Was ist von einem Menschen zu halten, der wie Elon Musk über sich sagt, es sei kein Vergnügen, er selbst zu sein? Und was sagt es über ihn aus, dass seine verflossene Lebensgefährtin Grimes, eine kanadische Sängerin, dem Chef des Autobauers Tesla und der Raumfahrtfirma SpaceX bescheinigt, das Spiel mehr als sie geliebt zu haben? Der 52-Jährige ebnete sich in seiner radikalen Art den Weg zu einem der weltweit vermögendsten Menschen, wobei Geld für ihn nur ein Mittel zum Zweck ist. Denn Musk will seinen Beitrag leisten, die Klimawende zu stoppen, und er arbeitet ernsthaft daran, eine Million Menschen auf den Mars zu schicken.
Damit nicht genug: Das US-Unternehmen Neuralink, bei dem der Innovations-Extremist auch mitmischt, hat einem 29-jährigen Amerikaner, der von der Schulter abwärts gelähmt ist, einen Computer-Chip im Gehirn implantiert. Dank des Teils soll der Mann in der Lage sein, bei einem Video-Schachspiel den Cursor vom Kopf aus zu steuern. Das Ergebnis der Operation legt ein Filmchen nahe, das auf Musks hauseigenem Internet-Nachrichtenkanal X zu finden ist. Den Kurznachrichtendienst gönnte sich der Unersättliche auch noch. Musk lebt, als wolle er all seine geliebten Science-Fiction-Bücher und fanatisch betriebenen Computerspiele in die reale Welt umsetzen. In seiner Radikalität ist er ein Bruder im Geiste des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs.
Es gibt Gründe, Tesla-Chef Elon Musk für seinen Mut zu bewundern
Doch es werden Zweifel laut, ob sich der Weg des Technik-Pioniers, der ihn immer weiter nach oben geführt hat, fortsetzt. Auf X schlägt Musk manchmal wild um sich und Tesla wächst plötzlich nicht mehr. Ist der Absturz des Glücksritters nur eine Frage der Zeit?
Von seinen Plänen lässt sich Musk durch Untergebene jedenfalls nur abbringen, wenn sie ihm beweisen können, dass seine Ideen an den Gesetzen der Physik scheitern würden. Sonst müssen sie liefern – und das schnell. Dennoch gibt es Gründe, den Unternehmer für seinen Mut zu bewundern. Ex-Freundinnen und -Frauen schildern aber einen anstrengenden und mit charakterlichen Sonderbarkeiten behafteten Menschen. Geschäftspartner und Angestellte werden zum Teil deutlicher. Sie kommen in Walter Isaacsons Biografie zu Wort, die schlicht mit „Elon Musk“ betitelt ist. Der Tesla-Boss musste wissen, was ihm blüht, als er dem Autor erlaubte, „ihm zwei Jahre wie ein Schatten zu folgen“. Am Ende wollte Musk die Ergebnisse der Recherchen nicht vor der Veröffentlichung lesen, ist er doch ein Verfechter freien Schreibens. Das war wohl für ihn der zentrale Grund, den Nachrichtendienst Twitter zu kaufen und für die Verfasser wahnwitziger Botschaften wie Donald Trump erneut zu öffnen.
Musk scheint dem früheren US-Präsidenten auf X nachzueifern, etwa wenn er dessen Nachfolger Joe Biden bezichtigt, nicht gegen illegale Masseneinwanderung vorzugehen. In der Coronazeit, als auch Tesla vorübergehend die Produktion einfrieren musste, hat sich in Musk ein Schalter umgelegt. Als einstiger Unterstützer der Demokraten rückte er in die Sphäre der Republikaner und testet seitdem auf X, wie weit er noch nach rechts hüpfen kann, ohne allzu viele potenzielle Tesla-Kunden zu vergraulen.
