Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Energieversorgung: Warum die Energiekrise Bayern besonders treffen könnte

Energieversorgung

Warum die Energiekrise Bayern besonders treffen könnte

    • |
    Noch rauscht es in den Leitungen. Mit einem Eingangsdruck von rund 45 bar kommt das Gas in Königsbrunn aus der Erde.
    Noch rauscht es in den Leitungen. Mit einem Eingangsdruck von rund 45 bar kommt das Gas in Königsbrunn aus der Erde. Foto: Ulrich Wagner

    Es ist, als hätte man eine unsichtbare Linie genau durch die Mitte der Messanlage am Ortsrand von Königsbrunn gezogen. Das Gebäude mit der schweren Sicherheitstür teilt sich entlang dieser Linie in zwei nahezu symmetrische Hälften. Die leuchtend gelben Stahlrohre, durch die Erdgas fließt für das südliche Königsbrunn und das gesamte Lechfeld, die signalroten Hebel zum Blockieren der Leitung, die Regler, die den Druck des Erdgases anzeigen: Alles gibt es doppelt. Fällt die eine Leitung aus, übernimmt die andere die Gasversorgung. Solange es eine Gasversorgung gibt. Dass es knapp werden könnte im Herbst und Winter, diese Befürchtung bewegt sich so unsichtbar durchs Land wie der Rohstoff in den Rohren.

    Gerade besteht kein Grund zur Sorge, hier im Kreis Augsburg läuft alles. Ein kontinuierliches Rauschen – etwa wie das einer weit entfernten Autobahn – beweist, dass Gas durch die Leitung fließt. Sie gehört zur Schwaben Netz GmbH, dem Netzbetreiber in der Gruppe des Energieanbieters Erdgas Schwaben. Es ist Nachmittag, um die 30 Grad, kein Heiz- und Teewetter. „Um diese Uhrzeit dürfte das meiste Gas in Industrieanlagen fließen“, erklärt Anselm Pfitzmaier, Geschäftsführer bei Schwaben Netz.

    Würde gerne mehr Biogas anbieten: Schwaben-Netz-Chef Anselm Pfitzmaier.
    Würde gerne mehr Biogas anbieten: Schwaben-Netz-Chef Anselm Pfitzmaier. Foto: Ulrich Wagner

    Gas, Privatpersonen, Industrie, damit sind die Kernbegriffe eines Dilemmas genannt, das Deutschland im letzten Jahresdrittel zu befürchten hat. Und Bayern ganz besonders. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Anfälligkeit des bayerischen Energiesystems deutlich gemacht.

    Neben zahlreichen Haushalten ist Bayerns Industrie auf eine stabile Gasversorgung angewiesen. Das Problem: Durch die großen Pipelines liefert Russland nur noch einen Bruchteil früherer Mengen. Bayern hängt bisher sehr stark am russischen Erdgas. Zudem muss sich der Freistaat Sorgen um die Stromversorgung im Winter machen. Im Jahr 2020 stammten zwar stolze 52,3 Prozent der bayerischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Ein großer Teil kam aus Wasserkraft, die Photovoltaik lag bei 17,1 Prozent, die Windkraft nur bei 6,4 Prozent. Ein beträchtlicher Teil des Stroms stammte 2020 aus Kernkraftwerken, inzwischen aber ist das AKW Gundremmingen abgeschaltet, Isar 2 soll Ende des Jahres folgen – eigentlich. Drittwichtigste und letzte große Säule waren Gaskraftwerke mit 15,9 Prozent.

    Der Krisenstab Gas tagt einmal wöchentlich

    Gas aber ist der große Wackelkandidat geworden. Die Politik tut deshalb alles, um die Gasspeicher für den Herbst zu füllen. Gerade liegt die Füllmenge im Schnitt bei 69,9 Prozent, zum 1. Oktober soll sie 85 Prozent betragen. Anselm Pfitzmaier, Chef von Schwaben Netz, ist zuversichtlich, dass es klappt. Dennoch: Eben erst war er in einer Sitzung des Krisenstabs Gas. Einmal die Woche kommt die Einsatzgruppe zusammen. „So oft haben wir noch nie in meiner Laufbahn getagt“, sagt er, „und ich bin jetzt auch schon 36 Jahre im Geschäft. Das ist wirklich eine absolute Ausnahmesituation.“

    Woher die Moleküle stammen, die hier in Königsbrunn über ein dickes Rohr aus der Erde strömen? Pfitzmaier kann es nicht sagen, selbst wenn er wollte. „Wir haben Verträge mit Händlern“, erklärt er. „Unsere Aufgabe ist es, deren Gas in unser schwäbisches Netz einzuspeisen und zu transportieren.“ Aus welchem Land es stammt, wird nicht gekennzeichnet.

