Unten, im Tal. Nieselregen. Kurz vor acht. Die Seile der Zugspitzbahn verschwinden im nebligen Nichts. Kein Kaiserwetter, wahrlich nicht. Eine Handvoll Hartgesottener steht an der Talstation, wartet auf die erste Fahrt des Tages, die sie hinauf zur Zugspitze bringen wird. Hinauf zum Schnee. Und dann hinein ins Skigebiet. Start in die Saison – in eine ganz besondere.
Einer, der an diesem Morgen rauf will auf den Berg, ist Josef Anzenberger. Petrolgrüne Skijacke, schwarzer Helm, Schneebrille. 84 Jahre alt ist er – man sieht es ihm nicht an. "Nur der frühe Vogel fängt den Wurm", sagt Anzenberger und lächelt. Seit er denken könne, fahre er Ski. An mindestens 60 Tagen pro Winter steht er auf den Brettern. Anzenberger blickt ins Grau dieses Dezemberhimmels. Irgendwo dort oben ist der Gipfel, den man an diesem trüben Tag nur erahnen kann. Dann sagt er: "Endlich geht’s wieder los."
In dieser Skisaison ist wegen der Energiekrise vieles anders
Es geht also wieder los. Skifahren. Rodeln. Kaiserschmarrn. Heißer Punsch. Après-Ski, sowieso. Nur: In dieser Skisaison ist vieles anders. Der Betrieb eines Skigebiets frisst Unmengen an Energie. Wegen der horrenden Strompreise und der hohen Inflation müssen die Liftbetreiber reagieren – und die Wintersportler noch tiefer in die Tasche greifen als ohnehin schon. Im Schnee knirscht es also gewaltig. Die Spuren, die die Krise hinterlässt, sind tief.
Was ist in diesem Winter also anders auf den Pisten? Laufen die umstrittenen Schneekanonen trotz aller Appelle zum Energiesparen? Worauf müssen sich die Wintersportlerinnen und Wintersportler einstellen? Kurzum: Skifahren im Krisenwinter – wie passt das zusammen?
Oben am Zugspitzplatt auf 2600 Metern Höhe. Vom Gipfel gelangt man mit der Gletscherbahn in wenigen Minuten hierher, mitten ins Skigebiet. Im Restaurant Sonnalpin, alpin-rustikal, viel helles Holz, wird noch geputzt. In ein paar Stunden werden hier deftige Currywürste und dampfende Germknödel auf den Tischen stehen, mit denen sich die Ski- und Snowboardfahrer stärken. Und aufwärmen. Draußen schneit es. Minus sechs Grad. Allzu viele Möglichkeiten, sich im Schnee auszutoben, gibt es zum Saisonstart allerdings noch nicht. Der Schlepplift nebenan ist an diesem Tag geschlossen, auch viele andere Lifte sind nicht in Betrieb – zu wenig Schnee. Nur eine Piste ist geöffnet.
Um Energie zu sparen, bleiben auf der Zugspitze die Heizstrahler aus
Das Skigebiet Zugspitze ist ein reines Naturschnee-Skigebiet, Schneekanonen gibt es dort nicht. Im benachbarten Skigebiet Garmisch-Classic indes schon. Hier wird in diesem Jahr aber nur eingeschränkt beschneit. Wegen – natürlich – der hohen Energiepreise. Und das ist längst nicht die einzige Einsparmaßnahme rund um Deutschlands höchsten Berg. "Die Heizstrahler auf den Terrassen der Gastronomie bleiben aus", sagt Verena Tanzer, Sprecherin der Bayerischen Zugspitzbahn, die an diesem Morgen auch oben auf dem Berg ist. Außerdem bleiben die Sitzheizungen in den Liften aus, die Fahrtgeschwindigkeit der Bahnen wird – wenn es das Gästeaufkommen erlaubt – um bis zu 50 Prozent reduziert, etwa an Schlecht-Wetter-Tagen. Außerdem sollen die Kabinen am Abend nicht extra in die Garagen gefahren werden. Insgesamt will man so zehn Prozent Energie einsparen.
