Fast scheint es als hätte Ilse Aigner eine Ahnung davon gehabt, was in diesem Wahlkampf auf die Bayern zukommen sollte. „Scharfe inhaltliche Auseinandersetzung: Unbedingt, ja“, sagte sie bei der letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause. „Aber: Kein kurz und klein schlagen, bis alle beschädigt sind. Das schadet am Ende unserer Demokratie."
Die Mahnung der Landtagspräsidentin, das kann man heute, am Tag vor der Wahl, schon sagen, verhallte ungehört. Und das liegt nicht allein an der AfD, die Aigner damals besonders in Blick gehabt haben mag, sondern auch an jenen Parteien, die sich gern als bürgerlich bezeichnen, also Freie Wähler und CSU. Was die Inhalte angeht, blieben die Unterschiede der Parteien in diesem Wahlkampf oft unscharf. Umso rauer war der Ton, der aus den Bierzelten dröhnte. Sieht man vom Abbruch der Wahlveranstaltung von AfD-Chef Tino Chrupalla in Ingolstadt ab, dessen Umstände noch nicht geklärt sind, wurde ein Stein-Wurf auf die Grünen-Spitze in Neu-Ulm zum unschönen Symbol dieses Wahlkampfes.
Selbstradikalisierung der bürgerlichen Parteien im Umgang mit den Grünen
Die Aggression, die der Sonnenblumenpartei seit einigen Monaten entgegenschlägt, lässt sich mit dem schlechten Bild, dass die Grünen in der Ampel-Koalition abgeben, nur bedingt erklären. Sicher, Robert Habecks Heizungsgesetz war handwerklicher Pfusch und die Haltung vieler Grünen in Sachen Migration lässt nicht nur die Bürgermeister überforderter Kommunen fassungslos zurück. Doch das allein führt nicht zu gellenden Pfeifkonzerten und der manchmal schon fast feindseligen Stimmung, mit denen das Grüne Spitzenpersonal an Wahlständen und auf Marktplätzen zu kämpfen hatte.
Weit entscheidender dafür war die Selbstradikalisierung der bürgerlichen Parteien im Umgang mit den Grünen. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwange etwa ließ keine Gelegenheit verstreichen, Zweifel an Söders Absage an Schwarz-Grün zu sähen, ein Bündnis, das viele in der CSU keinesfalls wollen. So nötigte er Söder, sich in immer schärferer Tonlage von der Ökopartei abzugrenzen. „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern“, rief der immer wieder. „Die“ – und „wir“, das ist die Sprache der Ausgrenzung.
Natürlich gibt es keine direkte Verbindung zwischen dieser Rhetorik und dem Steinwurf von Neu-Ulm. Trotzdem haben AfD, Freie Wähler und auch die CSU eine Stimmung geschaffen, in der diese Tat möglich wurde. Anstatt die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen, hob Söder den Graben zu den Grünen immer tiefer aus, tiefer als zwischen demokratischen Wettbewerbern üblich. Landesvater? Von wegen.
Aiwanger hat sich als Trumps gelehriger Schüler erwiesen
All das erinnert auf ungute Weise an die USA. Da stehen sich die Parteien schon lange unversöhnlich gegenüber, während Donald Trump sich durch die Lande lügt und als Justizopfer inszeniert. Einen Hauch von Trump, auch das brachte dieser Wahlkampf. Dann etwa, wenn Aiwanger die Enthüllungen um das antisemitische Flugblatt in seinem Schulranzen ohne Skrupel zur Kampagne gegen ihn umdeutete. Fakten verdrehen, sich als Opfer hinstellen, die Erzählung, allein für die schweigende Mehrheit einzustehen – in dieser Hinsicht hat sich Aiwanger als Trumps gelehriger Schüler erwiesen.
Nein, dieser Wahlkampf war keine Sternstunde der Demokratie. Es bleibt zu hoffen, dass nun Normalität zurückkehrt. Sicher ist das nicht. Viele in der CSU haben ihre Wut auf Aiwanger, den Mann, der mit der leidigen Flugblattaffäre alles durcheinandergewirbelt hat, nur mit Mühe und Not bis zum Wahltag unterdrückt. Gut möglich, dass diese Wut sich nun entlädt. Die Koalitionsverhandlungen dürften spannend werden.