    Grob kann man es sich so vorstellen: Das Netz, durch welches das Gas rauscht, erstreckt sich unter Deutschland auf mehr als 500.000 Kilometer. In dieses Netz strömt Gas aus mehreren Ländern, vermischt sich dort und fließt durch Regel- und Messanlagen wie die in Königsbrunn schließlich in die Industrie und in Haushalte, wo es zum Heizen und Kochen genutzt wird.

    Das AKW Gundremmingen ist inzwischen abgeschaltet.
    Das AKW Gundremmingen ist inzwischen abgeschaltet. Foto: Stefan Puchner, dpa (Archivbild)

    Die Gasmenge allerdings, die aus den einzelnen Ländern im deutschen Netz ankommt, lässt sich schon berechnen. Pfitzmaier hat eine Statistik dabei. Im Juni 2022 stammte es vor allem aus drei Ländern: zu 27 Prozent aus Norwegen, zu 21 aus den Niederlanden – und zu 26,5 Prozent aus Russland. Das ist weit weniger als noch vor einem Jahr, damals lag der russische Anteil bei fast zwei Dritteln. Bayerns Ministerpräsident Söder rief mit diesen Zahlen im Hinterkopf dazu auf, die Gasförderung in Deutschland zu prüfen – genauer: in Niedersachsen. Sein Amtskollege Stephan Weil las daraus eine Aufforderung zum in Deutschland verbotenen, potenziell grundwasserschädlichen Fracking in seinem Bundesland. „Geht’s noch?!“, twitterte der SPD-Ministerpräsident. „Lieber Markus Söder, wie wär’s endlich mit Windkraft in Bayern?“

    Damit Bayern nicht auch noch Gas in Kraftwerken verbrennen muss, um das Stromnetz stabil zu halten, fordert CSU-Ministerpräsident Markus Söder beharrlich, die letzten drei laufenden Atommeiler auf Bundesgebiet über den Jahreswechsel hinaus in Betrieb zu lassen. Mit Sommeranzug und Sonnenbrille besuchten Söder und CDU-Chef Friedrich am Donnerstag das AKW Isar 2 im niederbayerischen Essenbach. Von einer Verlängerung der Laufzeit dort würde Deutschland genauso profitieren wie Bayern, sagte Söder. Rund zwölf Prozent des Stroms würden in Bayern verbleiben, der Rest werde ins gesamte Bundesgebiet geliefert. Während der Kühlturm die charakteristische weiße Dampfwolke in den wolkenlosen Himmel blies, forderte Merz die Ampel-Regierung auf, im Bundestag noch im Sommer die Atomgesetze anzupassen.

    Wenn es nach der CSU geht, sollen die Meiler am besten gleich bis 2024 laufen. Dabei sollte die Kernenergie längst ein Thema der Vergangenheit sein. Spätestens seit der Klima-Debatte ist klar, dass alternative Energiequellen ausgebaut werden müssen. „Heimatenergien“ nennt sie Söder inzwischen selbst.

    Im Freistaat scheint aber auch hier die Kluft zwischen Anspruch und Realität groß zu sein. So sieht es Detlef Fischer vom Verband der Bayerischen Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft. Bayern hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu sein – fünf Jahre vor dem Bund. Der Verband hat prüfen lassen, ob der Freistaat auf einem guten Weg ist, das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Die Ergebnisse seien ernüchternd. Bei keinem einzigen Indikator sei die Energiewende nur ansatzweise im Plan. Am plakativsten sei die Abweichung bei der Windkraft. Nur rund fünf Prozent des erforderlichen Zubaus seien 2021 erreicht worden. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist das klimaneutrale Bayern bis 2040 eine Illusion, allenfalls eine Politikshow zur Beruhigung der Bevölkerung“, kritisiert Fischer.

    Bei Solarenergie ist Bayern führend

    Dass es die Bayerische Staatsregierung mit der Windkraft nicht besonders hat, ist bekannt. Über die Folgen der 10H-Regelung ist schon viel geschrieben worden. Eine steife Brise weht auch eher an den Küsten als im Binnenland. Deshalb führt der Freistaat gerne ins Feld, lieber die Photovoltaik auszubauen. „Bayern ist Sonnenland“, twitterte CSU-Ministerpräsident Söder 2021. Beim Ausbau der Solarenergie ist der Freistaat tatsächlich führend. Aber könnte da noch mehr gehen? Wenn nur eine andere Ebene – die Kommunen – das wollte? Deshalb ein Ortswechsel, ein Besuch an einem anderen Schauplatz.

    Günther Vollath, früher Journalist und heute Geschäftsführer des Photovoltaik-Unternehmens Ökostrom 24, kennt die Schattenseiten der bayerischen Sonnen-Legende nur zu gut. Er steht neben einer großen Photovoltaikanlage am Rand von Denklingen im Kreis Landsberg. Die Sonne brennt auf die Paneele, geräuschlos erzeugen diese Strom, emissionsfrei.

