"Thomas, da, die rennen scho", ruft Iris Madlener ihrem Mann zu. "Wo sin's?", fragt Thomas Schonbucher. Er blickt sich suchend nach den Rehen um. Doch die Geiß und ihr Kitz, die Madlener gesehen hat, sind schon im Waldstück in der Nähe verschwunden. "Das war schon älter, kann alleine davonkommen", sagt Schonbucher. Es ist sechs Uhr morgens in Emersacker (Landkreis Augsburg), die Sonne ist bereits aufgegangen, noch liegt der frühsommerliche Tau auf den Wiesen im Holzwinkel. Madlener, Schonbucher und fünf Mitstreiter sind schon auf den Beinen. Ihr Ziel: Sie wollen Rehkitze vor dem sicheren Tod bewahren.
Seit knapp zwei Jahren sind die Emersacker Tierfreunde regelmäßig auf den Gemeindefluren unterwegs. Damals gründeten Madlener und Schonbucher den Verein "Kitzhilfe und Schutz der Natur – Holzwinkel e.V.". Die beiden wollten etwas tun. Denn im Frühjahr werden Rehkitze oft bei Mähaktionen getötet – obwohl sich das verhindern ließe. Auch in Emersacker starben über die Jahre zahllose Jungtiere, weil sie sich im hohen Gras versteckten und von den Landwirten übersehen wurden. Damit sollte Schluss sein.
Schonbucher rettet mit seiner Rehkitzhilfe junge Rehkitze in der Region Augsburg
Im neu gegründeten Verein übernahm Schonbucher eine Führungsrolle. Der gebürtige Schweizer hat zwanzig Jahre in Australien gelebt, bevor es ihn aus beruflichen Gründen in die Region verschlug. "Ich kann es nicht abhaben, wenn etwas unstrukturiert, unsystematisch abläuft", sagt der ehemalige Ingenieur. So hat er auch den Verein zur Rettung von Rehkitzen aufgestellt. Schonbucher erstellte Flurkarten, ersann klare Strategien zur Rehkitzrettung – und gibt bis heute den Ton an.
An diesem Morgen startet die Drohne von einer kleinen Straße in Emersacker aus. Ein größeres sowie ein kleineres Feld wollen die Tierschützer nach Rehkitzen absuchen, bevor der Landwirt die Wiesen mähen wird. Helfer Stefan Karner legt genau fest, wohin die Drohne fliegen soll.
Parallel koordiniert Schonbucher mit dem Walkie-Talkie seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter; diese gehen in die Felder, um die weißen Flecken zu überprüfen, die die Wärmekamera der Drohne anzeigt. Weiß bedeutet besonders warm – hier könnte sich ein Rehkitz verbergen. Und tatsächlich: Als sich eine der Helferinnen im Feld den Punkten nähert, springen zwei Kitze auf und laufen davon. Da sie problemlos die hohe Wiese überspringen können, sind sie nicht gefährdet. Wie schon das Kitz mit der Geiß zu Beginn des Einsatzes.
Im Mai, wenn die Rehkitze frisch auf der Welt seien, könnten sie dagegen kaum in der hohen Wiese laufen, erklärt Schonbucher. "Dann nehmen wir sie zur Seite, bis das Feld gemäht ist." Die Helferinnen und Helfer müssen dabei Handschuhe tragen und abgerupftes Gras zwischen sich und die Tiere halten, damit die Kitze nicht den menschlichen Geruch annehmen. Mit schrillen Lauten rufen sie dann nach ihrer Mama. "Wenn mich diese Kulleraugen ansehen, das ist sehr süß", schwärmt Madlener. Nach dem Mähvorgang bringen die Helferinnen und Helfer die Tiere wieder zurück. 40 Rehkitze habe man so im vergangenen Jahr in Emersacker retten können. Wichtiger sei jedoch, ergänzt Schonbucher, dass sie kein einziges Rehkitz tot hätten bergen müssen.
Mit ihrem Engagement sind die Emersacker in der Region in guter Gesellschaft. In den zurückliegenden Jahren haben sich mehrere Vereine gegründet, die Rehkitze retten wollen. Die Rehkitzrettung Augsburg ist ebenso aktiv wie die Kreisgruppe Neu-Ulm des Bayerischen Jägerverbands. Insgesamt können durch derlei Rettungsaktionen in ganz Bayern jährlich rund 70.000 Rehkitze vor dem Mähtod bewahrt werden. Doch allzu häufig mähen Landwirte noch, ohne dass sie vorher ihre Felder absuchen ließen. Zigtausende Jungtiere sterben dadurch. Für Schonbucher ein Unding: "Da werde ich ziemlich wütend, denn es ist komplett unnötig. Wir helfen doch gerne", sagt er. Wenn Bauern ihre Felder mähen wollen, geben sie Schonbucher Bescheid. "Bei uns läuft das gut, die Landwirte vertrauen uns", stellt er fest.
Die Emersacker Tierschützer werden auch weiterhin helfen. Mittlerweile hat der Verein rund 70 Mitglieder, sagt Schonbucher. Ab Ende Juni werden die Einsätze weniger, dann sind die meisten Rehkitze selbstständig und die Felder gemäht. Doch die Arbeit des Vereins geht weiter. "Wir treffen uns regelmäßig, um den herumliegenden Müll in der Natur einzusammeln", sagt Schonbucher. "Uns wird nicht langweilig."