Ehemaliger Top-Mann bei Tesla über Musk: "Manche Leute sind einfach Arschlöcher"
Isaacson schildert, was Musks ehemaliger Tesla-Top-Mann Michael Marks über den Zampano denkt. Die beiden Manager kennen sich gut, lud sich doch der „reichste Couchsurfer der Welt“ regelmäßig bei Marks zum Übernachten ein. Der Manager versuchte dem Tesla-Vordenker nahezubringen, es sei nicht klug, Beschäftigte zu demotivieren, indem er ihnen vorhält: „Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.“ Marks, der Tesla bald verlassen sollte, erkannte: „Manche Leute sind einfach Arschlöcher, aber sie erreichen so viel, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich zurückzulehnen und zu sagen: Offenbar gehört das zusammen.“
Musk provoziert zuverlässig Widerspruch, schließlich wirkt es irritierend, wenn er nach den Schilderungen des Autors Justine, eine seiner Ex-Frauen, wissen ließ: „Wenn du meine Angestellte wärst, würde ich dich feuern.“ Demnach soll der Tesla-Boss die Frau gedrängt haben, ihre Haare weiter aufzuhellen. Sein Macho-Befehl lautete: „Mach sie platinblond.“ Justine versuchte, aus dem groben Klotz einen besseren Mann zu formen. Sie bemühte sich, ihm nahezubringen, was echte Empathie, die Gabe, sich in andere Menschen einzufühlen, sei. Musk habe daraufhin behauptet, sich wegen seines Asperger-Syndroms einen gewissen psychologischen Scharfsinn antrainiert zu haben, was Justine zurückwies.
Manchmal wirkt Tesla-Chef Elon Musk kalt und unnahbar
Um den Tesla-Chef zu verstehen, hilft eine Auseinandersetzung mit seiner Krankheit. Musk geht mit der Form des Autismus offen um. Er weiß, wie schwer es ihm fällt, an der Gestik und Mimik eines Gesprächspartners zu erkennen, wie es ihm geht. Sein Einfühlungsdefizit versucht er auszugleichen: Es fällt auf, dass Musk gerne mit seinem Lieblingssohn „X“ als Sympathieträger auf dem Arm auftritt. Auch bei einem Besuch des deutschen Werkes in Grünheide bei Berlin schleppte er den Kleinen, eines seiner bisher elf offiziellen Kinder, mit. Als ob X als Name nicht bizarr genug wäre, heißt der Sprössling korrekt „X Æ A-XII“, was bestätigt, dass der Unternehmer ein Empathie-Problem hat. Schließlich werden andere Kinder den Musk-Nachkommen schon wegen seines Namens hänseln. Dabei hat sein Vater eine überwiegend unglückliche Kindheit in Südafrika durchlitten. Weil er anders als andere Kinder war, wurde Musk von Buben schikaniert. Einmal stürzten ihn kleine Gewalttäter die Betonstufen hinunter und traten gegen seinen Kopf. Er musste ins Krankenhaus, doch sein Vater zeigte kein Mitgefühl mit dem Sohn, den er „Schwachkopf“ nannte.
Wenn der in seiner Kindheit Gepeinigte als erfolgreicher Unternehmer in Bedrängnis geriet, kamen die brutalen Szenen aus Zeiten auf dem Schulhof und auf dem Spielplatz in ihm hoch. Dann soll Musk sich damit aufbauen, jetzt die Chance zu haben, den ganzen Spielplatz zu besitzen. Dafür sieht es gut aus, denn SpaceX schießt mehr kommerzielle Satelliten als andere Anbieter in die Luft. Tesla wiederum mauserte sich zum weltweit größten Hersteller von Elektroautos. Zuletzt legen spürbar rückläufige Absatzzahlen jedoch den Verdacht nahe, das System Musk stoße an seine Grenzen. Die Gewinnmaschine Tesla ist ins Stocken geraten, stürzte doch die Rendite innerhalb eines Jahres von 11,4 auf 5,5 Prozent ab.