    Er könnte mehr dieser Anlagen errichten, sagt Vollath. Wenn nur die Gemeinden mitziehen würden. Sein Unternehmen ist seit zehn Jahren im Geschäft und betreibt einige Anlagen mit einer Gesamtleistung von knapp sieben Megawatt, die meisten auf der Freifläche, aber auch auf einer Dachanlage. „Ein großes Problem beim Ausbau der Erneuerbaren ist die Politik vor Ort“, sagt Vollath. Dort, in den Gemeinderäten, werde entschieden, ob eine Freiflächensolaranlage gebaut werden kann oder nicht. „Leider ist das Interesse bei den meisten Gemeinden am Neu- oder Ausbau von größeren Anlagen gering bis gar nicht vorhanden“, kritisiert der Unternehmer und nennt Beispiele: „Das Wirtschaftsministerium feiert die Verlängerung des Ausbaukorridors an Autobahnen oder Bahngleisen auf 500 Meter als großen Befreiungsschlag“, sagt er. „Leider gibt es aber Gemeinden, die unbeirrt am 110-Meter-Korridor festhalten.“

    Würde gerne mehr Photovoltaik bauen, sieht sich aber von den Gemeinden ausgebremst: Solar-Unternehmer Günther Vollath.
    Würde gerne mehr Photovoltaik bauen, sieht sich aber von den Gemeinden ausgebremst: Solar-Unternehmer Günther Vollath. Foto: Ulrich Wagner

    Ökostrom 24 habe in den vergangenen Monaten vier Anfragen bei vier Gemeinden im Allgäu und im Kreis Landsberg gestartet. Es ging um einen Zubau von insgesamt 25 Megawatt Leistung. Damit lässt sich Strom für mehrere Orte produzieren. „Alle vier Projekte wurden von den Gemeinderäten abgelehnt, mit zum Teil wirklich abenteuerlichen Argumenten.“ In einer Kommune sei man sich bereits mit dem Grundstückseigentümer einig gewesen. „Das Ortsbild der Gemeinde hätte sich nicht verändert, da das fünf Megawatt große Solarfeld in der Nähe einer außerhalb des Ortes gelegenen Motocross-Strecke entstehen sollte“, sagt Vollath. Der Gemeinderat habe nicht zugestimmt. „Unser bisheriges Absage-Highlight für ein Projekt war die Antwort der Sekretärin eines Bürgermeisters einer kleineren Gemeinde. Der Bürgermeister mag das nicht, stand in der Antwort-Mail.“

    Ist Biomethan eine Alternative zum Erdgas?

    Erdgas Schwaben hingegen registriert bei den Gemeinden sehr wohl „ein großes Bedürfnis nach regionaler Versorgung“, betont Unternehmenssprecher Christian Blümm, der mit nach Königsbrunn gekommen ist - etwa nach einem Ausbau des Nahwärme-Ortsnetzes. Auch Landwirte kämen verstärkt auf den Anbieter zu. Sie wollen Biogas produzieren und ins Netz einspeisen. Ob Biomethan eine Alternative zu Erdgas werden kann, hänge aber auch von den politischen Rahmenbedingungen ab. Zuletzt hätten sich solche Anlagen nicht wirtschaftlich betreiben lassen. Das kreiden Pfitzmaier und Blümm auch der fehlenden Unterstützung aus der Politik an. „Dabei könnten wir in Deutschland sicher zehn Prozent der Gasmenge mit Biogas produzieren“, sagt Blümm. „Im ländlich geprägten Bayern vielleicht sogar mehr“, mutmaßt Pfitzmaier.

    Noch eine Alternative zum russischen Erdgas gibt es, nämlich Wasserstoff. Gerade Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist ein Fan einer umweltfreundlichen, schadstofffreien Wasserstoff-Zukunft.

    Hinter Bayerns Energieversorgung stehen Fragezeichen

    Bislang dürfen dem Erdgas in Deutschland zehn Prozent Wasserstoff beigemischt werden. Netz-Chef Anselm Pfitzmaier streicht über eins der gelben Stahlrohre. Statt des Gases, das immer noch beständig rauscht, könnte hier auch reiner Wasserstoff fließen. 90 Prozent der Leitungen wären schon jetzt darauf ausgerichtet. Soll Wasserstoff aber eine klimafreundliche Alternative sein, muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden. Und die grüne Wasserstoff-Produktion steckt erst in den Kinderschuhen. Nennenswerte Mengen grünen Wasserstoffs erwarten Fachleute erst in den 2030er Jahren. Und die großen Trassen, die Windstrom von den Küsten in den Süden der Republik holen sollen, kommen nicht viel früher.

    Lösungen für die Herausforderung kennt man im Freistaat also einige. Zum Problem wird der Zeitplan. Gas, das knapp ist. Atomkraftwerke, die eigentlich abgeschaltet werden sollen. Unternehmen, die in erneuerbare Energien investieren wollen, aber ausgebremst werden. Grüner Wasserstoff und Stromtrassen erst im nächsten Jahrzehnt. Hinter Bayerns Energieversorgung der kommenden Jahre stehen große Fragezeichen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden