Die Zeit der Atomkraft in Deutschland ist vorbei, doch Schluss ist an den Kraftwerksanlagen noch lange nicht. Ihr Rückbau sowie die Lagerung und Bereinigung von radioaktiv verstrahltem Material beschäftigt Betreiber, Umweltministerien und Forschende weiter – und das über Jahrzehnte. Aber wie genau funktioniert die Stilllegung? Und was passiert derzeit an den ehemaligen AKWs Isar 2 und Gundremmingen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Isar 2 ging als eines der letzten AKWs vom Netz. Wann beginnt der Rückbau?
Nach Ende der Laufzeit müssen Kernkraftwerke in Deutschland unverzüglich stillgelegt und abgebaut werden, so sieht es das Atomgesetz vor. Die Verantwortung dafür liegt im Falle von Isar 2 beim Betreiber Preussen Elektra, der die ersten Rückbau-maßnahmen ab Anfang 2024 anstrebt. Zuvor benötigt das Unternehmen eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Diese wurde bereits 2019 im bayerischen Umweltministerium beantragt und wird im Laufe dieses Jahres erwartet. Für den Rückbau, also den Ausbau der radioaktiven Bauteile, gelten zum Schutz von Mensch und Umwelt so strenge Sicherheitsvorgaben wie für den Betrieb eines Kernkraftwerks.
Wie realistisch sind Überlegungen, Isar 2 doch noch weiterlaufen zu lassen?
Just am Wochenende der Abschaltung von Isar 2 schlug Ministerpräsident Markus Söder vor, das Atomkraftwerk in bayerischer Eigenregie weiterzubetreiben – und erregte damit die Gemüter. Guido Knott, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Preussen Elektra, signalisiert grundsätzlich Gesprächsbereitschaft: "Wenn die Politik fragt, ob wir einen Weiterbetrieb möglich machen können, werden wir das gerne prüfen." Er sagt aber auch: "Dazu braucht es eine politische Mehrheit in Berlin. Die ist derzeit nicht gegeben." Das Unternehmen bereite sich auf einen Rückbau vor, Details zur aktuellen Debatte oder zum Genehmigungsverfahren für den Rückbau nennt Preussen Elektra nicht.
Wie steht Bayerns Umweltminister Glauber zur Laufzeitverlängerung für Isar 2?
Der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) unterstützt die Idee, moderne AKWs wie Isar 2 befristet weiterlaufen zu lassen, bis die Energiekrise vorüber ist. Auf Anfrage teilt er mit: "Das Kraftwerk ist eines der sichersten Kernkraftwerke weltweit. Isar 2 abzuschalten ist, wie einen topfitten 50-Jährigen in Ruhestand zu schicken." Das Ende der letzten Atomkraftwerke hält er für nicht verantwortbar: "Der Ausstieg aus der Kernenergie führt dazu, dass die Kohleverstromung hochgefahren wird. Für den Klimaschutz ist das eine nicht nachvollziehbare Entscheidung."
Das AKW Gundremmingen ging Ende 2021 vom Netz. Wie ist dort der Stand?
Anders als im Fall des Kraftwerks Isar 2 lag die Rückbau-Genehmigung für Gundremmingen vor, noch bevor die Laufzeit endete. Im Mai 2021 hatte das Umweltministerium sie erteilt, vom Netz ging der letzte Reaktorblock C am Silvestertag 2021. Seitdem schreitet der Rückbau voran: Generatoren und Turbine sind ausgebaut. Was den Kraftwerksbetrieb einst ermöglichte, ist zerlegt. Bis 2026 sollen alle verbliebenen hoch radioaktiven Brennelemente ins Standort-Zwischenlager nebenan wechseln. Ziel ist laut Betreiber RWE, dass sein Gelände bis Mitte der 2030er Jahre vollständig rückgebaut ist und nicht mehr dem Atomgesetz untersteht.
Wie lange dauert ein AKW-Rückbau und wie funktioniert der Prozess?
Ein AKW-Rückbau ist komplex und dauert bis zu 15 Jahre. Noch vor der Demontage analysieren Experten die Anlage und nehmen Proben, um Arbeiten zu planen und eine Strahlenbelastung von Mitarbeitern und Umwelt zu verhindern, erklärt Kernphysiker Matthias Dewald. Er leitet den Fachbereich Stilllegung bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und erklärt: "Mit den Brennelementen sind bereits 99 Prozent des radioaktiven Inventars aus der Anlage entfernt." Doch nicht nur diese müssen in ein Zwischenlager gebracht werden: "Auch an Anlagenteilen haften radioaktive Partikel", sagt Dewald. Arbeiten an besonders stark verstrahlten Teilen würden deshalb ferngesteuert durchgeführt. Um sie für die weitere Zerlegung und Entsorgung vorzubereiten, werden sie von Fachpersonal mit stark ätzenden Lösungen gereinigt oder die Oberfläche mit speziellen Verfahren wie etwa Sandstrahltechnik abgetragen. Jedes Bauteil wird nach seinem Abbau zerlegt, dekontaminiert und auf Strahlung überprüft. Geht für Mensch und Umwelt keine relevante Radioaktivität mehr aus, gehen die Materialien ins Baustoffrecycling. Etwa 90 Prozent der Teile sind laut bayerischem Umweltministerium wiederverwertbar. Der Rest wird als radioaktiver Müll in Zwischenlager gebracht. Im Anschluss an den Abbau aller Systeme im Inneren des Kraftwerks werden die Gebäude von Strahlung bereinigt und weitergenutzt oder abgerissen.
Was wird nach dem Rückbau in Gundremmingen aus dem Gelände?
Ein AKW-Rückbau bedeutet nicht unbedingt, dass sämtliche Gebäude abgerissen werden und am Ende eine grüne Wiese entsteht. Um nicht mehr vom Atomgesetz erfasst zu werden, müssen auf dem Gelände alle Systeme ausgebaut und Brennstofffreiheit gewährleistet sein. Da es sich in Gundremmingen um RWE-Firmengelände handelt, entscheidet das Unternehmen im Anschluss unter Einbindung der Behörden über eine Nachnutzung. Direkt neben dem Gelände des alten Kraftwerks lagern auf absehbare Zeit zudem Brennelemente in einem Zwischenlager. Dieses gehört dem Bund und wird von der Gesellschaft für Zwischenlagerung verantwortet (BGZ). Eine Genehmigung ist bis 2046 erteilt. Gibt es bis dahin kein Endlager, bleiben die Brennelemente aber noch länger in Gundremmingen. Und auch ein zweites Zwischenlager für schwach und mittelstark kontaminierten Atommüll ist im Gespräch.
Welche Kosten entstehen beim AKW-Rückbau und wer finanziert sie?
Je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlagen fallen zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro an, teilt RWE mit. Die Kosten für Nachbetrieb und Rückbau tragen die Betreiber der Kraftwerke. Zusätzlich haben sie mehr als 24 Milliarden Euro in einen Fonds einbezahlt, aus welchem die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle finanziert werden.
Zum Ende der Atomkraft in unserer Region bietet unsere Redaktion auch eine Podcast-Serie: "Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft"