Im Jahr 2014 entwickelt sich die 40-Einwohner-Gemeinde Altschauberg zur Pilgerstätte für Internettrolle, zum Mekka für Hass-Touristen, mitten in der mittelfränkischen Provinz. Eigentlich ist es ein beschauliches Dorf – umkreist von Wäldern und Feldern. Ein kleiner Bach schlängelt sich an den wenigen Häusern vorbei.
Altschaubergs bekanntester Bewohner lebt zu dieser Zeit in einem unscheinbaren, heruntergekommenen Gebäude im Dorf. Sein Name ist Rainer Winkler. Besser bekannt ist er unter seinem Pseudonym Drachenlord. Er ist Zielscheibe einerHetzjagd. Am Mittwoch wird sein Fall in Nürnberg vor Gericht verhandelt. Angeklagt aber sind nicht die Mobber, sondern Winkler selbst. Denn er schlägt regelmäßig zurück. Nicht nur mit Worten. Einen der Trolle, der vor seinem Haus randaliert, attackiert er mit einer Taschenlampe.
Es gehört zu den Absurditäten dieser Geschichte, dass Täter- und Opferrolle verschwimmen. Schon als der Fall im vergangenen Jahr erstmals vor Gericht landet, äußert die Richterin Verständnis für Winklers Situation. "Ich tue das nicht gerne, aber es ist nun mal mein Job", sagt sie und verurteilt den ihn wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Er war einschlägig vorbestraft.
Am Mittwochabend fand die Berufverhandlung statt. Nach Auffassung eines psychiatrischen Gutachters ist er vermindert schuldfähig. Das Gericht mildert die Strafe. Winkler erhält eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Außerdem muss er eine Geldauflage von 2500 Euro zahlen. Für die Staatsanwalt offenbar nicht genug. Sie hat Revision eingelegt, wie die Anklagebehörde am Freitag mitteilte. Nun muss einer der beiden in Nürnberg angesiedelten Senate des Bayerischen Obersten Landesgerichtes entscheiden.
Der Kanal "Drachenlord" wirkt auf den ersten Blick nicht auffällig
Wie konnte dieser Fall so eskalieren? Der Kanal "Drachenlord" wirkt auf den ersten Blick nicht auffällig. Winkler filmt sich, wie er zu Heavy Metal tanzt, Videospiele spielt, spazieren geht. Doch es dauert nicht lange, bis Trolle auf ihn aufmerksam werden. Sie beleidigen Winkler wegen seines Übergewichts oder weil er eine Sonderschule besucht hat. Und Winkler reagiert darauf. In Videos beschimpft er die Trolle, droht ihnen mit Gewalt.
Im Jahr 2014 dann begeht er einen folgenschweren Fehler. Er nennt seine Adresse. Verbunden mit der Aufforderung, sich mit ihm zu prügeln. Daraufhin schlägt das Cybermobbing in extremes Stalking um. Die Trolle pilgern zu seinem Haus, bewerfen ihn mit Eiern, randalieren, skandieren Beleidigungen. Und filmen sich dabei. Manche tragen Masken, die das Gesicht von Winklers verstorbenem Vater zeigen.
Der traurige Höhepunkt: Winkler verliebt sich im Internet in die Userin "Erdbeerchen". In einem Live-Stream vor 5000 Menschen macht er ihr einen Heiratsantrag. Die Aktion war geplant, hinter "Erdbeerchen" steckt eine Mobberin. Nach dem Antrag beleidigt sie ihn, lacht ihn aus. Winkler weint.
Die Polizei muss fast täglich vor Winklers Haus anrücken. Bleibt aber machtlos. Im Jahr 2018 überrennen 800 Menschen gleichzeitig das Dorf. Das Mobbing verstehen sie als Spiel, sie nennen es das "Drachengame".
Was aber treibt die Mobber an? Der Medienwissenschaftler Christian Gürtler sieht darin eine einfache Erklärung: Menschen treten gerne nach unten – vor allem dann, wenn sie bei ihrem Opfer eine Reaktion hervorrufen können. "Winklers Popularität auf der Plattform rührt unter anderem daher, dass er auf viele der Provokationen eingeht", sagt Gürtler. Hätte Winkler die Angriffe ignoriert, wäre die Lage wahrscheinlich nicht so weit eskaliert, glaubt Gürtler.
Winkler ist Youtuber. Und wie für jeden Youtuber sind Klicks sein Maßstab
Winkler tätigt aber auch Aussagen, die für berechtigte Kritik sorgen. Auf die Frage, was er vom Holocaust halte, antwortete Winkler mal: "nice Sache." Später distanziert er sich davon, die Aussage habe er sarkastisch gemeint. Er sexualisiert Frauen und provoziert bewusst seine Follower, um Reichweite zu generieren, sagen seine Kritiker. Das ist auch Teil der Geschichte. Winklers Gegner sind vielfältig und manche Kritik gerechtfertigt.
Bisher konnten aber weder Anfeindungen noch Kritik Winkler davon abhalten, weitere Videos zu produzieren. Christian Gürtler sieht dahinter zwei Gründe. Der erste ist einfach: Die Videos bringen Geld. Winkler hat keinen Job. Nach eigenen Angaben verdient er auf Youtube aber über 2000 Euro im Monat. Vor allem mit jenen Videos, die seine Hater anstacheln. Denn die werden häufig angeklickt. Mehr Videos, mehr Klicks, mehr Werbeeinnahmen für Youtube. Und damit mehr Geld für Winkler.
Der zweite Grund: "Er sieht sich selbst als Kämpfer gegen Online-Mobbing", sagt Gürtler. Das könne man vielen seiner Aussagen entnehmen. "Die Ansprachen erinnern teilweise an Helden aus Fantasyromanen: Er lasse sich nicht besiegen, irgendwann werde er mehr Fans als Hater haben." Ansprachen, die dann wieder Stoff für die Mobber bieten.
Das ist die Tragik im Fall "Drachenlord". Winkler ist Youtuber. Und wie für jeden Youtuber sind Klicks sein Maßstab. Die bekommt er vor allem für Videos, in denen er flucht, schimpft und seinen Mobbern droht. Gleichzeitig nährt er damit aber den Hass seiner Gegner. Eine Spirale der Anfeindungen, die sich stetig weiterdreht. Und die jetzt vor Gericht endet.