Dass sich die Wintersportlerinnen und Wintersportler daran stören könnten, dass es in den Liften oder beim Essen im Freien kälter ist, glaubt Bergbahn-Sprecherin Tanzer nicht. "Ich denke, dass es bei den Menschen schon ein Bewusstsein dafür gibt, dass Energie gespart werden muss." Sie glaube sogar, dass es vielen sauer aufstoßen würde, wenn etwa auf Terrassen die energiefressenden Heizstrahler laufen würden. "Da würden sicher viele fragen: Muss das denn sein?"
Bergbahnen fahren in diesem Winter oft langsamer
Was muss sein, was nicht? Darüber müssen sich alle Skigebiete in diesem Winter Gedanken machen. Die Auswirkungen der Energiekrise wird man wohl überall spüren, das Skigebiet rund um die Zugspitze ist mit seinen Einsparmaßnahmen keine Ausnahme. Bei den Bergbahnen Oberstdorf-Kleinwalsertal etwa wird ebenfalls auf Sitzheizungen in den Liften verzichtet, auch die Fahrgeschwindigkeit der Bahnen soll, wenn wenig los ist, gedrosselt werden. Am Feldberg im Schwarzwald sollen die 14 Liftanlagen möglichst nicht mehr gleichzeitig laufen, sondern nur noch je nach Besucherandrang. Kritikern geht das alles nicht weit genug.
Die Zugspitze – Deutschlands höchster Berg
Lage: Die Zugspitze im Wettersteingebirge liegt südwestlich von Garmisch-Partenkirchen. Mit 2962 Metern ist sie der höchste Berg Deutschlands. Über den Westgipfel verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Österreich, zwischen Bayern und Tirol.
Bahnen: Gleich drei Bergbahnen führen auf den Gipfel: die Tiroler Zugspitzbahn von Ehrwald, eine Seilbahn vom Eibsee bei Garmisch und eine Zahnradbahn, die durch die Nordseite des Berges fährt. Diese Zahnradbahn ging 1930 in Betrieb. Sie endet nicht am Gipfel, sondern am Sonnalpin auf dem Zugspitzplatt.
Gletscher: Am Zugspitzmassiv befinden sich noch drei der insgesamt fünf Gletscher in den bayerischen Alpen: der Höllentalferner sowie der Nördliche und der Südliche Schneeferner. Alle gehen allerdings wegen des Klimawandels stark zurück. Experten vermuten, dass die kleinen Gletscher in den nächsten Jahrzehnten ganz verschwinden werden. Wegen seiner Lage in einem nordostseitigen Hochtal wird sich der Höllentalferner vermutlich am längsten halten.
Klima: Wegen der großen Höhe werden auf der Zugspitze an durchschnittlich 310 Tagen im Jahr frostige Temperaturen unter null Grad gemessen. Mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von minus 4,2 Grad ist der Berg der kälteste Ort Deutschlands.
Forschung: Das frühere Schneefernerhaus wurde zu einer Umwelt-Forschungsstation umgebaut.
Der Bund Naturschutz etwa fordert, die Schneekanonen in diesem Winter komplett abzuschalten. Der enorme Ressourcenverbrauch und obendrein die Umweltschäden seien nicht weiter tragbar. "Die Skigebietsbetreiber haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Sie sollten sich in der derzeitigen Energiemangellage solidarisch zeigen und freiwillig auf den Einsatz von Schneekanonen verzichten", sagt Richard Mergner, der Vorsitzende. "Schneekanonen waren aufgrund ihrer schlechten Ökobilanz schon immer problematisch, in der derzeitigen Krisensituation sind sie schlicht unmoralisch." Ein Verzicht auf Beschneiung könne in einem Winter 16 Millionen Kilowattstunden Strom in Bayern sparen, zudem Millionen Liter Wasser, fährt Mergner in einem Pressestatement fort.
