorsitzender, MdB), Ludwig Hartmann (MdL, Bündnis90/Die Grünen)
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Windräder der Gemeinde Fuchstal besucht: v.l. Bürgermeister Erwin Karg, Robert Habeck, Michael Kießling (CSU-Kreisvorsitzender, MdB), Ludwig Hartmann (MdL, Bündnis90/Die Grünen) Foto: Thorsten Jordan

    Am Freitagmorgen steht der Bürgermeister mit Habeck und der bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber vor der Windkraftanlage. Es ist für Karg auch ein Stück Genugtuung. Als er vor einigen Jahren mit dem Thema Windkraft daherkam, hätten die Menschen im Dorf noch die Straßenseite gewechselt und ihn nicht mehr gegrüßt, erzählt er mit einem Augenzwinkern und fügt, an Habeck gerichtet, hinzu: "Da ging es mir fast wie Ihnen. Aber auch das hat sich gelegt und jetzt sind wir hier." 

    Der Vizekanzler nimmt den Kommentar mit einem Lächeln. Er ist nicht gekommen, um große Reden zu schwingen, hat aber Fragen. "Wie ist das mit der Bürgerbeteiligung, ist das mittlerweile Standard bei Windkraftprojekten?", will Habeck wissen. Jedenfalls fällt auf, dass Projekte, in die Bürgerinnen und Bürger früh einbezogen sind, vielleicht sogar an späteren Einnahmen beteiligt werden, oft erstaunlich geräuschlos umgesetzt werden. Robert Sing, der mit seinem Ingenieurbüro den Habeck-Besuch organisiert hat, erzählt, dass es immer mehr solcher Modelle gibt. 

    Bei der ersten Anlage stammten 15 von insgesamt 115 Anteilseignern aus dem Ort. "Diesmal waren es insgesamt 255 und die Anzahl der Bürger aus Fuchstal selbst hat sich verzehnfacht", rechnet Sing vor. Die Windräder gehören zu 50 Prozent den Bürgerinnen und Bürgern und zu 50 Prozent der Gemeinde. 

    Kein ungewöhnlicher Anblick für die Anwohner in Leeder, Fuchstal: 2023 wurden insgesamt 18 Rotorblätter durch die Ortschaft transportiert.
    Kein ungewöhnlicher Anblick für die Anwohner in Leeder, Fuchstal: 2023 wurden insgesamt 18 Rotorblätter durch die Ortschaft transportiert. Foto: Christian Rudnik (Archiv)

    Insgesamt erzeugt Fuchstal mit erneuerbaren Energien inzwischen rund 45 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr, das ist fast doppelt so viel wie die 4000 Einwohnerinnen und Einwohner selbst verbrauchen. Die Einnahmen bleiben im Dorf, erklärt der Bürgermeister, weil man auf auswärtige Investoren verzichtet habe. "Und so soll es eigentlich auch sein. Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass sie daran auch etwas verdienen." Aber was ist mit all den Bedenken, die Kritiker vorbringen? Zum Beispiel mit den Tieren, für die Windräder zur Bedrohung werden könnten?

    "Der Zug ist abgefahren. Man hätte etwas nach Fukushima 2011 und 2020 tun müssen."

    Erwin Karg, erster Bürgermeister Gemeinde Fuchstalundefined

    Um Vogelarten wie den Rotmilan zu schützen, wird in Fuchstal moderne Technik eingesetzt. Ein Umweltverein hatte dagegen Klage eingereicht, diese wurde jedoch abgewiesen. Nähern sich Vögel, kommt das Windrad zum Stehen. "Der Verlust liegt hier bei vier bis fünf Prozent", erklärt Sing. "Das wäre ja dann fast die Lösung für alles", sagt Habeck mit einem Blick auf die Sensoren und Kameras, die an der Spitze des Mastes angebracht sind. 

    Der Grünen-Politiker verlässt den Wald mit einem guten Gefühl: "Ich glaube, das Erfolgskonzept haben wir hier in Fuchstal gesehen, und dass die Bürgerbeteiligung ein ganz großer Schlüssel dafür ist." Die Kombination mit dem Vogelschutz habe ihn ebenfalls begeistert. "Hier passiert wirklich was, hier gehen Leute nach vorn. An diese Menschen mein ganz herzlicher Dank." 

    Erwin Schneider lächelt, wenn er solche Geschichten hört. Der CSU-Politiker ist seit mehr als 23 Jahren Landrat in Altötting und "hundertprozentig überzeugt" davon, dass die Windkraft über kurz oder lang auch dort in die Gänge kommen wird. "Mit den großen Chemiefabriken, wie zum Beispiel Wacker in Burghausen, ist unser kleiner Landkreis allein für ein Prozent des bundesweiten Stromverbrauchs verantwortlich. Umso wichtiger ist es, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, um vor Ort selber Energie zu erzeugen", sagt er. Mit den ursprünglich geplanten 40 Anlagen im Landkreis könnten umgerechnet 150.000 Haushalte versorgt oder immerhin zehn Prozent des Bedarfs der für die Region so wichtigen chemischen Industrie gedeckt werden. Den Zuschlag für die Umsetzung hat der weltweit agierende französische Konzern Qair bekommen. Doch aus den etwa zehn Windrädern in Mehring dürfte nun nichts werden, und die nächsten Bürgerentscheide bahnen sich schon an. Sie könnten das ganze Projekt ins Wanken bringen.

