Bahnreisende dürfen sich freuen. Ab dem Fahrplanwechsel zum 13. Dezember werden sie die Strecke von München nach Lindau in knapp zwei Stunden schaffen. Hinter dieser Nachricht steht ein aufwendiges 500-Millionen-Verkehrsprojekt. Es dauerte Jahrzehnte, bis es umgesetzt wurde, und stand immer wieder mal auf der Kippe. Die Rede ist von der Elektrifizierung der Bahnstrecke zwischen den beiden Städten. Im Winter wird der „Regelbetrieb“, wie das offiziell heißt, beginnen.
„Bereits im Sommer schalten wir den Strom ein und beginnen unsere Test- und Messprogramme. Ende des Jahres dürfen sich unsere Reisenden schließlich auf die Inbetriebnahme und damit auf den Beginn eines schnellen und sauberen Zugverkehrs freuen“, verspricht DB-Projektleiter Matthias Neumaier.
Zwischen Wangen und Lindau fehlen die letzten Arbeiten auf der neuen Bahnstrecke
Noch laufen nach Angaben von Bahnsprecher Franz Lindemair die Arbeiten an der „ABS 48“, so das interne Kürzel für die Ausbaustrecke von München über Lindau nach Zürich. Derzeit wird am letzten Teilstück zwischen Wangen im Allgäu und Lindau noch gewerkelt.
Die Projektdaten sind beeindruckend: 25 Kilometer Oberleitung hat die Bahn allein im Abschnitt zwischen Hergatz und Lindau in den vergangenen Monaten errichtet. Zunächst auf dem westlichen Streckengleis. Bis Anfang August sollen die Masten und die Oberleitungen auf der östlichen Seite gelegt sein. Insgesamt 400 Oberleitungsmasten stehen dieses Jahr auf dem Programm, heißt es bei der Bahn.
Im Sommer beendet die DB Energie GmbH auch die Arbeiten am Umrichterwerk in Leutkirch und an den Unterwerken sowie an den sogenannten Autotransformerstationen. Dort wird Strom aus dem öffentlichen Stromnetz auf Spannung und Stromfrequenz der Bahn umgewandelt und als „Bahnstrom“ auf die Strecke verteilt. Allein die Kosten für die Versorgungstechnik liegen nach Angaben der Bahn bei 23 Millionen Euro.
Schallschutzwände im Allgäu werden bis November noch errichtet
Ein wichtiges Detail der Strecke ist der Schutz der Anwohner. Die Bahn errichtet auch im letzten Streckenabschnitt zwischen Hergatz und Lindau Schallschutzwände auf knapp zehn Kilometern Länge in neun Orten. Diese Arbeiten werden bis Ende November andauern. Je nach Abschnitt werden die in Grüntönen gehaltenen Schallschutzwände zwischen drei und vier Meter hoch. Im Stadtgebiet Lindau begannen die Arbeiten für die Wände im Mai.
Die spektakulärste Baumaßnahme auf dem Abschnitt war die neue Brücke über den Fluss Obere Argen in Wangen. Die 116 Meter lange und mehrere hundert Tonnen schwere Stahlkonstruktion wurde in einem Stück in die Trasse eingeschoben. Wenn alle noch anstehenden Arbeiten wie geplant erledigt werden, soll im Herbst mit dem Probebetrieb begonnen werden, verspricht Lindemair.
Einer, der früh – und oft hinter den Kulissen – am Zustandekommen des Neubaus mitwirkte, war der frühere bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller. Er sagt: „Ich freue mich, dass dann ein neues Bahnzeitalter für das Allgäu anbricht.“ Das Projekt, das den Politiker 27 Jahre lang beschäftigte, habe ihn wie keine Maßnahme sonst in seiner Zeit als Minister Nerven gekostet, erinnert sich Miller.
Dabei war der Memminger für Verkehrsthemen eigentlich gar nicht verantwortlich und verhandelte bisweilen ohne Wissen seines Kollegen, Verkehrsminister Otto Wiesheu, mit Verantwortlichen der unterschiedlichen beteiligten Seiten, um eine Realisierung voranzutreiben. „Das nahm mir Wiesheu damals ziemlich übel“, erinnert sich Miller. Der Parteifreund sei allerdings nicht nachtragend gewesen.
Immer wieder geriet die Elektrifizierung der Strecke München-Lindau in Gefahr
Immer wieder geriet nämlich die Elektrifizierung der Strecke, zu der es bereits Ende der 60er Jahre erste Pläne gab, im Lauf der Jahrzehnte in Gefahr. Meist ging es ums Geld. Am Ende war es die Schweiz, die Druck machte. Im Jahr 2009 hatten nämlich Deutschland, die Schweiz und Bayern vereinbart, den Verkehr auf der Bahnstrecke schneller zu machen. Bern schob das Projekt mit einem zinsfreien Darlehen von 50 Millionen Euro an. Das Abkommen mit der Schweiz sieht aber vor, dass ab Ende 2020 die Elektrifizierung fertiggestellt sein muss. Miller sagt: „Es war höchste Eisenbahn, dass es zu einer Einigung kam.“
Nun steht die Strecke vor der Fertigstellung: Ab Dezember werden Eurocity-Züge in einer Stunde und 50 Minuten statt bisher in rund zweieinhalb Stunden von München nach Lindau fahren. Die Fahrzeit von München nach Zürich verringert sich von bisher knapp viereinhalb auf etwa dreieinhalb Stunden.
Gute Nachrichten für Bahnkunden: ICE-Anbindung für Bayerisch-Schwaben
In diesem Zusammenhang gibt es noch eine gute Nachricht für Bahnreisende: Grund ist die Vorstellung des geplanten Deutschland-Takts im Bahnverkehr – ein bundesweit abgestimmter Fahrplan. Bei dem kommt neben dem Bahnprojekt Ulm-Augsburg auch der Elektrifizierung der Strecken München-Lindau sowie Ulm-Lindau im Dezember 2021 eine entscheidende Rolle zu. Die in wenigen Jahren letzte verbliebene Lücke im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz zwischen Ulm und Augsburg wird zudem geschlossen. Der „Deutschland-Takt“ sichere die ICE-Anbindung für Bayerisch-Schwaben, erklärt Bahnexperte Peter Stöferle von der IHK Schwaben.
Kleine Dreingaben für Bahnfahrer gab es am Montag in München von Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) und Roland Pofalla, dem Vorstand für Infrastruktur bei der DB AG. Sie verkündeten eine Aufstockung der Mittel des Bundes für kleinere Nahverkehrsprojekte im Freistaat um 16 Prozent auf 436 Millionen Euro in den kommenden zehn Jahren. In Schwaben werden aus diesem speziellen Topf unter anderem die Streckenertüchtigung der Paartalbahn, die Elektrifizierung zwischen Pfronten-Steinach und der Landesgrenze zu Tirol, Maßnahmen zur Barrierefreiheit in Senden und Marktoberdorf sowie der Neubau von Bahnstationen in Lindau und in Brunnen an der Paartalbahn finanziert. Insgesamt investiere die Bahn in Bayern dieses Jahr ungefähr 1,7 Milliarden Euro.
Lesen Sie hierzu den Kommentar unseres Autors Josef Karg: Mit der neuen Strecke München-Lindau wird die Bahn konkurrenzfähig
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