Tourismusforscher: Viele Skigebiete müssen umdenken
Maximilian Witting, der an der LMU München zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Wintertourismus forscht, bezeichnet die derzeit getroffenen Maßnahmen als hemdsärmelig, als kostengetrieben und kurzfristige Notfall-Reaktion auf die aktuell enorm hohen Energiepreise. "Eine langfristige Strategie, in die nicht nur die derzeitige Lage, sondern auch die Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, einfließen, kann ich hingegen nicht erkennen", sagt Witting. Die sei aber dringend nötig, fährt der Experte fort. Denn jenseits der aktuellen Krisenlage kämen in Zukunft viele, vor allem niedriger gelegene Skigebiete in arge Bedrängnis, weil sie aufgrund des Klimawandels und des weniger werdenden Schnees immer seltener wirtschaftlich rentabel seien. Gerade diese Skigebiete müssten umdenken. Und zwar jetzt. Nicht erst in zehn, zwanzig Jahren.
Kurz vor neun Uhr morgens. Auf dem Zugspitzplatt machen sich die ersten Skifahrer bereit für die Abfahrt. Das Schneegestöber hat nachgelassen, durch die löchrige Wolkendecke lugt eine matte Wintersonne. Christoph Lautner zieht den Reißverschluss seiner Skijacke nach oben und setzt seine Brille auf. "Letztes Jahr waren wir auch schon die Ersten, die zum Saisonstart die Piste runtergefahren sind", sagt er. Wegen der Energiekrise aufs Skifahren verzichten wolle er nicht, sagt Lautner, blaue Skihose, grell-grüne Jacke. Die unbeheizten Lifte stören ihn nicht. Er habe sich einen Saisonpass zugelegt, erzählt er. Das rentiere sich, wenn man wie er aus der Gegend komme. Denn die Preise für Tageskarten seien schon gesalzen. "Mit Essen, Tageskarten und allem drumherum ist man als Familie am Tag ein paar Hundert Euro los", sagt Lautner. Dann rammt er die Stöcke in den eisigen Boden, schiebt sich nach vorne, winkt noch einmal – und weg ist er.
Tagesskipässe sind im Schnitt zehn Prozent teuer
Die Preise sind ein heikles Thema. Überall ist es teurer geworden – im Supermarkt, im Restaurant und eben auch auf der Skipiste. Bei der Bayerischen Zugspitzbahn ist die Rede von einem Preisanstieg von zehn Prozent, der Standard in vielen Wintersportregionen. Manchmal wird aber noch mehr draufgeschlagen. In Sudelfeld in der Nähe des oberbayerischen Wintersportortes Bayrischzell etwa steigen die Preise für eine Tageskarte von 42 auf 48 Euro. Das sind etwa 14 Prozent mehr als in der letzten Saison.
Auch der Schlittenverleih auf der Zugspitze hat seine Preise für einige Angebote angehoben. Ein Mitarbeiter, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, zuckt auf die Frage, ob das wohl einige Touristen abstoßen würde, mit den Schultern, zieht an seiner Zigarette und sagt: "Nein, das glaube ich nicht." Das Klientel, das sich bisher einen Winterurlaub leisten konnte, könne das auch weiterhin, meint er. "Da werden pro Woche bis zu 4000 Euro für vier Personen ausgegeben."
Umfrage: Ein Viertel will auf Winterurlaub verzichten
Auf ein bestimmtes Publikum mag das zutreffen. Viele andere Menschen, bei denen das Geld nicht so locker sitzt, werden aber wohl auf den Winterurlaub verzichten. Das jedenfalls geht aus einer Umfrage hervor, die der Sportbekleidungshersteller Schöffel in Auftrag gegeben hat. Demnach will rund ein Viertel der potenziellen Winterurlauber auf Ferien im Schnee verzichten, ein weiteres knappes Viertel macht sich Gedanken über Sparmaßnahmen.
Josef Anzenberger, der 84-Jährige, der am Morgen mit der Seilbahn nach oben gefahren war, will auch im Krisenwinter Ski fahren. An diesem Tag ist er die einzige Piste, die bisher geöffnet hat, schon zum fünften Mal runtergefahren. Jetzt steht er am Ausgang des Sesselliftes, blickt in die Bergwelt, die sich vor ihm auftut. Sobald es weiter unten Schnee gebe, wolle er da fahren, sagt er. Ein paar Mal wird er die Piste heute noch hinunterfahren – dann zum Essen einkehren, bevor er wieder zurück zur Station am Eibsee fährt. Dorthin, wo an diesem Morgen bei Nieselregen und Nebel eine ganz besondere Skisaison begonnen hat.