    Rechtlich bindend sind die Ergebnisse nicht. Aber welcher Gemeinderat stellt sich gegen die verbriefte Mehrheit der Einwohner? In Mehring bereitet Bürgermeister Robert Buchner (Freie Wähler) jedenfalls schon den Rückzug vor. Er hat wenig Hoffnung, dass ausgerechnet Wirtschaftsminister Aiwanger, der bislang nicht gerade als Energiewenden-Macher aufgefallen war, den Wind noch drehen kann. "Ich glaube nicht, dass die Bürgerinitiative ihren Widerstand aufgibt, nur weil sie mal einen Gesprächstermin beim Hubert Aiwanger bekommen hat", sagt Buchner. Doch wer steckt eigentlich hinter diesem Widerstand?

    Initiator der Bewegung gegen den Windpark ist ein Kreisrat von der AfD. Als sich die "Bürgerinitiative Gegenwind Altötting" am Montag im Wirtschaftsministerium in München mit Aiwanger trifft, ist er allerdings nicht mit dabei. Man sei nicht von irgendwelchen Klimaleugnern unterwandert, versichert Wolfgang Peiskar, der nach dem Gespräch mit dem Minister als Vertreter der Initiative vor die Kameras tritt. Fast eine Stunde später als geplant beginnt die Pressekonferenz. Der Redebedarf hinter verschlossenen Türen war groß, die Fronten sind verhärtet. Aiwanger will "so viel wie möglich von dem

    Der Freie-Wähler-Chef verweist zudem auf die vom Bund vorgegebene Mindestquote für den Windkraftausbau und darauf, dass die Anlagen dann eben woanders hinkommen – womöglich ganz ohne Bürgerbeteiligung. Mit den Betroffenen in Mehring will er sich bald in einem Gasthaus zusammensetzen. Er könnte zu spät kommen. 

    Direkt nach Bekanntwerden der Pläne für den Windpark im Kreis Altötting habe die Bürgerinitiative begonnen, die Bevölkerung mit teils fadenscheinigen Argumenten zu verunsichern, sagt Bürgermeister Buchner und verweist auf viele ähnlich festgefahrene Projekte im ganzen Land. "Diese Initiative ist ja nicht bei uns vor Ort entstanden, sie agiert bundesweit und verfolgt aus meiner Sicht das Ziel, die Energiewende grundsätzlich auszubremsen." 

    Tatsächlich gibt es in Auftreten und Argumentation Parallelen zu Widerstandsbewegungen in der ganzen Republik, die sich unter dem Namen "Vernunftkraft" bündeln und zum Teil wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen. Fotovoltaik und Windenergie werden auf der Internetseite des Netzwerks beispielsweise als "politische Placebos ohne nennenswerten Effekt" bezeichnet. Fakt ist hingegen: Erneuerbare Energien haben im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte des Bruttostromverbrauchs in Deutschland gedeckt. Wird hier also gezielt gegen Windkraft agitiert? 

    Landrat Schneider will das alles nicht zu hoch hängen. Er blättert im Lokalteil der Tageszeitung und zeigt auf die Bilder von Faschingsumzügen. "Kein einziger Wagen, der Stimmung gegen den Windpark gemacht hätte", sagt er und nimmt einen Schluck Tee. Der Fasching sei ein guter Gradmesser dafür, was die Menschen wirklich umtreibe. "Die meisten Leute denken über Windräder doch dasselbe: Schön sind sie nicht, aber brauchen werden wir sie wohl trotzdem", sagt er. 

    In Mehring herrscht die Ruhe nach dem Sturm. Dass die Sache mit dem Windpark endgültig abgeblasen ist, glauben hier die wenigsten. Begegnung mit zwei Spaziergängern in jenem Wald, in dem eigentlich zehn der 40 Anlagen entstehen sollten: Auch sie haben dagegen gestimmt, auch sie haben Flyer verteilt. Wegen der Wucht der riesigen Anlagen nur ein, zwei Kilometer von ihrem Haus entfernt, aber auch wegen des massiven Eingriffs in die Natur. "Wenn es am Ende zumindest ein paar weniger werden und sie weiter weg vom Ort stehen, wäre das ja auch schon was", sagen sie und betonen, dass sie nichts gegen regenerative Energien haben. Auf den Dächern in Sichtweite glitzern Fotovoltaikanlagen in der Nachmittagssonne. 

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