Entlassungen bei Tesla: Musk greift unbarmherzig durch
Wann immer der Tesla-Chef Rückschläge wittert, senkt er mit Entlassungen die Personalkosten. So will Musk mindestens jeden zehnten der weltweit rund 140.000 Arbeitsplätze streichen. Dabei baut er etwa 400 feste der insgesamt gut 12.000 Stellen in Grünheide ab, wobei sich das Unternehmen zuvor von 300 Leiharbeitern getrennt haben soll. In einer internen Mitteilung ließ der Tesla-Boss die Beschäftigten über den Job-Abbau wissen: „Es gibt nichts, was ich mehr hasse, aber es muss getan werden.“ Sollte er doch zur Empathie fähig sein? Rasch kommt der Kostendrücker zum Vorschein: „Dies wird uns in die Lage versetzen, schlank, innovativ und hungrig für die nächste Wachstumsphase zu sein.“ Er bemüht sich, trotz der schwierigeren Marktsituation für Elektroautos positiv in die Zukunft zu blicken.
Wie gefährlich es ist, sich Schwäche anmerken zu lassen, hat er als Kind gelernt. Börsianer haben indes ein feines Gespür für Schwäche, folglich sind die Zeiten für Tesla mit Kursen über 350 Euro lange vorbei. Finanzanalysten sehen Musk unter Druck, für gute Nachrichten zu sorgen, indem er erfolgreich Robotertaxis präsentiert und den Beschluss für die Produktion eines kleinen Volks-Teslas für rund 25.000 Euro trifft. Genau das kündigte er an, was der Aktie zuletzt wieder Auftrieb gab und sie auf über 150 Euro wuchtete.
Dennoch gibt es im Tesla-Kosmos mehr Frage- als Ausrufezeichen. Hat Musk zumindest als Autobauer seinen Zenit überschritten? Deutschlands bekanntester Branchenkenner, Professor Ferdinand Dudenhöffer, warnt: „Es ist zu früh, ihn abzuschreiben. Musk ist nicht entzaubert, aber er ist nicht mehr der große Zauberer, dem alles gelingt.“ Dudenhöffer rühmt die besonderen Fähigkeiten des Unternehmers, unter Druck zu arbeiten: „Das ist ihm vertraut. Sonst wird es für ihn langweilig.“
Tesla-Konkurrent BYD wird immer erfolgreicher
Der Tesla-Chef stand in seiner Auto-Karriere mehrfach mit dem Rücken zur Wand, fand aber als gut trainierter Überlebenskünstler stets einen Ausweg. Die Situation in den nächsten Jahren ist herausfordernd, schließlich hat Musk lange vom Wachstum der E-Mobilität profitiert. Nun geben die Märkte in Europa und den USA für stromgetriebene Autos wohl weiter nach. In China als wichtigster Absatzregion geht es für die Elektrobranche nach wie vor bergauf. Rettet das Musk? Dudenhöffer setzt ein weiteres Fragezeichen, tobe doch in China ein harter Preiswettbewerb. Einheimische Tesla-Konkurrenten wie BYD würden immer erfolgreicher. Musk spürt den Atem der Asiaten im Rücken.
Der Tesla-Chef ist ein Träumer, vor allem aber ein Sonderling. So brandmarkt der fleißige Vater auf X Länder wie Griechenland und Italien, in denen die Geburtenrate zurückgeht. Dann geht ihm auch noch der „Woke-Virus“ auf den Geist, eben die Wachsamkeit gegen alle Formen sozialer Unterdrückung. Der Manager verzettelt sich. Vielleicht hat Dudenhöffer recht: „Er tanzt auf zu vielen Hochzeiten.“ Musk wird zum Motzer auf X. Wie gefährlich das für das Lebenswerk des Dauer-Visionärs ist, bleibt (noch) offen. Einige Tesla-Fahrer distanzieren sich in den USA bereits mit Aufklebern auf ihren Autos vom Chef des Unternehmens. Dort steht: „Ich habe den gekauft, bevor wir wussten, dass Elon durchgeknallt ist.“