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Dokumentarfilmer: Grimme-Preisträger Pichler: Warum beim Thema Bären die Emotionen hochkochen

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Grimme-Preisträger Pichler: Warum beim Thema Bären die Emotionen hochkochen

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    Der tödliche Angriff eines Bären im italienischen Trentino hat die Emotionen hochkochen lassen. Regisseur Andreas Pichler geht in seinem neuen Film unserem ambivalenten Verhältnis zu den Wildtieren nach.
    Der tödliche Angriff eines Bären im italienischen Trentino hat die Emotionen hochkochen lassen. Regisseur Andreas Pichler geht in seinem neuen Film unserem ambivalenten Verhältnis zu den Wildtieren nach. Foto: Matteo Zeni

    Herr Pichler, als am 5. April 2023 der 26-jährige Jogger Andrea Papi im italienischen Trentino unweit des Gardasees von einem Bären angefallen und getötet wird, geht diese Nachricht um die Welt. War das für Sie der Anlass, Ihren neuen Film „Gefährlich nah – wenn
    ANDREAS PICHLER: Nein, ich habe schon vor drei Jahren mit diesem Film-Projekt begonnen. Der Tod des Joggers ist mir sozusagen dazwischengekommen. Ich lebe ja in der Nähe des Trentino und habe das mitbekommen, was da mit den Bären so passiert. Mein Auslöser war die Geschichte eines anderen Bären, der jetzt gar nicht im Film vorkommt. M49-Papillon, der hat zwar niemanden angefallen, aber er ist in Hütten eingebrochen und hat viele Weidetiere getötet. Er wurde zweimal eingefangen und konnte jedes Mal wieder entkommen. Dadurch hat er eine Art Nationalhelden-Status in Italien. Ich hatte schon mit den Dreharbeiten begonnen, als das Unglück mit dem Jogger passierte. Durch dessen Tod kochten dann die Probleme, die es bereits gab, erst so richtig hoch. Für den Film war dann auch klar, dass das die zentrale Geschichte sein wird.

    Es ist der erste Unglücksfall der jüngeren Geschichte im Alpenraum – fast genau 25 Jahre, nachdem der Bär im Trentino im Rahmen eines der größten Rewilding-Projekte Europas wieder angesiedelt wurde. Warum bekam der Fall so extrem viel mediale Aufmerksamkeit?
    PICHLER: Das hat alle ein bisschen erstaunt. Ich glaube, dass da auch etwas Archaisches drinnen steckt. Dieses Thema ,Mensch-Natur‘ und ,Mensch-Wildnis‘ ist gerade bei uns in Mitteleuropa ein Brennpunkt. Denn einerseits hat man das Bedürfnis nach Wildnis, aber die Tatsache, dass man von einem Wildtier getötet werden kann, erinnert auch daran, wie verletzlich der Mensch ist. Und eben, dass es Lebewesen gibt, die eindeutig stärker sind als wir. Der Bär ist ein spannendes Tier, weil er so ambivalent ist: Einerseits putzig und nett, jeder hat ja als Kind einen Kuschelbären besessen, andererseits ist der Bär das größte Wildtier in Europa. Und das kann uns halt auch töten. Dazu kommen andere Themen, die sich zugespitzt haben. Beispielsweise: Was wollen wir für eine Form von Natur haben?

    Regisseur Andreas Pichler hat einen Film über Bären im Trentino gedreht.
    Regisseur Andreas Pichler hat einen Film über Bären im Trentino gedreht. Foto: Andreas Pichler

    Sie zeichnen im Film ein differenziertes Bild des Zusammenlebens von Mensch und Bär, was zu der Frage führt: Wem gehört die Natur nun?
    PICHLER: Ich glaube, das müssen wir gesellschaftlich diskutieren und entscheiden. Eine der großen Lehren für mich aus dem Film ist: Es gibt keine einfachen Antworten. Die Geschichte dieser Eskalation zeigt, wie schwierig es geworden ist, darüber differenziert zu diskutieren. Da gibt es die einen, die am liebsten alle Bären wieder weghaben möchten, und die anderen, die alle Bären erhalten wollen, denen zufolge also kein Tier getötet werden darf. Die Wahrheit aber liegt irgendwo dazwischen. Wenn wir als Gesellschaft es gutheißen, dass irgendwo in den Alpen einige Bären existieren können, dann müssen wir lernen, wie wir damit umgehen. Und das heißt auch striktes Management: Wenn Bären gefährlich werden, dann müssen sie auch entnommen werden dürfen. Das Dilemma im Trentino ist ja, dass Tierschutzorganisationen die meisten Abschüsse verhindert haben. Dadurch wurde die Situation der sich stark vermehrenden Population ja erst verursacht.

    Wie viele Tiere leben gerade im Trentino? 
    PICHLER: Offiziell etwa hundert Tiere, die ein Jahr alt sind, zumindest sind so viele erfasst. Dazu kommen die Jungtiere, insgesamt kommen wir auf etwa 130. Die finden da ideale Bedingungen. Und Muttertiere bleiben auch da und wandern nur weg, wenn nicht mehr genügend Platz für alle ist. Und diejenigen, die dann beispielsweise auch in Bayern landen, sind junge Männchen, die von den alten Männchen vertrieben werden und einfach losstarten auf der Suche nach einem Weibchen oder einem eigenen Revier. Da sie keine Partnerin finden, kehren sie oftmals wieder zurück.

    In Bayern wurde der Bär Bruno vorsorglich erschossen. War das Aktionismus der Politik oder nur vorausschauend klug?
    PICHLER: Gute Frage. Ich denke, das war schon erstmal ziemlicher Aktionismus. Wahrscheinlich war es, längerfristig gesehen, aber sinnvoll das Tier geschossen zu haben. Denn Bruno war so sozialisiert, dass er sich von Dingen ernährt hat, die er beim Menschen fand. Ob Vergrämungsmittel, wie sie im Trentino angewendet werden, bei Bruno noch erfolgreich gewesen wären, ist schwer zu sagen.

    Was wäre nun ein praktikabler Lösungsansatz in diesem Konflikt?
    PICHLER: Ich glaube, es ist möglich, dass Wildtiere bei uns leben. Aber es bedarf großer Informationskampagnen, gerade bei Bären. Man muss wissen, wie man sich verhält, wenn man ihnen begegnet. In Finnland und Schweden lernen die Kinder das in der Schule, da ist das selbstverständlich. So kann man den Leuten auch die Ängste nehmen. Auf der anderen Seite dürfen Tierschutzorganisationen einen Abschuss von problematischen Tieren nicht jahrelang blockieren können. Man muss das pragmatisch angehen.

    Wie verhält man sich als Wanderer, wenn man einem Bären begegnet?
    PICHLER: Das, was ich gelernt habe: Man sollte keine Panik zeigen, sondern ruhig bleiben und sich tendenziell zurückziehen. Bloß nicht großmachen und hysterisch schreien. Wenn man merkt, dass das Tier angreift, sollte man sich flach auf den Boden legen und den Nacken schützen. Denn da packen Bären gerne zu. In diesen Gebieten soll man präventiv auch nicht schweigend durch die Gegend laufen und am besten nicht alleine. Die meisten Unfälle passieren, wenn Männer alleine oder mit freilaufendem Hund unterwegs sind.

    Zur Person

    Der Südtiroler Dokumentarfilmer Andreas Pichler ist Grimme-Preisträger. Sein Film "Gefährlich nah" über die Bären im italienischen Trentino ist ab 2. Mai auf Sky und dem Streaming-Dienst WOW abrufbar. Ab 4. Juni steht der Film in der ARD-Mediathek bereit.

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