Die "Schanze" besteht nur noch aus einem Häufchen Bauschutt. Kaum etwas erinnert an die befremdlichen Szenen, die sich hier in Altschauerberg jahrelang abgespielt haben. Bis vor zwölf Monaten wohnte in dem verwahrlosten Einfamilienhaus Rainer Winkler, besser bekannt als Drachenlord. Mittlerweile ist das Gebäude abgerissen, lediglich Bauzäune stehen noch rund um das Gelände.
Winkler, 33, ist seit über einem Jahrzehnt Zielscheibe seiner sogenannten Hater. Er selbst bezeichnet sich als meistgehassten Menschen Deutschlands. Aus der ganzen Bundesrepublik kamen seine "Gegner" täglich in den beschaulichen Ortsteil des Marktes Emskirchen in Mittelfranken. Die Hater, größtenteils junge Männer, machen dem Youtuber das Leben bis heute zur Hölle. Trauriger Höhepunkt war das "Schanzenfest" im Jahr 2018. Über 800 Personen "pilgerten" damals in den Ort nordwestlich von Nürnberg, randalierten und feierten, belagerten Winklers Anwesen – von ihnen "Schanze" getauft.
Im Internet tätigt "Drachenlord" Winkler krude Aussagen – und zieht damit den Hass Tausender auf sich
Zweifelhafte Berühmtheit erlangte der Streamer bereits 2011. Anfangs ging es in seinen Youtube-Videos hauptsächlich um Metal-Musik. Allerdings machte er auch immer wieder krude Aussagen und schilderte verstörende Ansichten – und zog damit den Hass tausender Menschen auf sich. Einmal fantasierte er über Geschlechtsverkehr mit einem Pferd, ein anderes Mal verglich er das Mobbing seiner Person mit dem Holocaust. Später stellte ein Gutachter bei ihm verminderte Intelligenz fest. Er selbst bereue die Aussagen heute, sagte Winkler vor kurzem der Süddeutschen Zeitung.
Im Netz wurde der "Drachenlord" von Anfang an belächelt, gemobbt und bedroht. Um seine Person entstand eine regelrechte Anti-Fan-Gemeinde. Bis heute beschimpfen die Hater den stark übergewichtigen Franken als "Oger", fordern ihn auf, "sich zu löschen", machen sich über ihn lustig. Zunächst fand das alles nur online statt. 2014 eskalierte der Streit mit seinen Hatern endgültig, als Winkler seine Adresse im Internet veröffentlichte – mit dem Zusatz: "Traut euch, kommt zu mir."
Ein fataler Fehler. Das "Drachengame", wie die Mobber das gegenseitige Anstacheln und Beleidigen nennen, nahm dadurch erst richtig an Fahrt auf. Von nun an wurde er nicht nur online gemobbt, sondern auch zu Hause beleidigt und bedroht. Verschiedenste Gegenstände warfen die "Haider", wie sie Winkler in seinem fränkischen Dialekt nennt, in seinen Hof – darunter Böller, faule Eier oder Tierkadaver. Immer wieder kam es auch zu Handgreiflichkeiten.
Es entwickelte sich ein hasserfülltes Katz-und-Maus-Spiel, das bis heute andauert. Er veröffentlichte immer wieder Videos, in denen er seine Anti-Fans provozierte. Die wiederum machten dem heute 33-Jährigen das Leben zur Hölle. Dutzende Male schalteten sich deshalb die Polizei und die Justiz ein. Aber ist Rainer Winkler Opfer oder doch Täter? Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Mehrmals wurde er zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil er seine Mobber tätlich angegriffen hatte. Auch gegen mehr als 50 Hater hatte es in den vergangenen Jahren Verfahren gegeben.
Netflix setzte sich mit der Geschichte des "Drachenlords" auseinander
Die bislang letzte Verhandlung fand im März 2022 am Landgericht Nürnberg statt. Winkler wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe von 2500 Euro verurteilt. Er hatte einen Mann mit einer Taschenlampe attackiert und einen anderen mit einem Stein beworfen. In früheren Verhandlungen hatte die Justiz versucht, Winkler zum Einstellen seiner Online-Aktivitäten zu bewegen – vergeblich. Stattdessen schlug der Prozess hohe Wellen, sogar der Streaming-Gigant Netflix setzte sich mit der Geschichte auseinander. Eine Produktion sei aber nicht geplant, sagte ein Sprecher dem Nachrichtenportal Nordbayern.de.
Bereits im Februar 2022 war Winkler aus seinem Haus ausgezogen und hatte es an den Markt Emskirchen verkauft. Der hat das marode Gebäude dem Erdboden gleichgemacht, um eine Pilgerstätte zu verhindern. Seit Winkler weg ist, können seine ehemaligen Nachbarn aufatmen. In Altschauerberg mit nicht einmal 40 Einwohnern wächst endlich Gras über die Sache – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Neubebauung ist vorerst nicht geplant. "Es hat sich schon sehr beruhigt", sagte Bürgermeisterin Sandra Winkelspecht der Süddeutschen Zeitung.
Vorbei ist die Jagd aber nicht. Die Hater verfolgen Winkler mittlerweile quer durch Deutschland. Der ist seit dem Hausverkauf wohnungslos, reist mit dem Auto oder Zug umher, übernachtet in Hotels, zahlt mit Geld, das ihm wohlwollende Follower, aber auch Hater spenden. Schließlich wollen die, dass das "Drachengame" weitergeht. Beim Messenger-Dienst Telegram existiert eine Gruppe mit fast 50.000 Mitgliedern, eine Art Drachenlord-Liveticker. Ständig werden hier seine Aufenthaltsorte veröffentlicht. Finden die Hater heraus, in welchem Hotel er übernachtet, bestellen sie massenhaft Essen auf sein Zimmer oder rufen die Feuerwehr. Die Folge: Winkler wird regelmäßig rausgeschmissen. In einem kürzlich erschienenen Video, gefilmt von einem Hater, spricht dieser Winkler in der Nürnberger Fußgängerzone an: "Hey Rainer, du hast Nürnberg-Verbot", ruft er ihm zu. Ein anderer veröffentlicht ein Foto, wie Winkler an einem Bahngleis in Franken steht. Dazu schreibt der User, in welchen Zug der 33-Jährige gestiegen ist.
Drachenlord: Millionen Klicks auf TikTok, zehntausende Follower bei Instagram
Dabei sollte nach seinem Auszug und dem Gerichtsurteil vergangenes Jahr endlich Ruhe herrschen. Und in der Tat: Nachdem er Altschauerberg vor einem Jahr verlassen hatte, war im Internet lange nicht viel Neues von Winkler zu lesen und sehen.
Seit einigen Wochen ist der 33-Jährige aber online wieder präsent. Auf TikTok veröffentlicht er Videos, die teils weit über zwei Millionen Aufrufe haben. Auf seinem neuen Instagram-Kanal folgen ihm bereits über 41.000 Menschen. In seinen Posts schildert er persönliche Eindrücke, erzählt aber auch von den neuesten Mobbing-Aktionen der Hater. Rainer Winklers Leben ist längst zerstört. Seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft scheint unmöglich, solange er weiterhin im Internet präsent ist. Doch aufhören kann er offenbar nicht – genauso wenig wie die Hater.